Zwei Impfungen innerhalb von sechs Wochen, eine dritte nach einem halben Jahr – müssen wir uns darauf einstellen, künftig alle sechs Monate erneut geimpft zu werden?
Hajo Zeeb: Es ist noch zu früh dafür, so etwas zu sagen. Wir kennen das aber auch von anderen Impfungen, dass erst nach einer Folgeimpfung, also einer dritten Impfung mit etwas Abstand, der volle und längerfristige Impfschutz erreicht ist. Es kann bei der Corona-Impfung so sein, dass der Schutz nach der dritten Impfung länger anhält. Es kann aber auch sein, dass im nächsten Winter eine weitere Nachimpfung erfolgen muss. Dafür liegen noch zu wenige Zahlen vor.
Was halten Sie von der sogenannten Booster-Impfung?
Die dritte Impfung muss im Moment einfach sein. Ich habe immer gesagt, dass es mir wichtig ist, dass auch Menschen in ärmeren Ländern die ersten Impfungen bekommen müssen. Aber die Daten zeigen, dass ein langfristiger Schutz nach der zweiten Impfung noch nicht erreicht ist. Wir müssen damit leben, dass der Impfschutz mit der Zeit abfällt. Jetzt kommen noch die hohen Infektionszahlen dazu, vor allem bei den Ungeimpften. Auch unter den geimpften Personen infizieren sich immer mehr. Deswegen ist es wichtig, die Impfung nun aufzufrischen. Es ist darüber hinaus aber weiterhin wichtig, auch die anderen, ärmeren Länder im Blick zu haben.

Hajo Zeeb ist unter anderem als Abteilungsleiter am Leibnitz-Institut für Präventionsforschung und Epidemiologie tätig.
Wie hoch ist mein Impfschutz nach sechs Monaten noch?
Eine normale Person mit einer guten Grundimmunität hat direkt nach der zweiten Impfung eine Schutzwirkung von etwa 95 Prozent. Diese sinkt aber und liegt nach sechs Monaten noch bei etwa 60 Prozent. Das ist schon erheblich weniger und das macht es eben aus, dass es mehr Impfdurchbrüche gibt. Die Zahlen zeigen zudem leider, dass auch der Schutz vor schweren Verläufen und Todesfällen abnimmt. Zwar etwas langsamer als der Gesamtschutz, doch es ist davon auszugehen, dass sich bei doppelt geimpften Personen die Zahl der schweren Verläufe und der Todesfälle häufen werden, je länger die zweite Impfung her ist.
Welche Auswirkungen hat die dritte Impfung auf die Schutzwirkung?
Es sieht so aus, dass man nach der dritten Impfung in etwa wieder denselben Schutz wie nach der zweiten Impfung hat. Eventuell liegt die Schutzwirkung sogar etwas höher, und es gibt Hinweise, dass sie deswegen auch länger anhält. Das zeigen die Zahlen aus Israel.
Warum wurde nicht von Anfang an gesagt, dass es drei oder mehr Impfungen braucht?
Über mögliche Auffrischung wurde immer spekuliert, einfach, weil die Schutzwirkung bei vielen Impfungen grundsätzlich irgendwann abnimmt. Aber man hatte natürlich noch keine Zahlen, die belegt haben, wann die Abnahme einsetzt und wie stark das sein wird. Jetzt sind die ersten Zahlen da, zum Beispiel aus Israel, die schon im August mit der dritten Impfung begonnen haben. Daher wissen wir auch, dass wir das Boostern unbedingt brauchen.
In welcher Form sind die Impfstoffe bereits an die Virusmutationen angepasst worden oder wird noch daran gearbeitet?
Die aktuell vorhandenen Impfungen haben eine gute Wirkung gegen die Delta-Variante des Coronavirus, daher ist da keine Anpassung nötig. Sollten andere Varianten kommen, dann muss auch da die Wirkung der Impfungen geprüft werden. Aber das ist im Moment kein größeres Thema.
Was halten Sie von einer Impfpflicht?
Eine allgemeine Impfpflicht und die entstehende Herdenimmunität würden natürlich in einem gewissen Rahmen die Pandemie aus dem Land jagen. Es gäbe sicherlich noch vereinzelte Fälle, aber nicht mehr in der Häufigkeit und schon gar nicht in der Schwere. Aber die jetzt schon vorhandene Konfrontation in der Gesellschaft legt nahe, dass es dann Leute geben wird, die versuchen, diese Pflicht mit allen Mitteln zu umgehen. Zum Beispiel über Fälschungen. Dann stellen sich auch Fragen: Welche Strafen soll es geben, wer überprüft die Impfungen, was geschieht mit Verweigerern? Ich stehe einer allgemeinen Impfpflicht daher skeptisch gegenüber, weil ich die Umsetzbarkeit nicht sehe. Eine Impfpflicht erachte ich nur da als sinnvoll und umsetzbar, wo Menschen regelmäßig viel mit anderen Menschen zu tun haben, und besonders in der medizinischen Versorgung wie in Krankenhäusern oder Pflegeheimen.
Das Gespräch führte Mario Nagel.