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Bremer Innenstadt Rosskur für das Kontorhaus

Das Bremer Kontorhaus am Markt wird seit November in den unteren Geschossen komplett entkernt, um Platz zu schaffen für das geplante Stadtmusikantenhaus. Statisch ist das eine riesige Herausforderung.
28.02.2024, 11:15 Uhr
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Rosskur für das Kontorhaus
Von Jürgen Hinrichs

Im Tresor soll jede Menge Gold gelegen haben. So wird es erzählt, und Platz dafür wäre gewesen. Es dürften rund 400 Quadratmeter sein, vielleicht auch etwas weniger. Türen gibt es keine mehr, man kann direkt hineinstolzieren. Und steht dann wo? Was ist das hier? Überraschung. Nein. Enttäuschung. Das soll ein Tresor gewesen sein, gefüllt mit massenhaft Gold und Geld? So viel Vorstellungskraft kann niemand haben. Nichts, gar nichts weist auf den früheren Zweck hin. Der Raum ist ein Raum, leer und dunkel, völlig banal. Einzig, dass seine Mauern besonders verstärkt sind, was an einem der Löcher zu erkennen ist, die von den Bauarbeitern hineingeschlagen worden sind. Stahl und Stein, Schicht um Schicht – der Trutz des Tresors. Die Panzerknacker hätten es schwer gehabt.  

Einblick in das Kontorhaus am Markt. In seinen Anfängen vor mehr als 100 Jahren gehörte es der Disconto-Gesellschaft, einer der größten Banken damals in Deutschland. Jetzt ist Christian Jacobs Eigentümer. Der Unternehmer stammt aus Bremens Kaffeefamilie und investiert in seiner Heimatstadt gerade kräftig: Essighaus, Stadtwaage, Kontorhaus, alles Projekte in der Langenstraße, und das bereits fertiggestellte Johann-Jacobs-Haus in der Obernstraße – die vier Perlen einer Kette.

Das Kontorhaus wird in den unteren Geschossen seit November komplett entkernt. Vieles ist schon geschafft, das Entscheidende aber noch nicht: Die innere Ordnung wird umgekrempelt, ein schwieriger und teurer Akt. Das Gebäude hat danach kein Hochparterre mehr – hinfort mit diesem Hindernis, damit der "Handlauf zur Weser", wie Jacobs sein Projekt gerne nennt, auf Straßenniveau glatt durchgezogen werden kann.

Sie räumen aus, räumen nicht ein. Die Männer vom Oldenburger Bauunternehmen Alfred Döpker kämpfen sich durchs Kontorhaus und reißen alles raus, was der neuen Nutzung im Wege ist. Am Ende werden es rund 1100 Kubikmeter Schutt sein. Übrig bleiben in den unteren Geschossen der Rohbau und die Stützen natürlich für das, was oben drüber ist – Etagen, auf denen später Appartements entstehen.

Schwierig unter solchen Umständen, sich das noch einmal vors geistige Auge zu holen. Wie sah das vorher aus? Wo waren die beiden Restaurants, das Café, die Ausstellungsräume des Immobilienentwicklers Justus Grosse, der edle Friseurladen von Roman Kroupa? Schwierig, eigentlich unmöglich. Ähnlich verhält es sich beim Nachdenken, wo genau in dem Gebäude das geplante Stadtmusikantenhaus Platz nehmen wird. Es ist wie bei einem Puzzle, dem noch Teile fehlen. Mit der neuen Ordnung, dem Erdgeschoss, der Ebene darüber, wird das anders sein. Eine klare, aufgeräumte Struktur, die gut bespielt werden kann.

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Jörg Osmers ist der Bauleiter. "Im Bestand zu bauen, ist immer eine Herausforderung, hier aber noch einmal mehr", sagt der Ingenieur. Es ist die Statik, die das Arbeiten kompliziert macht. Mit dem Hochparterre wird ein tragendes Element entfernt. Was tun, damit nicht alles zusammenfällt? Die 15 Stützen auf der 1600 Quadratmeter großen Fläche halten die Obergeschosse. Wenn ihnen sozusagen der Boden unter den Füßen weggezogen wird, muss das in irgendeiner Weise aufgefangen werden. "Das ist ein massiver Eingriff mit enormen statischen Notwendigkeiten", sagt Osmers. Er hat Respekt vor der Aufgabe, macht aber nicht den Eindruck, damit auch nur ein wenig überfordert zu sein. Ein Routinier mit dem gehörigen Ernst, aber auch einer Portion Leichtigkeit. 

Zwei Varianten: Eine aufwendig gearbeitete Stahlkonstruktion umfasst die einzelne Stütze und nimmt ihr quasi das Gewicht ab. Es wird zunächst auf die Wände des Tresors abgeleitet, der unter dem Boden liegt. Wo das nicht möglich ist, auf der Fläche außerhalb des Tresorbereichs, werden die Stahlpfeiler sofort von unten verstärkt. Später, wenn der Tresor abgebaut ist, geschieht das auch mit den anderen Stützen. Im Endeffekt bekommt das Kontorhaus eine neue Gründung. Ist das geschehen, kann das Hochparterre verschwinden.

Diesen massiven Eingriff, von dem Osmers spricht, haben sich andere nicht zugetraut. Viel zu teuer und komplex, befand zum Beispiel die Wirtschaftsförderung Bremen (WFB), deren Hauptsitz bis zum Verkauf des Gebäudes im Kontorhaus war. Erst Jacobs packt das Gebäude so an, dass es durch die weggefallenen Treppenaufgänge nicht mehr so abgeschottet wirkt. Seinen Ausdruck findet das auch in den großen Eingangstüren, die gerade an der Bredenstraße geschaffen werden. Auf eines wird verzichtet, wie eine Nachfrage beim Bauherrn ergab: Der geplante große Giebel in der Langenstraße fällt weg. Ein Sahnehäubchen zu viel offenbar.

Bis zum Herbst soll im Kontorhaus die neue Ordnung hergestellt sein. Voraussetzung für alles Weitere, für den Innenausbau, der sicherlich noch einige Zeit benötigen wird. Geplant war, Ende 2024 mit dem Projekt fertig zu sein. Diese Zielmarke wird unter Garantie verfehlt. Das Stadtmusikantenhaus, maßgeblich angeschoben von Bürgermeister Andreas Bovenschulte (SPD), muss deshalb wohl noch lange warten, bis es an den Start gehen kann.

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