„Du, guckst du dir auch mal unser Kunstwerk an?“ fragend zupft ein Zweitklässler am Ärmel der Journalistin. Die steht im Parterre der Weserburg inmitten von schätzungsweise 500 Kindern und versucht, sich bei der Vernissage der Ausstellung „Schau mal . . . Land in Sicht“ erst mal einen Überblick zu verschaffen. Gar nicht so leicht angesichts einer beeindruckenden Fülle von kreativen Kunstwerken, die jugendliche Künstler aus allen Stadtteilen Bremens und Bremerhavens geschaffen haben. 37 Kinder- und Jugend-Einrichtungen waren an dem Projekt beteiligt, das ist rekordverdächtig. Inspiriert von der aktuellen Schau „Land in Sicht / 400 Jahre Landschaftsbilder“ in der Weserburg begleiteten 32 professionelle Künstlerinnen und Künstler ihre jugendlichen Kollegen im Alter zwischen drei und 18 Jahren auf ihren Stadt-Erkundungs-Spaziergängen. Die durch die intensive, kritische Auseinandersetzung mit der Natur entstandenen Landschaftskunstwerke sind bis Sonntag, 4. Oktober, in der Weserburg zu sehen. Der Verein Quartier, der vor 25 Jahren gegründet wurde, hat mit dem Kinderkulturprojekt 2015 „Schau mal . . . Land in Sicht“ nicht nur der kooperierenden Weserburg, sondern auch den jungen Künstlerinnen und Künstlern und sich selbst ein Geschenk zum Jubiläum gemacht.
Der Steppke mit den blonden Locken gibt indes nicht auf und blickt aus großen blauen Augen zu mir empor: „Du, kommst du jetzt mit?“ Aber klar doch. Ich unterbreche mein Gespräch mit Amir Omerovic, der sein Atelier in Woltmershausen hat und mit seinen Schützlingen von der Kinderschule Bremen aus Hemelingen gearbeitet hat. „Wir haben uns auf das Thema Umwelt und den Umgang mit der Natur geeinigt“, erzählt Omerovic. In einer großen Gemeinschaftsarbeit wurde von den neun Sieben- bis Zehnjährigen erst mit Farben ein Bremen-Bild gemalt. Das großformatige Duplikat gestalteten die Kinder dann mit im Stadtteil gefundenen Gegenständen und gefundenem Müll. Jedes Kind malte aber auch ein eigenes Bild.
Vom Leuchtturm zum Flughafen
Der Zweitklässler Walter Georg vom Kinder- und Familien-Zentrum Wasserturm in Bremen-Blumenthal nimmt mich jetzt an die Hand und zieht mich zu einer idealen Landschaft, die er mit seinen Kameradinnen und Kameraden aus Pappmaschee gestaltet hat: Ein grünes Palmen-Paradies, durchzogen von reichlich Wasser. Vom Leuchtturm am Badestrand bis hin zum Flughafen neben einer Weide, vom christlichen Friedhof bis hin zur Moschee entstanden die unterschiedlichsten Szenerien. Ebenfalls zu sehen: Ein Dampfer und eine Schwebebahn. „Wir haben uns erst mal vom Wasserturm der Kita aus einen Überblick verschafft“, erzählen Hawa, Walter Georg und Steffy, die zu Ehren der Vernissage ein besonders schönes Sommerkleid und Blüten im Haar trägt.
