Auf der Terrasse vor dem Eingang stehen große Töpfe mit Mandarinenbäumen. Sie hängen voller Früchte, die reif sind und so intensiv schmecken, dass es ein Genuss ist. Marco Fuchs schält sich das saftige Fleisch heraus, "lecker", sagt er.
Fuchs darf sich von den Mandarinen so viel nehmen, wie er will, er ist der Hausherr auf Gut Landruhe, das früher Landhaus am Rüten hieß, als es noch der Bremer Landesbank gehörte. Die Bank gibt es nicht mehr, sie ist mit ihren faulen Schiffskrediten untergegangen. Vorbei die goldenen Zeiten, als das Management zu festlichen Veranstaltungen lud und dafür besonders gern das Anwesen in Horn-Lehe nutzte. Die hochmögenden Gäste bekamen einen weitläufigen Garten mit altem Baumbestand präsentiert, die Orangerie, wo die Mandarinenbäume und andere Kübelpflanzen überwintern, die Tenne mit ihrem Versammlungsraum für bis zu 120 Menschen – und das Haupthaus natürlich, das so viel Geschichte atmet. Marco Fuchs, Inhaber des Bremer Weltraumunternehmens OHB, übernahm das Gut vor anderthalb Jahren. Er hat den WESER-KURIER zu einem Rundgang eingeladen.

Der Eingang zur geheimnisvollen Gruft: Was mag sich hinter der Tür verbergen?
Der erste Weg führt durch hohe Rhododendren zu einem Zaun, der das Grundstück von den Nachbarn trennt. Fuchs zeigt etwas, was man normalerweise nicht entdecken würde. Es ist der Eingang zu einer Gruft. Die Tür ist zu. "Keine Ahnung was da drin ist", sagt Fuchs, "war das eine Grabkammer oder ein Weinkeller?" Früher, vor Jahrhunderten, vielleicht das eine, später das andere. Das Gut war von 1922 an im Besitz der Familie Menke, ein Name, der in Bremen lange Zeit für den Weinhandel stand. Die Menkes führten eine respektable Firma, gingen Ende der 1980er-Jahre aber in den Konkurs.
Immer noch draußen unterwegs, über den taunassen Rasen, ist die nächste Station eine Skulptur. Sie zeigt eine Frau, die wie hingegossen auf einem steinernen Podest liegt. Carl Philipp Cassell ließ das Kunstwerk vor mehr als 200 Jahren zum Andenken an seine Geliebte, einer Schauspielerin am Bremer Stadttheater, errichten. Der Konsul hatte das Gut, dessen Geschichte bis in das 13. Jahrhundert zurückreicht, 1795 gekauft und ein neues Haupthaus bauen lassen. Architektonisch zog jetzt der Klassizismus ein, vorher stand an der Stelle ein Fachwerkbau.
Hinein ins Haus, durch eine Seitentür, die auf den langen Flur führt. Er ist mit einem Terrazzoboden belegt. Wunderschön, eine kalte Pracht, die dem Raum Klarheit gibt. Überhaupt ist hier nichts, was übertrieben und überladen wirkt. Eine vornehme Gediegenheit, bremisch bescheiden, allerdings auf hohem Niveau. Im Speisesaal, der nach links abgeht, ist der Holzboden mit seinen schmalen Brettern ziemlich abgewetzt, die Spuren von vielen Schritten, womöglich von Tanz. Dort steht der erste weiße und imposant große Kachelofen, es gibt ein paar davon. Sie wurden wie einiges anderes im Haus vom Worpsweder Künstler Heinrich Vogeler entworfen.
Einen Raum weiter betritt der Besucher den Empfang, von dem die große Eingangstür zur Terrasse mit den Mandarinenbäumen abgeht. Auf einem alten Grundriss des Gebäudes ist in dem Raum ein Klavier eingezeichnet – zur Begrüßung ein paar flotte Töne.

Der Aufgang zum Obergeschoss. Im Hausflur liegt Terrazzoboden.
Dann das Kaminzimmer: Hier wacht der Konsul in einem goldenen Rahmen – ein beleibter Herr in rotem Rock, mit einer Perücke auf dem Kopf. Die Schauspielerin muss damals irgendetwas an Carl Philipp Cassell gefunden haben, seine Erscheinung dürfte es eher nicht gewesen sein. Cassell hat anders imponiert. Er war ein erfolgreicher Schiffskapitän, Kaufmann und Reeder.
Der Raum ist eine Schmuckschachtel: Alte Uhren, die mit dezentem Klang zur Stunde schlagen. Weitere Gemälde und eine Sammlung antiquarischer Bücher, darunter sämtliche Werke Friedrichs des Großen. Es gibt einen kleinen Humidor, der die Zigarren frisch hält. Edle Schnäpse für 200 Euro je Flasche. Und Weine, die aber wohl nur als Dekoration dienen. Sie sind alt, teilweise sehr alt und bereits angebrochen. Echt Essig, die noch zu trinken.

Die weißen Kachelöfen hat der Worpsweder Künstler Heinrich Vogeler gestaltet.
Die Treppe hoch, weitere Räume, darunter ein Schlafzimmer. Nebenan stehen zwei Liegestühle, und klar, dass auch Fuchs diese Geschichte kennt, die so gern erzählt wird. In einem der beiden Stühle soll Brigitte Bardot gesessen haben, nicht einmal, sondern häufig. Es war ihr Lieblingsstuhl. Die Menkes hatten ein Sommerhaus an der Côte d'Azur und "BB" war dort regelmäßig zu Gast. Das mit dem Stuhl kann Kolportage sein, Legende oder die Wahrheit. Eigentlich ist das aber egal.
Der Hausherr ist jetzt durch mit allem, vom Keller bis zum Dachboden. Marco Fuchs wird das Anwesen genauso gründlich besichtigt haben, bevor er sich zum Kauf entschloss. Über den Preis hat er mit der Bank Stillschweigen vereinbart. Ein paar Millionen werden es schon gewesen sein – bei dem Grundstück, der Lage und den repräsentativen Gebäuden. Die Räume sollen in erster Linie für kleine und große Treffen genutzt werden, Teambesprechungen, Seminare.
Fuchs hat für das Gut eine GmbH gegründet, vermietet wird zu gleichen Konditionen an OHB und die Nord/LB als Nachfolgerin der ehemaligen Bremer Landesbank. "Das bringt zwar ein paar Einnahmen und deckt die Betriebskosten. Geld verdiene ich damit aber nicht und habe das auch nicht vor", sagt Fuchs. Das Gelände und die Immobilien stehen unter Denkmalschutz, die Sanierung ist programmiert und wird kosten, "ein Zuschussgeschäft", weiß der Gutsbesitzer. Aber ein schönes.