Sehr froh ist Virginie Kamche, die am Montagabend als Diversity-Persönlichkeit des Jahres ausgezeichnet wurde, über diese Würdigung – „nicht für mich“, sagt sie, „für die Leute, für die ich eine Stimme bin.“ Damit sie sähen, das es etwas bringe, sich zu engagieren. Als Stimme für die vielen Sprachlosen vor allem aus Afrika und aus der ganzen Welt versteht sich die 54-jährige Bremerin, die aus Kamerun stammt und sich als Mittlerin zwischen den Kulturen bezeichnet. Sie hat in Frankreich Bauwesen studiert, später Informatik in Bremen und hat 2010 den Verein Afrika Netzwerk Bremen gegründet. Sie ist ein Sprachrohr der afrikanischen Community in Bremen und herkunftsübergreifende Netzwerkerin, urteilt die Jury.
„Ihre Überzeugung, dass migrantische Perspektiven eine Bereicherung für die Gesellschaft und innerhalb der Entwicklungsdebatte sind, trägt Virginie Kamche in die Gesellschaft hinein“, begründet die Jury ihre Entscheidung. „Es ist ein richtiges Statement, eine schwarze Frau auszuzeichnen, die seit 20 Jahren in Bremen lebt“, bekräftigt Katrin Nissel vom Zentrum für Interkulturelles Management und Diversity der Hochschule Bremen, die den Bremer Diversity Preis vor zehn Jahren mit initiiert hat.
„In Europa muss man putzen“
Egal, was man in einem afrikanischen Land sei, ob Bauingenieurin oder Rechtsanwalt, „in Europa muss man putzen“, sagt Virginie Kamche. Das hat sie selbst erlebt, als sie mit ihrem Mann nach Deutschland kam. Sie kannte das Leben in Europa schon, hatte in Frankreich ihr Abitur gemacht und Bauwesen studiert, bevor sie nach Kamerun zurückgekehrt war, weil es in ihrem Beruf für Frauen kaum Möglichkeiten gab. Wenn Eltern in Kamerun es sich leisten können, schicken sie ihre Kinder zum Studium nach Frankreich, auch die älteren der zehn Geschwister der damals 17-jährigen Virginie Kamche waren schon in Paris, als sie dorthin kam.
Ihr habe es nichts ausgemacht, putzen zu gehen, während sie Informatik studierte, erzählt sie, für ihren mittlerweile verstorbenen Mann, der als Rechtsanwalt mit Status aus Kamerun nach Bremen kam, sei es dagegen sehr schwer und ein Schock gewesen, putzen gehen zu müssen, um die Familie ernähren zu können.
Während in ihrer Heimat Europa als Paradies gesehen werde, in dem alles sauber, alles perfekt sei, fiele hier der Blick auf Afrikaner oft sehr negativ aus, deswegen seien viele Menschen frustriert, fühlten sich nicht verstanden. „Ich habe sehr darunter gelitten, wie mein Verhalten interpretiert wurde“, erzählt Virginie Kamche, die im Bremer Viertel wohnt, und ergänzt: „Wir ticken anders.“ In ihrer Kultur dürfe man einer Respektsperson beispielsweise nicht in die Augen schauen, hier sei dagegen der direkte offene Blick gefragt, um als Person wahrgenommen zu werden. Vieles beruhe also auf Missverständnissen, deshalb müsse man sich kennenlernen, um sich zu verstehen. Sie sei neugierig und offen und „das hat mir sehr geholfen, zu verstehen, wo die Probleme liegen“, betont die engagierte Frau. Menschen zusammenzubringen, insbesondere auch afrikanische Frauen, die am schwersten zu erreichen seien, ist ihr Ziel.
