Eine ziemlich bedeutende Zahl scheint im Wirrwarr von Daten und Statistiken fast unterzugehen: 52. Auf diese 52, genauer gesagt auf 52 Gigawatt, hat die Bundesregierung im Jahr 2012 den sogenannten Solardeckel festgelegt. Sobald diese Leistung in Form deutschlandweit installierter Fotovoltaik-Anlagen erreicht ist – was schon in wenigen Wochen der Fall sein könnte –, endet die mit dem Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) beschlossene staatliche Förderung. Danach erhalten Hausbesitzer für neugebaute Solaranlagen auf ihren Dächern keine garantierte Unterstützung mehr.
Dieses Gesetz vereint zwei Merkmale, die für alle Beteiligten wenig schmeichelhaft sind. Zum einen ist die Deckelung für die Energiewende brandgefährlich. Um seine Ökostromziele zu erreichen, muss Deutschland den Solaranteil bis 2030 verdoppeln, was ohne Investitionsanreize nicht machbar ist. Schlimmer ist jedoch: Alle Beteiligten wissen das. Im Rahmen ihres Klimapakets hat die Große Koalition versprochen, den Solardeckel abzuschaffen. Auch die große Mehrheit der Bevölkerung ist aktuellen Umfragen zufolge gegen die Deckelung. Man könnte also meinen, die Entscheidung fiele leicht.
Konkret passiert ist bisher jedoch nichts. Stattdessen verlieren sich CDU/CSU und SPD in politischen Machtspielchen und bedrohen dadurch schätzungsweise 30 000 Arbeitsplätze. Traurigerweise wird dieser Streit auch auf dem Rücken ebenjener Branche ausgetragen, die das zweite Standbein der Energiewende bilden sollte: der Windenergie. Es gibt plausible Argumente, dass die Union die Solarbranche in Geiselhaft nehmen würde, um gegenüber der SPD ihre Verhandlungsposition in Sachen Abstandsregelung für Windkraftanlagen zu stärken.
Zur Erinnerung: Im flächengrößten Bundesland Bayern sind im vergangenen Jahr ganze sechs Windräder neu in Betrieb gegangen. Grund dafür sind strikte Abstandsregeln zu bewohnten Gebieten. Im Vorfeld der aktuellen Ministerpräsidentenkonferenz (MPK) hatte sogar der sonst eher zurückhaltende niedersächsische Landeschef Stephan Weil (SPD) dem Bundeswirtschaftsministerium von Peter Altmaier (CDU) mangelndes Engagement bei der Energiewende vorgeworfen. Erfolglos.
Die MPK endete erneut ohne Einigung über den von der CDU geforderten Mindestabstand von 1000 Metern. Für die angeschlagene Windenergie-Branche rückt der Heilungsprozess in weite Ferne. Mehr als 40 000 Arbeitsplätze gingen der Branche in den vergangenen drei Jahren bundesweit bereits verloren. Strukturschwache Regionen wie Bremerhaven haben besonders stark gelitten.
Aktuell deutet leider einiges darauf hin, dass diese Entwicklung eine Blaupause für die Solarbranche ist. Wenn dem so sein sollte, droht das Scheitern der Energiewende. Auch deshalb mutet es merkwürdig an, wenn sich das Bundesumweltministerium für den Rückgang der Treibhausgasemissionen im Jahr 2019 feiern lässt. Zwar ist der CO2-Ausstoß in der Energiewirtschaft tatsächlich stark zurückgegangen – laut Ministeriumsangaben um 16,7 Prozent gegenüber 2018. Das lag allerdings laut Umweltbundesamt nur am „besonders wind- und sonnenreichen Wetter“. Der Anteil der erneuerbaren Energien an der Stromerzeugung (2019: 42 Prozent) steigt auch deshalb, weil Kohlekraftwerke stillgelegt oder in die Reserve verlegt worden sind.
Private Bemühungen würden einbrechen
Wenn die Energiewende sich aktuell vor allem aus der Hoffnung speist, dass das Wetter in diesem Jahr mitspielt, läuft etwas grundlegend falsch. Dass der Ausbau der erneuerbaren Energien voranschreitet, ist nämlich nicht zu erwarten. Sobald der Solardeckel zuklappt, werden private Bemühungen um grünen Strom massiv einbrechen. Auch um das Risiko einer Stromlücke zu minimieren, muss die Förderung für private Versorgungsmodelle erhalten bleiben.
Ähnliches gilt für die Windkraft. Das Mindeste, was die Große Koalition – und dabei ist vor allem die Union gemeint – einräumen sollte, ist eine flexible Handhabung der Abstandsregelung in jedem Bundesland. Entschlossenes Handeln muss besonders in diesen Zeiten oberste Priorität haben. Was stattdessen momentan in Sachen Energiewende geschieht, ist ein Spiel auf Zeit, in dem angeschlagene Branchen als Spielball fungieren. Und bis die zähe Partie endlich vorbei ist, könnte dem Ball die Luft ausgegangen sein.