Erst vier Jahre alt war Simon Brückner, als sein Vater Peter Brückner Anfang der 1980er Jahre starb. Die hastige Abreise aus einem südfranzösischen Apartment ist die einzige Erinnerung, die der Filmemacher an diesen Tag hat. Peter Brückner wurde als intellektuelle Ikone der 68er bewundert. Die späteren Schulfreunde und Kommilitonen des Sohnes scheinen den Verstorbenen besser zu kennen als er selbst. Psychologe und Hochschullehrer mit Berufsverbot, Vaterfigur der APO, Kommunist und Wehrmachtssoldat – unter all diesen Zuschreibungen versucht Simon Brückner seinen Vater zu finden und macht daraus einen Film.
Das Anliegen von Simon Brückner ist sehr persönlich, er möchte wissen, wer sein Vater war. Postum eine eigene Idee von dessen Persönlichkeit zu entwickeln, ist ein schier unmögliches Unterfangen, und so versucht er es drei Jahrzehnte nach dessen Tod „Aus dem Abseits“ heraus. Dieser Filmtitel ist auch eine Anspielung auf die Initialzündung zum Vater-Sohn-Porträt, der Widmung seines letzten Buchs an die Kinder. Noch heute versuche er in „Das Abseits als sicherer Ort“ irgendeine persönliche Botschaft an sich zu finden, sagt Simon Brückner, der inzwischen 38 Jahre alt ist.
Klaus Becker vom Filmbüro hat daran mitgewirkt, dass der Dokumentarfilm im Kommunalkino City 46 gezeigt wird. Aus seiner Sicht handele es sich nicht nur um ein „sehr bewegendes Porträt“, erzählt er dem Publikum, sondern es sei auch „ein junger Blick auf eine Phase der Bundesrepublik, die anfängt, die Historiker zu interessieren“.
Für seinen Dokumentarfilm hat Simon Brückner alte Bild- und Tonaufnahmen zusammengefügt, sich inhaltlich mit dem auseinandergesetzt, was sein Vater zu Lebzeiten geschrieben und gesagt hat und was die Medien über ihn berichtet haben. Im Mittelpunkt steht dabei vor allem die Berichterstattung über die mehrfache Suspendierung als Hochschullehrer, weil man ihm Verfassungsfeindlichkeit vorwarf und er „Helfershelfer der RAF-Mörderbande“ gewesen sein soll, wie eine Zeitung damals titelte. Simon Brückner spricht mit Verwandten, kontaktiert alte Weggefährten seines Vaters und lässt sich von ihnen erzählen, wie sie den Menschen Peter Brückner gesehen und wahrgenommen haben.
Nach und nach kommt dabei ans Licht: Dort, wo das Private politisch ist, fällt es schwer, im Nachhinein einen Menschen auszumachen. „Wo ich nach meinem Vater suche, begegne ich einer öffentlichen Person“, bringt es Simon Brückner im Film auf den Punkt. In Textform und Äußerungen manifestiert sich ein klares Bild der Gedankenwelt von Peter Brückner, in der alles untrennbar verwoben ist, mit seinem Blick auf das Weltgeschehen, auf das System und die fortwährende Frage nach der richtigen Gesellschaftsform, die in den Jahren um 1968 alles überlagert zu haben scheint. Insbesondere die Beziehungen zu anderen Menschen. Das verdeutlichen die Gespräche mit den Protagonisten. Zu Wort kommen mit Hanna und Wolfi zwei der vier älteren Halbgeschwister von Simon Brückner, seine Mutter, die Publizistin Barbara Sichtermann, und beispielsweise der Verleger Klaus Wagenbach und die Soziologin Petra Milhoffer, die zwei Jahre lang mit Peter Brückner in einer Wohngemeinschaft in Berlin zusammengelebt hat, bevor sie dann Professorin an der Uni Bremen wurde.
Die meisten Gespräche verdeutlichen, dass individuelle Fragen wie, woher kommst du, wer bist du, eigentlich keine Rolle spielten, wenn Peter Brückner sich verliebte oder Kontakt zu Gleichgesinnten aufnahm. Manfred Lauermann, ein weiterer Protagonist des Films, politischer Ziehsohn Brückners und später bekannt als der „Dutschke von Hannover“, sagt: „Ich wusste nicht mal, dass er verheiratetet war oder ob er Kinder hatte.“ Nie hätte er „Peter so etwas Schreckliches wie eine Familie“ unterstellt. Was an dieser Stelle noch einigermaßen amüsant daherkommt, klingt aus dem Mund von Simon Brückners Mutter Barbara Sichtermann schon ernster: Auch sie habe erst nach Peter Brückners Tod erfahren, dass sie seine dritte Frau gewesen ist. Dasselbe sagt Petra Milhoffer, als sie nach der Filmvorführung gemeinsam mit Co-Autor und Cutter Sebastian Winkels vor die Zuschauer trat: „Ich war erstaunt, dass da noch eine Familie mit vier Kindern dahinter war.“ Ingeburg war die erste. Mit ihr war Peter Brückner nach dem Krieg, den er für sich mit dem Desertieren von der Wehrmacht vorzeitig beendet hatte, in der KPD aktiv. Als er sich dann aber später gegen die Fusion mit der SPD aussprach, scheiterte die Ehe mit Ingeburg, und aus demselben Grund flog Brückner von der Uni. Damals noch als Student.
Dann kam Erika, die Mutter von Simon Brückners älterem Halbbruder Wolfi. Eindrücklich schildert er im Film, wie schwer es ihm schon zu Lebzeiten des Vaters gefallen ist, einen persönlichen Zugang zu ihm zu finden. Als der zum zweiten Mal als Hochschullehrer der Psychologie vom Dienst suspendiert wurde, weil er die RAF – namentlich Ulrike Meinhof und Andreas Baader – unterstützt haben soll, habe er nachgehakt, berichtet der Älteste. Auf die Frage, ob an diesen Vorwürfen etwas dran sei, habe er die Antwort bekommen: „Auf Anraten meines Anwalts bin ich nicht bereit, dazu eine Aussage zu machen.“
Das Kommunalkino City 46, Birkenstraße 1, zeigt den Film „Aus dem Abseits“ noch einmal am Montag, 25. April, um 20.30 Uhr und am Dienstag, 26. April, um 18 Uhr.