Über das Afrika Netzwerk hilft sie vielen Frauen und Männern, ihre Persönlichkeit zu entwickeln. „Es ist schwer für mich, zu sehen, dass tolle Menschen mit großen Talenten am Rande der Gesellschaft stehen und die Talente nicht genutzt werden“, sagt Virginie Kamche. „Ich bin die Stimme dieser Menschen.“ Sie motiviert Jugendliche und Erwachsene, sich zu bilden, eine Ausbildung oder eine Arbeit zu finden. Sie hilft, wenn beispielsweise ein Journalist mit 15-jähriger Berufserfahrung aus Ägypten, aber noch nicht perfektem Deutsch, eine Aufgabe sucht.
Der zweite große Schwerpunkt ihres Engagements sind Projekte wie das Festival der Kulturen oder „Patch – Näh – Dance“ für Frauen, Fachgespräche, der Tag der Muttersprachen oder Workshops mit Themen wie „Migration aus der Sicht von Kindern“. Alles unter dem Motto „Einigkeit macht stark“.
Das Afrika Netzwerk, das ein Zusammenschluss verschiedener Vereine, Initiativen und Personen ist und die Interessen der in Bremen und Umgebung lebenden Afrikaner vertreten will, möchte sich zukünftig stärker in der Wirtschaft engagieren und Partnerschaften initiieren mit Ländern wie Namibia oder Kongo. Auch eine eine nigerianische Delegation werde demnächst erwartet.
„Kaya-Kayo“ steht auf der Visitenkarte von Virginie Kamche, das steht für eine Gruppe von Leuten, die von Deutschland aus die Einfuhr afrikanischer Lebensmittel nach Europa unterstützen. Um damit auch Menschen vor Ort zu stärken, ihnen auch die Realität in Europa darzustellen, damit sie sich nicht auf den Weg machen und womöglich im Mittelmeer ertrinken.
Virginie Kamche ist seit 2017 fest angestellt als Eine-Welt-Fachpromoterin für Migration beim Afrika Netzwerk, sie hofft, dass nach der dreijährigen Projektlaufzeit weitere Jahre folgen. Zuvor hatte sie als Lehrerin in Horn und Bremerhaven gearbeitet und sich ehrenamtlich für den Verein eingesetzt. Deutsch hat sie im übrigen während ihrer Schwangerschaften gelernt, die beiden Kinder sind mittlerweile Anfang 20 und studieren.
Viele würden nicht verstehen, dass sie nicht als Informatikerin arbeite, aber der Fokus dieser Menschen liege meist auf dem Geld, sagt Virginie Kamche. Für die aus Kamerun stammende, französisch sprechende Deutsche eine völlig fremde Sicht. „Ich liebe das, was ich tue.“
Ausgezeichnete Vielfalt
Mit dem Bremer Diversity Preis des Zentrums für Interkulturelles Management und Diversity der Hochschule Bremen, das den Preis mit dem Namen „Der Bunte Schlüssel – Vielfalt gestalten!“ 2010 ins Leben gerufen hat, werden jährlich Unternehmen, Institutionen und Projekte ausgezeichnet, die ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, Teams, Kundinnen und Kunden mit ihren Bedürfnissen und Fähigkeiten erkennen und fördern. Damit sollen Menschen mit Zuwanderungsgeschichte, verschiedener sexueller Orientierungen und besonderen Befähigungen ermutigen werden, sich als Teil der Organisation und damit der Gesellschaft zu fühlen, die gegen Diskriminierung vorgehen und Chancengleichheit herstellen.
Der Preis wird in enger Kooperation mit dem Mercedes-Benz Werk Bremen und weiteren 13 Trägern verliehen, Schirmherr ist der Bürgermeister, übergeben wird er im festlichen Rahmen in der oberen Rathaushalle. Alle Preisträger erhalten in diesem Jahr ein Preisgeld von 1666 Euro pro Organisation und Projekt, eine Bronzeskulptur der Bremer Künstlerin Gisela Eufe, eine Urkunde und ein Siegel. Zudem würdigt ein professioneller Image-Film jede ausgezeichnete Organisationen in bewegten Bildern für ihren ganz spezifischen Ansatz in Sachen Vielfältigkeit.