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Bremer Ermittlungsbehörden fehlt Personal Encrochat-Verfahren: Zu viele Drogenhändler geschnappt

IT-Experten der Polizei ist es gelungen, die verschlüsselte Kommunikation von Drogen- und Waffenhändlern zu knacken. Was zu zahlreichen Verhaftungen führte. Und in Bremen jetzt zu einem besonderen Problem.
01.11.2021, 18:30 Uhr
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Encrochat-Verfahren: Zu viele Drogenhändler geschnappt
Von Ralf Michel

40 mutmaßliche Rauschgifthändler verhaftet, jede Mengen Drogen, Waffen sowie Bargeld in Höhe von mehr als einer Million Euro sichergestellt – in den sogenannten Encrochat-Verfahren reiten die  Ermittlungsbehörden auf einer Welle des Erfolgs. Doch gerade die stelle Polizei und Justiz in Bremen vor ein Problem, sagen Innen- und Justizbehörde: Mit dem derzeitigen Personal sei das alles nicht mehr zu schaffen. Ganz zu schweigen davon, dass wegen dieser Verfahren andere angezeigte Straftaten unbearbeitet liegen blieben.

"Encrochat" steht für einen Coup der französischen und niederländischen Polizei: Deren IT-Experten gelang es, den verschlüsselten Dienst des Anbieters Encrochat zu knacken, der den Sicherheitsbehörden als "Whatsapp für Kriminelle" gilt. Drei Monate lang, von März bis Juni 2020, konnten die Ermittler unbemerkt Daten von etwa 60.000 Nutzern des Kryptochat-Dienstes sichern, ein Großteil davon betraf Drogen- und Waffenhändler. 4500 der überwachten Handys hatten einen Deutschlandbezug, davon 500 nach Bremen.

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Aus dem bislang entschlüsselten Datenbestand resultierten in Bremen bisher 143 Ermittlungsverfahren, heißt es in einem gemeinsamen Bericht von Innen- und Justizbehörde. Bei den beschuldigten Personen dieser Verfahren handelt es sich durchweg um Tätergruppierungen der Organisierten Kriminalität, in der Regel geht es dabei um Drogen- und Waffenhandel. Bremen, insbesondere der Bremerhavener Hafen, gilt als ein Hauptumschlagsort für Kokain und andere Betäubungsmittel.

Kokain, Waffen und Granaten

Das Ausmaß der Kriminalität deuten die in den bislang zwölf Bremer Gerichtsverfahren genannten  Betäubungsmittelmengen an: mehr als eine Tonne Cannabis, rund 440 Kilo Kokain, rund 17 Kilo Amphetamine und etwa 2000 Ecstasy-Pillen. Außerdem ging es um über 100 Schusswaffen, darunter Maschinengewehre sowie voll- und halbautomatische Waffen nebst Munition sowie 20 Granaten. An Vermögenswerten – unter anderem Bargeld, Immobilien und Pkw – konnten in diesen zwölf Verfahren fast drei Millionen Euro gesichert werden. Dies alles resultierend aus entschlüsselten Chatverläufen über einen Zeitraum von lediglich drei Monaten, betonen die Ermittlungsbehörden.

Vier der Verfahren vor dem Landgericht sind bereits abgeschlossen. Sie endeten für die Angeklagten mit Freiheitsstrafen zwischen zweieinhalb und zwölfeinhalb Jahren. Nicht mehr als ein Anfang: Neben den zwölf angeklagten sowie drei eingestellten Fällen sind derzeit weitere 46 der insgesamt 143 Ermittlungsverfahren in Bearbeitung. Die restlichen 82 befinden sich noch gänzlich unbearbeitet in der Warteschleife. 

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Die Encrochat-Verfahren gelten als arbeitsintensiv. Das beginnt bei dem zu sichtenden Datenvolumen – allein in Bremen sind 1.885.318 Chat-Zeilen auszuwerten – und endet in langwierigen und strittig geführten Gerichtsverfahren. Hinzu kommt, dass den deutschen Behörden laut Polizei "zeitnah" die gesicherten Daten eines zweiten Kryptohandy-Anbieters übermittelt werden, den ausländische Behörden entschlüsseln konnten. Es soll sich dabei um die nahezu vierfache Menge der Daten handeln, die im Zusammenhang mit den Encrochat-Verfahren zu bearbeiten sind.

Mehr Sicherheit in den Stadtteilen

Laut Innen- und Justizbehörde bietet sich hier eine "historische und nahezu nie dagewesene Chance im nachhaltigen Kampf gegen Banden- und Clankriminalität in Bremen", was sich "substanziell positiv auf zahlreiche Deliktbereiche und die Sicherheit in den Stadtteilen auswirken" könne. Das führe andererseits aber zur  enormen Arbeitsbelastung in den beteiligten Strafverfolgungsbehörden. Hiervon zeuge unter anderem, dass trotz der Bündelung von Personalressourcen und unter Zurückstellung anderer Aufgaben in den vergangenen zwölf Monaten "letztlich nur elf Prozent der Encrochat-Verfahren erledigt werden konnten".

Innen- und Justizbehörde leiten hieraus einen zusätzlichen Personalbedarf ab, der bis 2026 mit rund zehn Millionen Euro zu Buche schlagen würde. Dazu kommen weitere 4,1 Millionen Euro für Arbeitsplatzausstattung und die Anmietung eines  Sitzungssaals. Im Gegenzug seien allerdings auch Einnahmen in beträchtlicher Höhe zu erwarten, argumentieren die beiden Ressorts gegenüber dem Senat: Die bisher sichergestellten Bargeldbeträge von 1,4 Millionen  Euro in einem relativ kleinen Anteil an Verfahren im gesamten Encrochat-Komplex sowie die erfolgten Verurteilungen "lassen durchaus erwarten, dass ein Teil der Ausgaben in den nächsten Jahren über die Einnahmen refinanziert werden kann".

Zur Sache

Verstärkung für "Thor"

Im Landeskriminalamt wurde eigens für die Encrochat-Ermittlungen die „Besondere Aufbauorganisation Thor" eingerichtet. Hier arbeiten derzeit 45 Kräfte. Bei der Staatsanwaltschaft kümmern sich zehn Mitarbeiter um die Encrochat-Fälle, am Landgericht sind sieben der 13 Strafkammern damit befasst. Aus Sicht von Innen- und Justizressort werden befristet bis Ende 2025 insgesamt 39 weitere  Stellen benötigt – 22 bei der Polizei (Fachpersonal für  Vermögensabschöpfung, Finanz- und IT-Ermittlungen sowie  Datenanalyse), zwölf bei der Staatsanwaltschaft (Staatsanwälte, Service- und Datenerfassungskräfte), fünf am Landgericht (Richter und  Wachtmeister).

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