Vegesack. „Muskelprotz“, denkt der Kopf. In Großbuchstaben und am Ende mit einem Ausrufezeichen. Vor dem inneren Auge hat sich ein stämmiger Kerl aufgebaut. Kann ja nicht anders sein, wenn einer in der Lage ist, 150 Kilo zu stemmen. Andrew Fiocco, amerikanischer Student an der Jacobs University, schafft das. Im Frühjahr hatte er damit den deutschen Rekord im Bankdrücken aufgestellt und sich die Nominierung für die Teilnahme an der Weltmeisterschaft im Bankdrücken gesichert. Ausgetragen wird sie im November in Florida. Dann reist der Amerikaner Andrew Fiocco in sein Heimatland und wird dort Deutschland vertreten.
Klischee adé. Es ist kein protziger Muskeltyp, der die Tür zu seiner Studentenwohnung öffnet. Der 20-Jährige wirkt eher schmächtig. Sein Körpergewicht liegt bei 66,9 Kilo. Aber ein kräftiges Muskelpaket trägt der Student dennoch auf der Brust. „You want?“, entgegnet er später im Gespräch dem irritierten Blick und deutet mit seinem Zeigefinger in Richtung Brustkorb. Ob man mal antippen möchte. Was sich unter seinem hellen T-Shirt verbirgt, ist hart wie Stein. Gleichwohl trägt der Student die Beschaffenheit seines Körpers nicht wie ein Statement vor sich her. Er wirkt höflich und zugewandt. Sein Lachen ist gewinnend.
Bankdrücken bildet die Brustmuskeln aus. In den USA und in vielen anderen Ländern ist der Sport populär. „Mich reizt die Herausforderung, zu sehen, wie weit ich dabei komme, was ich erreichen kann. Der Sport macht mir Spaß, er macht mich glücklich“, schwärmt der Student. „Nach einem schrecklichen Tag brauche ich zwei Stunden Training, und alles ist wieder gut.“ Er ist dabei, für die Weltmeisterschaft noch mehr Kondition aufzubauen.
Um sechs Uhr gibt es Frühstück, danach Vorlesungen und Arbeit und am Abend mindestens drei Stunden Training in einem Bremer Fitnessstudio Ohne Sport könne er sich seinen Tagesablauf nicht vorstellen, sagt der in Brooklyn in New York geborene junge Mann. Liegestütze, Stretching und Situps gehören zum festen Tagesprogramm. Diszipliniert ist er auch bei seiner Ernährung: keine Süßigkeiten, keine Limonaden. Stattdessen viel Gemüse, Früchte, Eiweiß, Wasser. „Man muss wissen, was einen stützt. Je besser und gesünder man sich ernährt, desto leistungsfähiger ist man, auch im Kopf. Das ist gut für den Sport und den Lernerfolg.“
An Deutschland hat er einen Narren gefressen. Die deutsche Kultur findet er „cool“. „Und ich mag die Sprache“, sagt Andrew Fiocco. Schon in der sechsten Klasse sei in ihm der Wunsch aufgestiegen, sie zu lernen. „Das brauchst du nicht“, hatte ihn seine Mutter auf einen anderen Pfad gelenkt. In Richtung Spanisch. Später ist Andrew Fiocco aber wieder auf seinen Wunsch zurückgekommen. Vielleicht liegt es daran, dass er von der deutschen Sprache schon etwas im Blut hat, überlegt der Student. Die Familie seiner Mutter stamme aus Freiburg. „Meine Vorfahren sind halb russisch und halb deutsch. Sie sind 1893 über Bremerhaven ausgewandert.“ Die Familie väterlicherseits sei „halb italienisch und halb irisch“.
Bachelorarbeit im nächsten Jahr
Nach dem Schulabschluss suchte Andrew Fiocco im Internet nach Studienmöglichkeiten in Deutschland und stieß dabei auf die Jacobs University. „Die Diversität und die Internationalität haben mich sofort angesprochen“, erinnert er sich. „Ich habe mir gesagt: Wenn ich es nicht ausprobiere, werde ich nie wissen wie es dort ist.“ Also bewarb er sich – und wurde genommen. Vor zwei Jahren begab sich der damals 18-Jährige deshalb auf seine erste Auslandsreise, um in Bremen „International Relations: Politics and History“ zu studieren. „Wie geht’s?" Und: „Wo ist die Toilette?“ Das waren zu dem Zeitpunkt seine einzigen deutschen Sprachkenntnisse. Das hat sich inzwischen erheblich geändert. Obwohl die Campussprache Englisch ist, spricht der Student ein sehr gutes Deutsch.
Seine Freunde, die er beim Sport kennengelernt hat, hätten ihm dabei geholfen. Auch seine Gastfamilie, die er regelmäßig besucht. An der Jacobs University übernehmen Bremer Familien Patenschaften und machen die Studierenden mit dem Leben in Deutschland vertraut. „Sie sind wie eine zweite Familie für mich“, sagt der Student. „Mein Leben ist hier.“ Im kommenden Jahr schreibt er seine Bachelorarbeit. Was danach kommen soll, weiß er noch nicht. Vielleicht der Master. „Es ist gut möglich, dass ich in Deutschland bleibe.“
An das, was ihm auch wichtig ist, erinnern die Poster an der Wand seines Zimmers. Neben Nelson Mandela und Barack Obama hängt das Idol seiner Kindheit: Spiderman. Das Amerika des Mr. Trump hingegen wecke in ihm Unbehagen. Das wird er ausblenden, wenn er im November nach Florida reist, wo Andrew Fiocco am liebsten einen Weltrekord aufstellen möchte. 160 Kilo müsste er dafür beim „World-Power-Lifting-Congress“ stemmen. Zehn Kilo mehr als für den deutschen Rekord. Um das zu schaffen, legt er seinen Rücken im Fitnessstudio regelmäßig auf die Bank. Während seine Füße ihn stützen, umklammern seine Hände die 150 Kilo schwere Hantelstange. Etwa zwei Sekunden lang liegt die Stange auf seiner Brust. Dann muss er sie mit gestreckten Armen in die Luft drücken. „Das Schwierige ist, mehr Gewicht zu stemmen, ohne gleichzeitig selbst an Gewicht zuzulegen“, erklärt der Sportler. Aber er ist ziemlich sicher, dass er das schaffen kann.