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Übergriffe Pöbeleien in der Arztpraxis: Bremer Verbände fordern gezielte Ahndung

Angriffe von Patienten auf Ärzte und Pflegepersonal nehmen zu, offenbar auch durch die Corona-Vorschriften. Den Betroffenen sind die juristischen Konsequenzen für ausrastende Patienten zu gering.
11.11.2021, 05:00 Uhr
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Pöbeleien in der Arztpraxis: Bremer Verbände fordern gezielte Ahndung
Von Joerg Helge Wagner

In manchen Arztpraxen und Kliniken gehören heftige Konflikte mit Patienten oder deren Angehörigen zum Alltag: Das reicht von Beschimpfungen bis hin zu Morddrohungen und physischer Gewalt. In Bremen beklagen Ärzteverbände, dass die Attacken zu oft als Bagatellen bewertet werden. Die Kassenärztliche Vereinigung Bremen (KVHB) und die Ärztekammer Bremen werden deshalb bei Generalstaatsanwältin Kirsten Graalmann-Scheerer vorsprechen, um für das Thema zu sensibilisieren. "Wir werden dafür werben, dass keine Fälle wegen Geringfügigkeit eingestellt werden", erklärt KVHB-Sprecher Christoph Fox. 

Anlass für den Vorstoß der KVHB ist ein Vorfall in einer HNO-Praxis in der Vahr. Nach Darstellung von Fox wurde ein wegen Pöbelei in der Praxis angestrengtes Gerichtsverfahren unlängst gegen Auflage einer geringen Zahlung wegen Unerheblichkeit eingestellt. "Das erschüttert uns sehr", betont Fox. "Pöbeleien gegenüber Praxispersonal und Ärzten sind keine Bagatellen."

Verbale Attacken gegen Ärzte werden nicht zur Anzeige gebracht

Solche Vorfälle nehmen in Bremen zu, sowohl in Arztpraxen als auch in Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen, bestätigt Christina Hillebrecht, Landesvorsitzende des Marburger Bundes. Deutschlands einzige Ärztegewerkschaft vertritt angestellte und verbeamtete Mediziner. "Zahlen liegen nicht vor", räumt Hillebrecht ein, "da insbesondere verbale Attacken, die in mehr oder minder schwerer Form eigentlich täglich auftreten, nicht zur Anzeige gebracht werden".

Anzeigen gebe es vor allem "konsequent bei tätlichen Angriffen". Auch die Gewerkschafterin beklagt: "Beleidigungsanzeigen werden oft eingestellt." Anlass für die Ausfälle gegenüber Ärzten und Pflegepersonal seien häufig Wartezeiten, auch bei der telefonischen Erreichbarkeit. Seit der Corona-Pandemie entzünde sich die Wut zudem an Hygieneanforderungen wie Maskentragen, eingeschränkten Besuchsmöglichkeiten oder dem Verbot von Begleitpersonen bei Untersuchungen. Dies berichtet auch Karen Matiszick, Sprecherin des Klinikverbunds Gesundheit Nord.

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Arzt aus Gröpelingen muss einmal pro Quartal Polizei rufen

"Im Durchschnitt einmal pro Quartal muss ich die Polizei holen, um pöbelnde und randalierende Patienten aus der Praxis entfernen zu lassen", sagt Björn Ackermann, der in Gröpelingen seit sechs Jahren eine orthopädische Praxis betreibt. Jüngst habe ein 14-Jähriger wild um sich getreten, weil er darauf hingewiesen wurde, dass er zum Röntgen das Einverständnis seiner Eltern braucht. Manche pöbelten los, wenn er sich weigere, Krankschreibungen vorzudatieren. Die medizinischen Fachangestellten würden wöchentlich als "Fotze, Schlampe oder Hure" beschimpft, wenn Patienten die Wartezeit zu lange dauert oder Notfälle vorgezogen werden müssen. Hintergrund und Herkunft der auffälligen Kundschaft seien unterschiedlich. 

Ackermann will keinen Sicherheitsdienst einstellen – er will, dass die Beleidigungen, Sachbeschädigungen und Bedrohungen angemessen geahndet werden. Mehrfach habe er bereits Strafanzeigen gestellt. "Aber bis auf ein einziges Mal wurden alle Verfahren eingestellt", sagt der Arzt. "Von der Staatsanwaltschaft hieß es dann immer: mangelndes öffentliches Interesse." Dabei sei eine empfindliche Geldstrafe doch das Mindeste, um endlich ein Zeichen zu setzen.

Der Marburger Bund geht noch weiter: Er fordert, in solchen Konfliktfällen medizinisches Personal aus allen Bereichen mit Vollstreckungsbeamten gleichzustellen. Für Beschäftigte in Notaufnahmen, bei Rettungsdiensten oder der Feuerwehr gilt dies bereits – mit den entsprechenden juristischen Konsequenzen: Wer sie "mit Gewalt oder durch Drohung mit Gewalt" an ihrer Arbeit hindert, kann mit bis zu drei Jahren Haft bestraft werden.

Betroffene Kollegen brauchen personelle und psychologische Unterstützung.
Kerstin Bringmann von der Gewerkschaft Verdi.

Die Gewerkschaft Verdi pocht auf früher einsetzende Hilfe: "Betroffene Kollegen brauchen personelle und psychologische Unterstützung", betont Kerstin Bringmann, im Bezirk Bremen-Nordniedersachsen zuständig für den Fachbereich Gesundheit. Auch sie fordert, gewalttätige Patienten "mit der vollen Härte des Gesetzes" zu konfrontieren. Grundsätzlich sollte die Polizei hinzugezogen und – soweit möglich – ein Hausverbot ausgesprochen werden.

Dass sich die Ärzteverbände an die Generalstaatsanwaltschaft Bremen wenden, hat seinen Grund: Sie ist die vorgesetzte Behörde der Staatsanwaltschaft Bremen. Chefin Graalmann-Scheerer überprüft in dieser Eigenschaft die Rechtmäßigkeit und Zweckmäßigkeit von Entscheidungen der Staatsanwaltschaft. Dies betrifft vor allem Beschwerden über eingestellte Ermittlungsverfahren.

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