Was bei einem Corona-Fall an einer Schule passiert, konnte man zuletzt am Kippenberg-Gymnasium exemplarisch beobachten. Die infizierte Schülerin wie auch der gesamte Jahrgang wurden erst einmal prophylaktisch in häusliche Quarantäne geschickt, insgesamt 150 Personen. Derweil machten sich die Containment-Scouts des Gesundheitsamts daran, die Kontakte der betroffenen Schülerin nachzuverfolgen. Bereits nach einem Tag gab das Gesundheitsamt schon wieder Entwarnung, nur drei Schüler und eine Lehrkraft wurden als engere Kontaktpersonen ermittelt und mussten deshalb in Quarantäne bleiben, alle anderen konnten wieder in die Schule gehen.
Doch plötzlich schien dieses Prozedere nicht mehr zu gelten. Am Donnerstag kursierte die Meldung, Bremen habe die Quarantäne-Regeln an Schulen verschärft. Als Beleg dienten die „neuen Richtlinien“ des Robert-Koch-Instituts (RKI). Danach zählten jetzt alle Personen, die sich mit einem Infizierten im Klassenraum aufgehalten hätten, zur Kategorie 1 der Kontaktpersonen. Und weil die Quarantäne für die Kategorie 1 nicht verkürzt werden könne, müssten nun komplette Klassen 14 Tage isoliert werden.
Beim RKI in Berlin reagierte man überrascht auf die Aufregung in Bremen. Die Regelungen seien keineswegs verschärft worden, sagte RKI-Sprecherin Susanne Glasmacher. „Alles bleibt, wie es war.“ Es gebe auch keine neuen Richtlinien, könne es gar nicht geben. Denn: „Wir geben nur Empfehlungen.“ Es sei immer Sache der zuständigen Gesundheitsbehörden, die Entscheidungen vor Ort zu treffen.
Woher dann aber die Verwirrung um die angeblich neuen Vorgaben? Entstanden ist die Konfusion, nachdem das RKI am 9. September die Empfehlungen zum Management von Kontaktpersonen aktualisiert hatte. Bisher war in sieben Punkten definiert, welche Personen der Kategorie 1 zuzuordnen sind. Das RKI hat jetzt jedoch einen weiteren Personenkreis hinzugefügt. Danach gilt nun auch als Kontaktperson mit höherem Infektionsrisiko, wer „in relativ beengter Raumsituation oder schwer zu überblickender Kontaktsituation mit dem bestätigten Covid-19-Fall (z.B. Kitagruppe, Schulklasse)“ zusammen war, und zwar „unabhängig von der individuellen Risikoermittlung“.
Quarantäneanordnung könne „sinnvoll“ sein
Gerade der letzte Zusatz klingt nach einer schärferen Gangart. Ganz so, als sei eine 14-tägige Quarantäne unter den angeführten Umständen auf jeden Fall angezeigt. Weitaus weniger alarmierend wirkt die Passage freilich im empfohlenen Vorgehen des RKI. Dort heißt es lediglich, eine Quarantäneanordnung für alle betroffenen Personen einer Kitagruppe oder Schulklasse könne „sinnvoll“ sein.
Als Grund für die Aktualisierung verweist das RKI auf häufige Nachfragen. Zahlreiche Gesundheitsämter haben demnach offenbar ein Legitimationsproblem gehabt. „Wenn komplette Klassen in Quarantäne geschickt wurden, hieß es immer wieder: Auf welcher Grundlage geschieht das, wo steht das?“, sagt Sprecherin Glasmacher. Um den Gesundheitsämtern ein Stück weit Rechtssicherheit zu geben, sei der neue Passus hinzugefügt worden. „Der ist aber nicht als Verschärfung gemeint, sondern nur als Konkretisierung.“
Laut RKI wird damit die ohnehin gängige Praxis bei Corona-Fällen bestätigt. Schon vor der Aktualisierung seien auch mal komplette Klassen in Quarantäne geschickt worden, so Glasmacher. Wie die Behörden vorgingen, hänge immer von der konkreten Situation vor Ort ab. „Wenn großzügige Klassenräume vorhanden sind und gut gelüftet werden kann, ist die Lage natürlich anders, als wenn die Räume beengt sind und schon der Griff am Fenster klemmt.“
Eher kopfschüttelnd verfolgt man in der Bremer Gesundheitsbehörde den Trubel. Es habe doch nur eine „kleine Aktualisierung“ gegeben, sagt Ressortsprecher Lukas Fuhrmann. Die habe aber zu keinerlei Änderung des üblichen Vorgehens im Falle eines positiven Covid-19-Befunds bei einem Schüler oder einem Lehrer geführt. „An der gültigen Prozessbeschreibung ändert sich überhaupt gar nichts.“
Und das bedeutet: Bei einem Infektionsfall gilt zunächst eine Quarantäne für den ganzen Jahrgang, allen Betroffenen werden Corona-Tests dringend nahegelegt. Nach Überprüfung der Kontaktnähe zum Infizierten erfolgt die Einstufung in Kategorie 1 oder 2. Keinerlei Quarantäne oder berufliche und private Einschränkung gilt für Angehörige oder Freunde von Kindern, die als Kontaktperson eines Infizierten eingestuft sind. In der Regel folgt Bremen den Empfehlungen des RKI, so Fuhrmann.
Der Gesundheitsbehörde bemüht sich, die Wogen zu glätten. „Wir haben bislang keinen Hinweis auf einen grassierenden Infektionsherd an den Schulen“, betont Fuhrmann. Im gesamten Infektionsgeschehen im Land Bremen stellten die Bildungseinrichtungen bis jetzt nur „einen sehr kleinen Teil“ dar.
17 Fälle an zehn Schulen
Eine Kohorte des Hermann-Böse-Gymnasiums in Schwachhausen ist in Quarantäne, darunter auch 21 Lehrkräfte. Diese Nachricht bestätigte das Gesundheitsressort am Donnerstagabend. In den vergangenen drei Wochen gab an zehn Bremer Schulen 17 Infektionsfälle.
An zwei Schulen wurden jeweils vier Fälle registriert. Laut Gesundheitsbehörde handelt es sich dabei aber nicht um Ausbrüche, sondern nur um Cluster, weil die Betroffenen sich nicht untereinander angesteckt haben. Zusätzlich sind fünf Infektionsfälle in fünf Kitas bestätigt. Betroffen sind drei Kinder und zwei Personen des pädagogischen Personals.