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Winkelmanns verkaufen Gemüse aus Grasberg Die letzten Kohlhöker in Bremen

Bremen. Ein Urgestein, ein Unikat, eine Institution – Otto Winkelmann kennen viele Bremer. Der Landwirt aus Grasberg fährt immer donnerstags und freitags durch die Stadt, um Gemüse und Wurst vom eigenen Bauernhof in den Straßen zu verkaufen.
09.08.2014, 00:00 Uhr
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Von SASKIA BÜCKER

Ein Urgestein, ein Unikat, eine Institution – Otto Winkelmann kennen viele Bremer. Der Landwirt aus Grasberg fährt immer donnerstags und freitags durch die Stadt, um Gemüse und Wurst vom eigenen Bauernhof in den Straßen zu verkaufen. Nun ist er 90 Jahre alt geworden. Anwohner im Viertel nahmen das zum Anlass, ihm zu danken – nicht nur für seine zuverlässige Versorgung mit Lebensmitteln, sondern vor allem für seine Herzlichkeit.

Es ist bereits später Abend, da rollt der Pritschenwagen von Otto Winkelmann und seinem Sohn Dieter durch die Seilerstraße im Viertel. Nächster Halt: „Die kleine Kneipe“ an der Ecke Eschenstraße. Die Anwohner kennen das Bild: Otto Winkelmann sitzt auf dem Beifahrersitz, die Geldbörse in der Hand. Sohn Dieter steigt aus und öffnet die Ladefläche. Kartoffeln, Karotten, Gurken, Radieschen und natürlich die selbst gemachte Leberwurst sind im Angebot.

Wer beim Junior kauft, der inzwischen 64 Jahre alt ist, begrüßt meist auch den Senior an der Wagentür. „Otto, wie is‘?“, fragen die Stammkunden und gratulieren dem Landwirt zu seinem 90. Geburtstag. „Alles bestens“, antwortet er. Dann folgt ein kleiner Plausch, Otto Winkelmann hat immer etwas zu erzählen.

Der Bauernhof sei immer noch „ein hartes Stück Arbeit“, erzählt der 90-Jährige. Er mache inzwischen nur die Kartoffeln. Sohn Dieter und dessen Junior, der 24-jährige Sven Winkelmann, versorgen die 170 Tiere auf dem Hof und kümmern sich um den Gemüseanbau.

Otto Winkelmann hat viel erlebt in seinem langen Leben. Gerne gibt er Ratschläge und erzählt einen Schwank aus dem eigenen Leben, mit viel Herz und trockenem Humor. Über den Zweiten Weltkrieg spricht er mit den Kunden ebenso wie über die aktuelle Lage in der Ukraine oder die Vor- und Nachteile von Bioanbau.

1949 fuhr der Kohlhöker erstmals mit Gemüse durch Bremen, damals noch gemeinsam mit seiner Frau Anna im Pferdewagen. Um ein Uhr nachts ging es in Grasberg los. Vorher wurden noch kurz die Kühe gemolken. Um sechs Uhr gab es einen kurzen Stopp in Riensberg, um die Pferde zu füttern, bevor der Wagen dann durchs Viertel und Schwachhausen holperte. „Bei Wind und Wetter, im Winter wie im Sommer“, erzählt Otto Winkelmann und zeigt einige alte Fotos.

Vieles hat sich seitdem verändert: Aus dem Pferdewagen wurde ein Mercedes-Sprinter, den inzwischen sein Sohn fährt. Aus der mehrstündigen Anreise am frühen Morgen wurde eine kurze Autofahrt. Los geht es um halb zwei zur Mittagszeit, verkauft wird bis in die späten Abendstunden. „Die Menschen arbeiten ja den ganzen Tag. Da kaufen sie erst abends ein“, sagt Otto Winkelmann. Geblieben ist das herzliche Verhältnis zu den Kunden, worüber sich die Winkelmanns sichtlich freuen. „200 Stammkunden haben wir“, sagt Dieter Winkelmann.

Der vergangene Donnerstag war für Vater und Sohn besonders lang: Die Stammkundschaft aus dem Viertel stieß auf Ottos Jubiläum an. Wo sonst als in der vertrauten „Kleinen Kneipe“, in der sich der Landwirt bei seiner Tour durch die Innenstadt auch gerne im Winter aufwärmt? Stammkundin Regina Dietzold trug ihm sogar ein Gedicht vor, passend zum Leben auf dem Bauernhof. „Otto ist topfit im Kopf. Eine Persönlichkeit wie ihn trifft man nicht allzu häufig“, sagt die Anwohnerin. Seit 35 Jahren kaufe sie bei ihm ein. „Das ist schon etwas ganz Besonderes.“

„Das Viertel ohne Winkelmann wäre wie ein Bahnhof ohne Züge“, meint Anwohner Klaus Müller. Er trifft sich häufiger mit seinem Freund Bernd Schwarz im Restaurant „Tangente“ an der Berliner Straße. Dort halte auch immer der Pritschenwagen. Wann die Winkelmanns dort ankämen, wisse man allerdings nie so ganz genau. Meistens erst spät, gegen 21 Uhr. „Jungs, seid ihr da?“, rufe Otto ihnen dann zu. Er verkörpere all das, was den Leuten heutzutage im Supermarkt fehle: eine authentische Person und Kommunikation auf persönlicher Ebene.

Erst wenn der letzte Kunde am späten Abend gegangen ist, machen sich die Winkelmanns auf den Heimweg nach Grasberg. Der Verkauf geht am Freitag weiter. „Morgen fahren wir nach Schwachhausen.“ Ihr Wagen finde seinen Weg inzwischen fast von selbst, erzählen Vater und Sohn lachend. So oft sind sie die Strecke schon gefahren.

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