Unweit leuchtet von einer Fensterbank her eine Reihe von Diorama-Boxen herüber. Die Kinder von der Schule an der Witzlebenstraße in der Neuen Vahr haben sich unter der Leitung der Künstlerin Katrin Seithel in der „Land in Sicht“-Ausstellung unter anderem von Franz Radziwills „Der kleine Hafen“ zu acht Dioramen inspirieren lassen. In den kleinen Schaukästen sind beispielsweise ein schwarzer Vulkan oder rosa Flamingos zu sehen, die unter kleinen Papp-Sonnenschirmchen stehen. Besonders schön sind auch die fantasievoll gestalteten, bunten Pflanzenobjekte in Keramik, die die vier- bis sechsjährigen Kinder der Kita Osterholz, Conpart, unter der Leitung der Künstlerin Caroline Schwarz geschaffen haben. Die Landschaft zur Bühne machten die 13- bis 15-Jährigen von der Gesamtschule Mitte in der Östlichen Vorstadt. Unter der Leitung von Dorit Hillebrecht nahmen sie die in der Weserburg ausgestellten flächigen Bilder als Vorlage, um in der Stadtteilwerkstatt nach diesem Vorbild dreidimensionale Bühnenbilder anzufertigen. Mit dabei war auch Jan, der 13-jährige Sohn von Breminale-Macherin Susanne von Essen aus dem Geteviertel. „Jan ist eigentlich nicht kunstaffin, aber er hat mit sehr großer Begeisterung an diesem Projekt teilgenommen. Ich bin sehr stolz auf ihn. Das ist genau der richtige Weg“, betont sie. Ganz außergewöhnlich ist das Projekt „Impromptu der Natur“. Der Komponist Peter Friemer nahm zunächst mit den Kindern von der Kita an der Höhpost in Huchting Geräusche von Enten, Fröschen und Vögeln in der freien Natur auf, um sie dann mit seinen musikalischen Improvisationen zu verweben. Auf Baumstümpfen sitzend kann man diesen besonderen, groovend stampfenden Natursounds über Kopfhörer lauschen. Passend dazu wurde aber mit Pinseln auch visuell ein Klangraum entwickelt. „Begleitet von Trommelrhythmen entwarfen die Kinder mit dynamischen Bewegungen die Landschaften“, erläutert Friemer. Vorwitzig und von einer gewissen Gesellschaftskritik geprägt sind die Bildhauerarbeiten, die von den Kindern vom Treff Spielhaus und Hort Kita Wischmannstraße in Kattenturm/Huckelriede stammen. Auf einem Fundstück, einem großen Ast, haben sie unter Anleitung des Künstlers Markus Keuler die „Streikenden in der Landschaft“, mal in Ton geformt oder in Holz gefräst, drapiert. Auf diese Weise reflektierten sie, weshalb ihre Erzieherinnen eigentlich gestreikt haben. So halten die Figürchen Tafeln in die Höhe, auf denen gefordert wird: „Mehr Umwelt!“, „Mehr Landschaft!“ oder „Mehr Geld, mehr gute Laune, mehr Kindergärten!“ „Mehr Kultur!“ ließe sich der Forderungskatalog mühelos ergänzen. Denn Kunst ist zwar schön, macht aber, nach Karl Valentin, auch viel Arbeit und kostet eben auch Geld. Das gilt selbstverständlich auch für die Museumspädagogik.
Zwar hat Kulturstaatsrätin Carmen Emigholz (SPD) sehr zur Freude von Projektleiterin Andrea Siamis vom Quartier, die Schirmherrschaft über das Kinderkultur-Jahresprojekt übernommen und findet bei der Vernissage auch warme Worte für alle Beteiligten: So etwas müsse in dieser Stadt immer möglich sein, trotz Haushaltsnotlage. Geld gibt es von Seiten des Kulturressorts für die museumspädagogische Arbeit der Weserburg indes nicht. Umso lobenswerter, dass eine Reihe von Sponsoren diese blamable Lücke füllen. Allen voran die Gewoba, die den Kindern und Jugendlichen die Ausflüge in die Natur und die künstlerische Ausstattung ermöglichte. Und die Sparkasse Bremen prämiert das Kinderkulturprojekt im Ideenwettbewerb „Bremen macht Helden“ mit einer Förderung. Immerhin steuerte auch das Sozialressort und die Start-Jugend-Kunst-Stiftung Bremen finanzielle Unterstützung bei. „Weserburg goes Tenever“, strahlt bei der Vernissage Peter Friese, der frisch gekürte Direktor der Weserburg. „Diese Ausstellung ist der beste Beweis dafür, dass wir unsere sozialen Aufgaben sehr ernst nehmen und dass die Weserburg in die gesamte Stadt hinein ausstrahlt.“ Und an die jugendlichen Künstlerinnen und Künstler gewandt, betont der Direktor: „Ihr habt in diesem Projekt gelernt, die künstlerische Aufgabe als Auseinandersetzung mit der Wirklichkeit zu begreifen. Und die Weserburg ist der geeignetste Ort dafür“.
Die Ausstellung „Schau mal ... Land in Sicht“ ist in der Weserburg bis Sonntag, 4. Oktober, zu sehen, und zwar dienstags bis sonntags von 11 bis 18 Uhr und donnerstags von 11 bis 20 Uhr. Der Eintritt ist frei. Zu der Schau werden umfangreiche Mitmachaktionen angeboten. Weitere Informationen unter www.quartier-bremen.de.