Vor zehn Jahren war alles vorbei. Rausgeworfen aus der eigenen Firma, ein Schnitt, brutal. Von einer Stunde zur anderen musste Niels Stolberg seine stolze Backsteinburg auf dem Bremer Teerhof verlassen. Den Ort, der für seine Beluga-Reederei wie eine Kommandobrücke war. Mit Schimpf und Schande hatten die Geschäftspartner aus den USA ihn vom Hof gejagt und kurz darauf wegen Betrugs angezeigt. Stolberg, der kometenhafte Aufsteiger, stand vor dem Nichts, mehr noch: Ihm saßen jetzt die Gläubiger im Nacken, die Staatsanwälte sowieso.
„Das waren harte Jahre“, sagt der Ex-Reeder. Er ist seit Juli 2020 im Gefängnis, hofft als Freigänger auf einen Neuanfang, und jetzt das, unangenehm. Stolberg hat wieder Mist gebaut, das sagt er selbst: „Ein Fehler.“ Der 60-Jährige ist als Berater unter falschem Namen aufgetreten. Niels Stolberg wurde zu Niels Berg. Einmal nur, behauptet er. Doch soll man ihm glauben?
Die andere Seite, eine norwegische Regierungsorganisation, die für Wirtschaftsförderung zuständig ist, teilt mit, dass der Berater den Namen Niels Berg die ganze Zeit verwendet habe, sowohl in den Sitzungen als auch im Schriftverkehr. Von Innovation Norway hatten sich die beiden Unternehmen, denen Stolberg zur Seite steht und die von seinem Schwiegervater geführt werden, Aufträge aus der norwegischen Wirtschaft erhofft. Es ging um den Bau und Betrieb von Fähren mit emissionsfreiem Antrieb. Auch das ist nun vorbei, nachdem vor zwei Monaten aufgeflogen war, um wen es sich bei dem Berater handelt.
Stolberg sitzt kerzengerade am Konferenztisch, er wirkt angespannt. Das Gespräch findet am Dienstag dieser Woche in einer Kanzlei statt, unter juristischer Begleitung. Der Anwalt passt auf wie ein Luchs, damit sein Mandant nichts sagt, was ihm schaden könnte. In den ersten Minuten erzählt Stolberg von seiner Situation. Dass seine Familie, Frau und sechs Kinder, ihm Halt gebe und sie alle gelernt hätten, nicht zu hadern, sondern anzunehmen, was nicht zu ändern sei. Er zitiert Philosophen und Buchtitel, spricht von der Schönheit des Scheiterns und stoischen Weisheiten. „Das Leben geht weiter“, sagt Stolberg, und: „Ich muss an meine Rente denken.“ Kaum ein Wort über das Leben im Gefängnis, in das der Häftling als Freigänger jeden Abend um 22 Uhr zurückkehren muss. Stolberg sagt, er habe dort ein „spartanisches Zimmer“.
Der Unternehmer bewegte in seiner Zeit mit Beluga Milliarden, er war als Reeder so erfolgreich, dass die alteingesessenen Bremer Kaufleute irgendwann ihre Skepsis gegenüber dem Emporkömmling begruben und ihn in ihre Reihen aufnahmen. Krönung war, als er 2008 bei der Schaffermahlzeit, dem ältesten Brudermahl der Welt, Schaffer wurde. Mehr geht nicht. Stolberg engagierte sich für soziale Projekte, saß bei Werder Bremen im Aufsichtsrat und war im Begriff, mit Spiekeroog eine ganze Insel in Besitz zu nehmen. Aus diesem Stolberg, dem so viele erlegen waren, ist ein verurteilter Krimineller geworden, ein Betrüger, der im Gefängnis seine Strafe abbrummt. „Was soll ich machen, es ist nun mal so“, sagte er 2018 in einem Gespräch, das er mit dem WESER-KURIER geführt hatte.
Stolberg, der Egomane – so hat man ihn in seinen Beluga-Jahren beschrieben. Ein Berserker, der vor Ideen nur so sprüht, immer weiter will, schnell und schneller, und dabei zwar gerne von der „Beluga-Family“ schwärmte, vom besonderen Geist seines Unternehmens, oft aber auch brutal deutlich machte, wer in dieser Familie das Oberhaupt ist. Einer seiner früheren Mitarbeiter schilderte vor Gericht, welches Wechselbad der Gefühle er im Verhältnis zu seinem damaligen Chef durchlebt habe: „Er hat mich angeschrien und komplett rund gemacht.“ Mehr noch: Er sei von Stolberg „gebrochen“ worden. Mit dem Ergebnis, dass er nicht etwa Abstand gesucht habe, sondern im Gegenteil unbedingt wieder seine Gunst erwerben wollte.
Die Staatsanwältin nannte das „Zuckerbrot und Peitsche“. Stolberg habe in „blindem Ehrgeiz“ gehandelt und eine hohe kriminelle Energie an den Tag gelegt. Ihm fehle es an Reue und Einsicht. „Reue?“, entgegnete Stolberg, „die spüre ich jeden Tag.“ Er wolle seine Ruhe. „Ich will nie wieder etwas Großes machen.“
Der Unternehmer hatte nach der Beluga-Pleite Privatinsolvenz angemeldet. Bei seinen Gläubigern steht er mit vielen Hundert Millionen Euro in der Kreide. Geld, das wohl nie wieder reinkommt. Trotz Insolvenz und Schulden konnte sich Stolberg für seinen Prozess und die Revision die teuersten Anwälte der Republik leisten. „Ich habe Gönner“, sagte er damals zur Erklärung. Nach Auffassung der Staatsanwaltschaft war es anders: Stolberg habe kurz nach dem Rausschmiss bei Beluga im März 2011 noch schnell eine Motorjacht verkauft, die einer seiner Gesellschaften gehörte. Mit dem Geld, 450.000 Euro, habe er sich den besten juristischen Beistand sichern können. Die Staatsanwaltschaft ließ am Ende aber davon ab, dem weiter nachzugehen.
Als der WESER-KURIER im Februar 2018 mit Stolberg sprach, waren es nach 68 Verhandlungstagen noch drei Wochen bis zum Urteil. Der Angeklagte erzählte, dass er seit drei Jahren an einer neuen Art des Schiffsantriebs arbeite, mit Wasserstoff und Brennstoffzelle. Da ist er offenbar drangeblieben, nun als Berater. Stolberg versucht etwas, scheitert, und versucht es wieder. Er ist kein Reeder mehr, auch kein Millionär, bleibt aber getrieben von seinen Ideen und davon, etwas Besonderes zu sein.