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Prozess gegen falsche Polizisten Falsche Polizisten: Hauptangeklagter äußert sich zu Telefonbetrug

Sie sollen alte Menschen um fast zwei Millionen Euro betrogen haben. Am Mittwoch äußerte sich der mutmaßliche Kopf der Bande zu den Vorwürfen. Seine Aussage lässt tief blicken.
24.07.2019, 22:34 Uhr
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Falsche Polizisten: Hauptangeklagter äußert sich zu Telefonbetrug
Von Carolin Henkenberens

Wenn der Hauptangeklagte über die Straftaten spricht, die ihm zur Last gelegt werden, fällt immer wieder dieses eine Wort: Abholung. Fast zwei Millionen Euro sollen er, die drei Mitangeklagten und unbekannte weitere Beteiligte in nur sechs Monaten erbeutet haben. Komplizen aus Callcentern in der Türkei haben ahnungslose, ältere Menschen mit beängstigenden Geschichten dazu gebracht, Ersparnisse und Wertsachen zu übergeben oder an Straßenrändern abzulegen. Der 30-Jährige gibt vor Gericht zu, beteiligt gewesen zu sein, spricht über Telefonate, über Geld und Waffen in seinem Büro, über Autos. Die Opfer, ihre Namen oder ihr Alter – der mutmaßliche Bandenchef erwähnt all dies in seiner Aussage am Mittwoch nicht. Er redet über Abholungen.

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Seit März stehen die vier Männer im Alter von 30, 25, 29 und 47 Jahren wegen bandenmäßigen Betrugs vor dem Landgericht Bremen. Nach monatelanger Polizeiarbeit konnten die Männer im September 2018 festgenommen werden, die Ermittler sprechen von organisierter Kriminalität. Der 30 Jahre alte Hauptangeklagte soll der Kopf der Bremer Bande gewesen sein und 2018 ein Callcenter in Istanbul gegründet haben. Nach außen war er jahrelang Inhaber einer Spedition. Der 30-Jährige, bei dem bei der Festnahme eine Schusswaffe gefunden wurde, sitzt in Untersuchungshaft. Zwei der Angeklagten haben bereits ein Geständnis abgelegt: Der 47-Jährige, der auf der untersten Stufe der Hierarchie stand, und der 25-Jährige, die Nummer zwei der Bande, belasteten ihren einstigen Chef schwer. Daher habe man entschieden, dass auch ihr Mandant sich zu den Vorwürfen äußert, erklärte Ladislav Anisic, einer der drei Verteidiger des Hauptbeschuldigten.

Die 14 Taten spielten sich nicht nur in Bremen ab, sondern auch in Hamburg, Braunschweig, Paderborn, Bad Salzuflen und Georgsmarienhütte und Norderstedt.

Widersprüche zu vorherigen Aussagen

Nach Darstellung des Hauptangeklagten sei der Ablauf immer gleich gewesen: Die Callcenter-Komplizen riefen ihn an, wenn irgendwo wieder eine sogenannte Abholung gemacht werden musste. Einmal habe ihm sein Kontaktmann freudig geschrieben: „Digger, heute 470.“ Er habe geantwortet: „Heftig.“ Es ging um 470.000 Euro von einer 77 Jahre alten Dame aus Braunschweig. Sie wurde dreimal von der Gruppe hinters Licht geführt, sie verlor 946.000 Euro. Er habe nach der Kontaktaufnahme immer seine 25 und 29 Jahre alten Komplizen kontaktiert, die wiederum dafür sorgten, dass sie oder der 47-Jährige das Bargeld, die Goldbarren oder die Münzen der betrogenen Menschen abholten. Die Anrufer aus der Türkei seien mit dem Abholer direkt in telefonischem Kontakt gewesen, sagt der Hauptangeklagte. Einer dieser Abholer war der 47 Jahre alte Angeklagte. Er sagte im März aus, er habe pro Auftrag in der Regel 500 Euro erhalten. Laut dem mutmaßlichen Kopf der Bande waren es 1000 Euro.

