Hannelore Niemann ist Ende April 2021 zum ersten Mal geimpft worden. In den Tagen danach, erzählt die 61-jährige Frau aus Harpstedt im Landkreis Oldenburg, habe sie unter akuter Luftnot, starkem Zittern und Kreislaufproblemen gelitten, „so sehr, dass einmal sogar der Notarzt kommen musste“. Kurz darauf, sagt sie, seien die Symptome wieder abgeklungen. Im Sommer folgte die zweite Impfung. Wieder habe sie Beschwerden gehabt, diesmal Hautausschläge, Jucken und Brennen an Armen und Beinen. Inzwischen seien die Beschwerden auf die Nerven übergegangen, schildert sie, „lange Wege zu Fuß schaffe ich nicht mehr, mir fehlt die Kraft“. Jetzt hat sie eine Selbsthilfegruppe gegründet, „weil ich davon ausgehe, dass es mehr Menschen so geht wie mir, als man denkt“.
Was haben die medizinischen Studien zu diesem Thema ergeben?
Die Daten, die weltweit bisher zu Nebenwirkungen von Corona-Impfungen erhoben worden sind, zeigen, dass der größte Teil der Impfungen mit milden oder ganz ohne Nebenwirkungen abläuft. Treten Nebenwirkungen auf, sind sie meist harmlos und klingen schnell ab. Gerade sind in den USA zwei Studien zu diesem Thema vorgestellt worden, über die das Magazin „Spiegel“ berichtet. Forscher haben die Daten von Hunderttausenden US-Amerikanern ausgewertet, die zwischen Dezember 2020 und Juni 2021 geimpft worden sind. Geimpfte, Ärzte und Hersteller haben dafür Impfnebenwirkungen an ein Meldesystem berichtet.
Wie viele Verdachtsfälle werden als bedenklich bezeichnet?
Fast 298 Millionen Impfdosen Biontech und Moderna waren in dem untersuchten Zeitraum in den USA verabreicht worden. 340.000 Mal wurden Nebenwirkungen angezeigt. Davon fielen 92 Prozent in die Kategorie „unbedenklich“. Zu den Symptomen gehörten meist Kopfschmerzen, Erschöpfung, Fieber oder Schüttelfrost. Knapp 22.000 der gemeldeten Verdachtsfälle wurden der Kategorie „bedenklich“ zugeordnet. In diesen Fällen war ein Krankenhausaufenthalt die Folge, eine dauerhafte Behinderung oder eine lebensbedrohliche Erkrankung. In einem zeitlichen Zusammenhang mit einer Impfung wurden 4500 Todesfälle gemeldet. In 800 Fällen wurde eine Autopsie durchgeführt, bei der sich zeigte, dass die meisten an einer Herzkrankheit oder an Covid-19 verstorben waren.
Eine zweite Auswertung fand über eine Smartphone-App statt. Rund acht Millionen Amerikaner hatten ein entsprechendes Formular beantwortet, das ihnen über mehrere Tage zugeschickt worden war. Mehr als die Hälfte von ihnen meldete Symptome, die aber fast alle als „mild“ eingestuft wurden. Weniger als ein Prozent der Teilnehmer musste nach der Impfung zu einem Arzt. Die Forscher halten fest: Impfen sei das wirksamste Mittel, um schwerwiegende Folgen einer Ansteckung zu verhindern. Die Vorteile einer Impfung würden die Nachteile einer Infektion deutlich überwiegen.
Das kann Hannelore Niemann für sich nicht behaupten. „Ich bin keine Impfgegnerin“, sagt sie, „aber impfgeschädigt. Und ich bin kein Einzelfall. Man hört uns nur nicht zu.“ Deshalb habe sie gemeinsam mit einer weiteren betroffenen Frau aus einem Nachbarort die Selbsthilfegruppe gegründet. Am 15. März treffe man sich zum ersten Mal. Zehn Anmeldungen aus der Region lägen ihr vor, sie rechne mit weiteren.
Wie beurteilt das zuständige Paul-Ehrlich-Institut die Situation in Deutschland?
Ähnlich wie die neuesten Zahlen aus den USA belegen auch Statistiken des Paul-Ehrlich-Instituts (PEI), dass Nebenwirkungen bei Impfungen nicht die Regel, sondern die Ausnahme sind. In Deutschland kann jeder, der gegen Corona geimpft ist, beim PEI Nebenwirkungen melden. Das PEI legt alle paar Wochen einen sogenannten Sicherheitsbericht vor; der aktuellste stammt von Anfang Februar. Der hält fest, dass bis zum 30. Dezember 2021 rund 149 Millionen Impfungen in Deutschland durchgeführt worden sind. In rund 245.000 Fällen bestand der Verdacht auf eine Impfnebenwirkung. Für alle vier in Deutschland bis dahin verabreichten Impfstoffe betrug die sogenannte Melderate 1,64 Meldungen pro 1000 Impfdosen. Für schwerwiegende Reaktionen waren es 0,2 Meldungen pro 1000 Impfdosen.
Welche Zahlen sind den Bremer Behörden bekannt?
Von überschaubaren Zahlen berichtet das Bremer Gesundheitsressort. Beim Gesundheitsamt müssen meldepflichtige Impfreaktionen von den behandelnden Praxen angezeigt werden. Gemeint sind Fälle von Herzmuskel- oder Herzbeutelentzündungen, von neurologischen oder thrombotischen Erkrankungen, die im Zusammenhang mit der Impfung stehen könnten. Laut Gesundheitsressort sind bis Ende Februar 31 solcher Fälle gemeldet worden. Das Bremer Sozialressort teilt mit, dass beim Amt für Versorgung und Integration bislang 25 Menschen einen Antrag auf Anerkennung eines Impfschadens gestellt haben. Sieben Fälle seien bislang entschieden worden, alle abschlägig.