Bremen. Die Weserburg summt vor jugendlichen Stimmen. Dila und Sophie tänzeln vergnügt durch die Weltkunst-Ausstellung „Mir ist das Leben lieber. Sammlung Reydan Weiss“ zum 25. Jubiläum der Weserburg. Sie tragen selbst gefertigte Masken aus bemaltem Pappmaschee. Dila ist zu einem kleinen Fuchs namens „Edna“ geworden. „Sie bringt netten Leuten Glück und Schlauheit! Bösen Leuten bringt sie Unglück und Dummheit“, sagt sie. Na, wenn das keine Ansage ist. Sophie hat dagegen für sich ein violettes Einhorn mit blau-grün geringeltem Horn und blonden Zöpfen namens „Fluffy Unicorn“ gewählt.
Die Fünftklässlerinnen von der Kunst AG Kattenesch an der Schule an der Alfred-Faust-Straße haben mit zehn Mitschülerinnen und Mitschülern einmal pro Woche die Weserburg besucht, um sich unter dem Motto „Superhelden“ und der Anleitung des Künstlers Markus Keuler zu ihren fantasievollen Masken inspirieren zu lassen. Der venezianische Karneval stand dabei unverkennbar Pate.
Insgesamt haben 600 Kinder und Jugendliche aus 38 Kinder- und Jugendeinrichtungen – Schulen, Kitas, Spielhäuser und Bürgerhäuser – aus allen Bremer Stadtteilen im Alter von drei bis 18 Jahren teilgenommen. Im Rahmen von „Anders leben“, dem Kinderkulturprojekt des Vereins „Quartier“ in Kooperation mit der Weserburg, haben sie in monatelanger Arbeit eine unerschöpfliche Vielfalt von Kunstwerken geschaffen. Viele waren mit ihren sichtlich stolzen Eltern zur Vernissage gekommen. Die Ausstellung ist bis zum 8. Januar 2017 in der ersten Etage des Museums für moderne Kunst zu sehen, bei freiem Eintritt.
Das nötigt Kulturstaatsrätin Carmen Emigholz (SPD) bei der Vernissage Respekt ab. „Wir versprechen euch, dass es auch im nächsten Jahr so ein Projekt geben wird“, sagt sie. „Ich werde das dem Bürgermeister erzählen.“ Die Botschaft hören wir wohl... Einstweilen wird das soziokulturelle Großprojekt von verschiedenen Stiftungen und Fonds finanziert. Und die Gewoba ermöglicht den Kindern und Jugendlichen aus den verschiedenen Stadtteilen die Anreise zur und die Besuche in der Weserburg sowie die Ausstattung mit künstlerischen Malutensilien. „Ohne die Unterstützung der Geldgeber hätten wir das nicht geschafft“, betont Projektleiterin Andrea Siamis vom Verein „Quartier“ bei der Vernissage. Sie freut sich über die Realisierung des bereits dritten Kinderkultur-Kooperationsprojekts mit der Weserburg: „Das ist für uns ein bisschen wie Weihnachten!“
Statt einer konkreten Zusage für finanzielle Unterstützung hat Carmen Emigholz immerhin gute, leutselige Worte zu bieten: „Es ist toll, dass der Direktor eines so wichtigen Hauses solche Projekte anbietet. Ich freue mich darüber. Das ist ganz super!“ Der Angesprochene lächelt und lobt die spannenden Arbeiten der jungen Künstler: „Diese Ausstellung ist in einer Welt, die zunehmend aus den Fugen zu geraten scheint, das Bekenntnis der Weserburg zu Integration und Teilhabe. Wir sind der geeignete Ort, um Gegenwartskunst an junge Menschen weiterzugeben. In dieser Ausstellung geht es um kulturelle Identitäten, so spielen auch Themen wie Religion und die kulturgeschichtliche Bedeutung von Kopftüchern eine Rolle“, betont Peter Friese.