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Dies ist einer der vielen Widersprüche zu vorherigen Aussagen an diesem Mittwoch. Dem 25-Jährigen zufolge hätten der Hauptbeschuldigte und ein Callcenter-Boss 60 Prozent der Beute bekommen, die Anrufer („Mediatoren“) 40 Prozent. Der Hauptangeklagte sagt: Zehn Prozent der Beute seien zu gleichen Teilen an ihn und den 25-Jährigen gegangen, davon bezahlten sie noch Abholer. Zudem habe er in einigen Fällen für das Aufbewahren von Geld einen Anteil bekommen.

Welche Rolle spielte der Hauptangeklagte wirklich in dem Betrügernetzwerk? War er führender Kopf oder einer von vielen Beteiligten? Fragen der beiden Staatsanwälte ließ der Angeklagte während seiner Aussage nicht zu. Daher bleiben seine Schilderungen an diesem Mittwoch unwidersprochen. Der Angeklagte betont mehrfach, er habe von den Taten vor der Ausführung nichts gewusst. Die Kontaktleute aus der Türkei hätten erst angerufen, wenn er jemanden zum Einsammeln der Beute besorgen sollte.

Beute von Gehilfen verkaufen lassen

Bei einem Fall schildert er es sogar etwas anders. Am 31. Juli 2018 wurde in Hamburg ein Ehepaar im Alter von 76 und 74 Jahren dazu gebracht, nachts auf einer Toilette einer Autobahnraststätte einen Beutel mit 75 Krügerrand-Goldmünzen zu deponieren. Er selbst habe niemanden angewiesen, die Münzen einzusacken, behauptet der 30-Jährige. Der 25-Jährige habe nach einem Besuch in der Türkei direkten Kontakt zum Callcenter gehabt. Er sei nach der Abholung nur vom Callcenter gefragt worden: „Da ist Gold, willst du das verkaufen?“ Er habe „Ja“ gesagt. Allerdings: Er habe angewiesen, wo das Gold verkauft werden soll. Der Verkaufspreis sei mit den Leuten in Istanbul abgestimmt worden. So lief es offenbar immer: Wenn Goldbarren oder Münzen erbeutet wurden, hat der Hauptbeschuldigte dies von Gehilfen verkaufen lassen.

Details über die Opfer interessierten den Angeklagten nicht. „Mir wurde nicht gesagt: Hamburg, die und die Straße. Mir wurde nur gesagt: vier Kilo Gold“, schildert der 30-Jährige. Ob sein 25 Jahre alter Helfer gewusst habe, woher das Geld kommt, fragt der vorsitzende Richter. „Ich habe ihm jetzt nicht gesagt: Ey, da wurde jemand verarscht.“ Aber er habe natürlich gewusst, woher das Geld stammt. Er selbst habe auch genau gewusst, mit welcher Masche die Beute gemacht wurde.

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Die Aussage des Hauptangeklagten lässt auch tief blicken in einen Sumpf aus Perspektivlosigkeit und kriminellen Clan-Strukturen. Einen der Männer aus dem Istanbuler Callcenter beschreibt der 30-Jährige als „Dummschwätzer“, der in Deutschland in den Tag gelebt habe und durch seine Betrügereien einen „Höhenflug“ erlebt habe. Auch sei bei Leuten „aus unserem Kreis“ bekannt, wo man das meiste Geld für Gold bekommt. Das Geld, das ihm nicht zustand, sei in der Regel „verteilt“ worden. Bedeutet: Freunde und Familienmitglieder der Hintermänner nehmen das Geld in Empfang. Auch das sei „üblich“.

Beim nächsten Verhandlungstag am 13. August haben die Mitangeklagten die Chance, sich zu den Aussagen ihres einstigen Chefs zu äußern. Die Anwälte des 25-Jährigen kündigten an, dass man die Aussagen nicht so stehen lassen werde. Der Hauptangeklagte versuche, seine Rolle herunterzuspielen.

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