Die Wand aus Feuer ist fast immer da. Besonders nachts, wenn die Nachbarn ihre Augen schließen, kommen die Bilder von den Flammen zurück. Wenn ein Krankenwagen durch die Straßen in der Umgebung fährt, sitzen viele von ihnen aufrecht in den Betten und horchen, in welche Richtung sich das Geräusch der Sirenen bewegt. Das Schlafen fällt schwer, sagen sie.
In der Kirchseelter Straße in Huchting ist noch lange nicht alles wieder, wie es einmal war. Die Explosion Ende Juni hat das Leben der Nachbarn verändert. Viele von ihnen wollen noch immer nicht wahrhaben, was dort direkt vor ihrer Haustür geschehen ist. Wie berichtet, führte eine 41-Jährige die Detonation offenbar selbst herbei und riss damit nicht nur sich selbst, sondern auch ihren siebenjährigen Sohn und eine 70-jährige Nachbarin in den Tod.
Das ging aus einem Abschiedsbrief hervor, der nach der Tat auftauchte. Laut der Staatsanwaltschaft ist der Suizid vermutlich das Resultat eines Streits um das Umgangsrecht gewesen. Mittlerweile sind in der Ruine auch Brandbeschleuniger festgestellt worden – es handele sich dabei mit großer Wahrscheinlichkeit um Benzin.
Die Wucht, mit der die Explosion in dem Reihenendhaus alles um sich herum zerstört hat, ist auch knapp einen Monat danach noch überall zu sehen. Die zwei angrenzenden Häuser, die durch das Feuer zerstört wurden, sind noch immer unbewohnbar. Die Trümmerteile des zerstörten Hauses flogen im Umkreis von 100 Metern umher und haben ihre Spuren hinterlassen.
An der eigentlichen Brandruine hat sich bisher jedoch kaum etwas verändert. Die Decke hängt wie abgeknickt herunter– drum herum liegt das, was von dem Leben der Mutter und ihres Sohnes übrig geblieben ist. Einzelne bunte Farbtupfer sind von dem Feuer verschont geblieben: ein T-Shirt, ein Kuscheltier. In einer Ecke liegt ein Kinderbuch fast völlig intakt. "Weiß Gott, wer ich bin?" steht auf dem Einband.
Es sind Anblicke wie dieses Buch mit dem verhängnisvollen Titel, die besonders für die Nachbarn von gegenüber unerträglich geworden sind. "Jeden Morgen, wenn ich meine Jalousien öffne, schaue ich direkt auf die Ruine. Genauso ist es vor dem Schlafengehen", sagt eine Anwohnerin. "Momentan will ich sie am liebsten den ganzen Tag runterlassen." So wie ihr geht es auch einigen anderen Huchtingern, die gegenüber wohnen.
Von der Stadt im Stich gelassen
Bisher wird die Ruine nur von einem Gitterzaun abgeschirmt, damit sich Fremde nicht in die Trümmer begeben. "Die Stadt könnte wenigstens eine Plane davor spannen", sagt ein Mann, dessen Haus und Auto von der Explosion beschädigt wurde. Für die Anwohner besonders makaber: Die Straßenlaterne, die in dem Feuer zerstört wurde, ist bereits ausgetauscht worden. "Die leuchtet abends wie ein Scheinwerfer auf die Überreste", sagt eine Nachbarin.

An der Absperrung gedenken Nachbarn den verstorbenen Anwohnern.
Einige der Opfer fühlen sich von der Stadt im Stich gelassen. "Uns wurde Unterstützung zugesagt, aber im Endeffekt weiß keiner, wie lange wir jetzt mit den Trümmern leben müssen", sagt eine der Frauen. Ein Grüppchen steht am Freitagnachmittag auf der Straße zusammen und schaut dabei zu, wie eines der letzten beschädigten Autos abgeholt wird.
Es ist völlig ausgebrannt. Ob die Versicherungen alle Schäden übernehmen werden und wer letztendlich dafür sorgen wird, dass die Ruine verschwindet, darüber herrscht noch viel Ungewissheit. Den eigenen Namen will keiner der Nachbarn mehr in der Zeitung lesen. Zu viele Medien waren in den vergangenen Tagen in der kleinen Straße in Huchting. "Früher kannten nicht einmal die Taxifahrer die Kirchseelter Straße", sagt eine Frau. "Nun weiß fast jeder in Bremen darüber Bescheid."
Die Nachbarn haben nach eigenen Angaben auch immer noch mit Gaffern zu kämpfen. Sie würden zum Teil sogar aus dem Umland kommen, um zu sehen, wie groß die Zerstörung in der idyllischen Straße tatsächlich ist. Mit heruntergelassenen Scheiben fahren sie dann im Schritttempo daran vorbei und filmen die Überreste mit ihrem Handy.
Die Nachbarn versuchen das auszublenden, doch nicht allen fällt das leicht. "Wir reagieren im Moment alle sehr gereizt darauf", sagt eine von ihnen. Die Anwohner versuchen sich gegenseitig Kraft zu geben und das Erlebte zu verarbeiten. Sie treffen sich immer wieder in ihren Gärten und sprechen über die Nacht am 28. Juni. Die meisten erinnern sich noch an jedes Detail.
"Unsere Kinder kamen ins Schlafzimmer gerannt und haben gerufen, dass es brennt", sagt ein Mann. Seine Haustür hat er aktuell mit einer Sperrholzplatte abgedeckt. Dort ist während der Explosion eines der Fenster reingeflogen. Immer wieder schüttelt er mit dem Kopf, wenn er über die Tat spricht und er sich ausmalt, was noch alles hätte passieren können.
Nur schwer begreiflich
Einen Tag vor dem Feuer habe er noch Fußball mit dem kleinen Jungen gespielt, bei der älteren Nachbarin den Rasen gemäht. Dass alle Drei plötzlich nicht mehr da sein sollen, kann er nur schwer begreifen. Während sich einige immer noch nicht vorstellen können, dass die 41-Jährige zu der Tat fähig war, kommt bei anderen neben der Trauer auch die Wut durch.

Meterhoch schlugen die Flammen nach der Detonation.
Und wieder und wieder die Frage nach dem Warum. Was genau die 41-Jährige letztendlich so weit getrieben hat, wird vermutlich nie ganz aufgeklärt werden. Gegen Tote werden für gewöhnlich keine Untersuchungen vorgenommen. Um ihre Trauer zu zeigen, haben einige Anwohner Kuscheltiere und Spielzeugfiguren für den Siebenjährigen an die Absperrung gelegt.
„Es ist unbegreiflich, dass sie unschuldige Menschen mit rein gezogen hat“, sagt ein Nachbar. Seine Frau will nur ungern über die Nacht sprechen. Man sieht ihr an, wie schwer ihr das Verarbeiten fällt. Am liebsten wollen alle von ihnen zur Ruhe kommen. Nur wie, das weiß keiner so genau. "Das wird noch eine ganze Weile in uns nachklingen."