Und schon geht es mitten hinein in die Ausstellung „Anders leben“: Da steht Ali vor einer Bilderwand, eng an Delia Nordhaus geschmiegt, und will sie gar nicht mehr loslassen. Er schaut sich gemeinsam mit der Künstlerin sein Werk an: An einem Strick baumelt eine in eine schwarze Burka gehüllte Gestalt mit glühend roten Augen, „der geheime Tod“ steht daneben.
Delia Nordhaus aus Walle hat mit den acht Kindern der heilpädagogischen Tagesgruppe der St. Petri Kinder- und Jugendhilfe aus Osterholz-Tenever drei bis vier Stunden pro Tag in der Weserburg verbracht. Anfangs sei es schwierig gewesen, die Konzentration der Acht- bis Elfjährigen aufrecht zu erhalten. „Dann aber habe ich ihnen von der Freiheit der Kunst erzählt, die heutzutage oft gar nicht mehr gegeben ist“, erzählt Nordhaus. Sie gab den Kindern im Gegenzug die größtmögliche Freiheit und siehe da: Es geschah ein kleines Wunder in puncto Konzentration.
Das Geheimrezept: „Sie durften Dinge machen, die man sonst nicht machen darf“, berichtet Nordhaus. Das bedeutete: Fotografien von den Kunstwerken aus der Ausstellung „Mir ist das Leben lieber“ durften übermalt werden. Dass auf den ausgewählten Bildern immer wieder das Motiv von zugenähten Mündern zu sehen ist, spricht Bände. Doch im Zuge des Projektes lernten die Kinder, ihre Sprachlosigkeit zu überwinden, auch das vermag die Beschäftigung mit den schönen Künsten zu bewirken – und das ist viel. „Sie haben gelernt, das, was sie im Kopf haben, durch die Kunst zu kompensieren und dabei ein neues Selbstwertgefühl entwickelt“, resümiert Delia Nordhaus.
In unmittelbarer Nachbarschaft gibt es eine große Vielfalt von schönen Perlen und wildem Schmuck zu entdecken. Die Künstlerin Rosa Jaisli hat mit den Kindern des DRK Kinderhauses Kleine Marsch in Hemeligen wunderschöne, in allen Regenbogenfarben schillernde Perlen-Colliers geschaffen. „Schließlich ist Schmuck ein Ausdruck menschlicher Identität“, sagt die Künstlerin, die sich mit ihrer Gruppe zudem von einem Besuch im Übersee-Museum inspirieren ließ. Ein Collier schmückt sogar ein kleiner Pfau aus Plastik. Die Vier- bis Sechsjährigen haben aber auch Styroporköpfe mit Muscheln, Glasperlen und Naturmaterialien nach allen Regeln der Kunst verziert.
Auch ihre Künstlerkollegin Sylvia Dierks ließ sich nicht nur in der Weserburg von den Masken des holländischen, in Simbabwe lebenden Künstlers Dan Halter inspirieren, sondern auch von den Masken in der Afrika-Ausstellung des Übersee-Museums. Zusätzlich angeleitet von Susanne Hammacher, Teamleiterin Bildung und Vermittlung im Übersee-Museum, fertigten die Sieben- bis Zehnjährigen kunstvoll bemalte und mit Perlen und Bast verzierte afrikanische Maskenwesen an.
Wie die Arbeiten von Profis kommen die Werke der 17- bis 18-Jährigen der Kunst AG von der Oberschule am Leibnizplatz daher. Unter Anleitung der Neustädter Künstlerin Claudia A. Cruz haben sie 20 hochkarätige Video- und Foto-Kunstwerke geschaffen, bei deren Betrachtung man unwillkürlich an die Verhüllungsdebatten rund um die Burka denkt. Das sei allerdings gar nicht die Intention gewesen, erläutert Claudia A. Cruz: „Wir haben uns vorgestellt, wie das wohl wäre, wenn Außerirdische zu uns auf die Welt kämen und versuchen würden, uns zu imitieren.“ Und sie betont abschließend: „Der Rahmen, den Quartier uns für diese Projekte gibt, ist extrem wichtig.“