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Interview mit Bremer Umweltexperten "Immer häufiger extreme Hitzetage"

In den Städten wird es im Sommer immer heißer. Umweltexperte Jürgen Ritterhoff spricht über Gefahren und Wege, um dem Trend zu begegnen. Seine Lösung: mehr Grün in der Stadt.
17.05.2021, 18:47 Uhr
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Von Jörn Hildebrandt

Herr Ritterhoff, in Großstädten ist es bekanntlich durchschnittlich wärmer als auf dem Lande. Denn die dichte Bebauung speichert Hitze, und Straßenzüge und Gebäude kühlen nachts wenig aus – so können sich Wärmeinseln bilden. Hat sich dieser Effekt in den letzten Jahren noch verstärkt?

Jürgen Ritterhoff: Auf jeden Fall: Der Klimawandel bringt es mit sich, dass Hochdruckgebiete länger über Mitteleuropa stehen bleiben – und das bedeutet längere Hitzeperioden – ein Effekt, unter dem Großstädte wie Bremen besonders zu leiden haben. Und es gibt immer häufiger extreme Hitzetage – ihre Zahl hat sich in Städten wie Wien oder Berlin in den letzten Jahrzehnten etwa verdoppelt.

In Städten ist die Hitze durchschnittlich größer als auf dem Lande. Gilt dies für alle Bereiche einer Stadt?

Wo es wenig Grün gibt, ist die Aufheizung am stärksten. Messungen zeigen einen Temperaturunterschied von sieben Grad und mehr zwischen begrünten und wenig begrünten Flächen, in denen also Asphalt und Beton dominieren. Deutlich weniger heiß ist es zum Beispiel in Parkanlagen oder in Flächen mit größerem Baumbestand. Man kann das am eigenen Leibe erfahren, wenn man sich zum Beispiel an heißen Tagen vom Bremer Hauptbahnhof in den Bürgerpark begibt.

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Lässt sich die Belastung der Menschen durch Hitze mit Zahlen belegen?

Das Statistische Bundesamt hat Daten veröffentlicht, wonach zum Beispiel in Deutschland allein im August letzten Jahres 4200 Todesfälle auf Hitze zurückzuführen waren. Hitzetote im Sommer haben einen erheblichen Anteil an der sogenannten Übersterblichkeit.

Was sollte ihrer Meinung nach getan werden, um Hitze in der Stadt zu mildern?

Das ist eine komplexe Querschnittsaufgabe: Sie reicht von Verhaltensmaßnahmen für Kinder, Ältere und Kranke, aber auch Berufstätige, über Gebäudetechnik und -sanierung bis hin zur Stadt- und Raumplanung. Um die Hitze zu mildern, ist zum Beispiel eine Verschattung in den Außenbereichen wichtig, sei es durch Pavillons, Sonnensegel oder eine schattenspendende Bepflanzung. Besonders ältere Menschen müssen gut vor Hitze geschützt werden, ebenso wie Pflegekräfte: Wenn sie an heißen Sommertagen Schutzmasken tragen müssen, sind sie besonders belastet.

Inwiefern kann auch eine andere Gebäudetechnik vor Hitze schützen?

Bei Neubauten in der City kann man mit reflektierenden Farben statt schwarzer, spiegelnder Flächen einiges erreichen, und bei einer guten Dämmung von Gebäuden gehen Energieeinsparung und Schutz vor Hitze Hand in Hand. Besonders unter dem Dach heizt es sich ja im Sommer stark auf. Eine gute Dämmung kann die Hitze unterm Dach erträglicher machen.

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Was tut die Stadt Bremen für mehr Schutz vor Hitze?

In Kürze soll vonseiten des Umweltressorts ein Hitzeaktionsplan erstellt werden. Darin sind Maßnahmen vorgesehen, die Menschen bei kommenden Hitzewellen besser zu schützen. Aktuell wurde die Aufstellung von zusätzlichen Trinkwasserbrunnen in Bremen beschlossen. Auch die Stadt- und Raumplanung muss sich dem Thema stärker zuwenden: Grünflächen sollten nicht versiegelt und bebaut werden – was oft einen Konflikt mit der Forderung nach mehr Innenstadtverdichtung mit sich bringt.

Worauf sollte mehr geachtet werden, um vor Hitze zu schützen?

Das Schlagwort heißt „naturbasierte Lösungen“: Insgesamt sollte die grüne Infrastruktur gestärkt werden, auch kleinräumig, und besonders in eng bebauten Quartieren. Der andere Punkt ist der Umgang mit dem Wasser: Der Klimawandel bringt es mit sich, dass in den Wintermonaten mehr Regen fällt. Diese Niederschläge sollten zurückgehalten werden, um die Defizite im Sommer auszugleichen. Es ist auch wichtig, Versiegelungen in der Stadt zurückzunehmen, um mehr Wasser versickern statt abfließen zu lassen – was bis hin zu den Schottergärten reicht, die auch zur Bodenversiegelung beitragen.

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Was bedeutet „grüne Infrastruktur“ genau? Baumpflanzungen oder auch vertikale Gärten?

Beides gehört dazu. Bei Straßenbäumen in dicht bebauten Bereichen ist oft nicht genügend Platz, um ihre Vitalität zu gewährleisten. Alternativen sind die vielfältigen Formen der Dach- und Fassadenbegrünung. Denn wo sich am Boden wenig Fläche bietet, kann man an Gebäuden mit Begrünungen in die Höhe gehen.

Was ist Ihr Fazit zum Thema Hitze in der Stadt?

Wir müssen insgesamt mehr Flächen für Grün zur Verfügung stellen. Mehr Grün ist nicht nur eine Klima-Anpassungsstrategie, es steigert ja auch die Lebensqualität in der Stadt. Und je früher wir damit anfangen, desto kostengünstiger wird es. Ich denke, dass wir beim Thema deutlich mehr Geschwindigkeit aufnehmen müssen – es geht insgesamt noch zu langsam voran.

Das Gespräch führte Jörn Hildebrandt.

Zur Person

Jürgen Ritterhoff ist seit 2018 Geschäftsführer von Ecolo in Bremen. Die Projektmanagement-Agentur befasst sich unter anderem mit Klimaschutz, Klimaanpassung, nachhaltiger Mobilität und betrieblichem Umweltschutz.

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