Bremens Schulen fehlt massiv Personal für die Inklusion. Zuletzt fehlten laut Bildungssenatorin Sascha Aulepp (SPD) in der Stadt fast 300 dringend benötigte Assistenzkräfte. Die Stellen für diese Assistenzen sind da, aber die Träger finden nicht genug Personal. In der Folge können immer wieder Kinder mit Beeinträchtigungen tageweise gar nicht oder wochenlang nur bis mittags zur Schule gehen.
Fallen Assistenzkräfte aus, weil sie zum Beispiel krank sind, dann gibt es betroffenen Eltern zufolge normalerweise keine Vertretung, also keine andere Assistenz, die einspringt. Immer wieder müssen Kinder dann zu Hause bleiben. Es sei denn, der Schule gelingt es, den Ausfall mit ihrem weiteren Personal einigermaßen aufzufangen.
Sonja Laubach ist Mutter eines Sohnes mit Autismus-Spektrum-Störung, der die sechste Klasse am Gymnasium Horn besucht. "Er hat eine persönliche Assistenz, die seit Jahren genehmigt ist", schildert die Mutter. Meistens bekomme er einmal pro Jahr eine neue Assistenz, weil die bisherige nicht mehr zur Verfügung stehe: "Es gibt immer Fluktuation." Die für dieses Schuljahr gefundene Assistenz habe am dritten Schultag aufgehört. "Seit dem 29. August hat er keine Assistenz mehr – der Träger sagt, sie suchen jemand Neues, aber der Markt sei leer gefegt." Ihr Sohn geht jetzt ohne Assistenz in die Schule, in seiner Klasse gebe es zumindest einen Sonderpädagogen und eine Klassenassistenz, sagt die Mutter. „Die Schule fängt es vormittags noch auf, aber die Klassenassistenz ist nur bis 13 Uhr da“, sagt Laubach. Deshalb ende die Schule für ihren Sohn kurz nach 13 Uhr, obwohl er eigentlich bis 14.50 Uhr bleiben sollte. "Ich bin berufstätig, ich arbeite teilweise im Homeoffice, man reibt sich auf", schildert die Mutter. "Es zerrt an den Nerven, man fängt im Privaten auf, was in der Beschulung nicht klappt.“
Auch wenn Sonderpädagogen und normale Lehrkräfte fehlen, kann das zur Folge haben, dass Kinder mit Förderbedarf nicht oder kürzer zur Schule gehen. Und gerade bei den für die Inklusion wichtigen Sonderpädagogen ist der Fachkräftemangel laut Bildungsressort besonders ausgeprägt. Am Nachmittag bricht das System an den Schulen für Förderkinder wegen Personalmangels immer wieder weg, das schildern Eltern ebenso wie die Gewerkschaft GEW. Auch für die Begleitung zur Schule und zurück fehle oft Personal.
Kathrin Obornik ist Mutter eines Sohnes mit geistiger Beeinträchtigung. Er geht in die sechste Klasse an der Neuen Oberschule Gröpelingen (NOG). "Mein Sohn hatte in der Grundschule eine super Versorgung – da gab es einen Sonderpädagogen, eine Klassenassistenz und eine persönliche Hilfe – da konnte man auf den individuellen Lernprozess eingehen", erzählt sie. Doch jetzt könne ihr Sohn seit den Sommerferien nur von 8.30 bis 12 Uhr zur Oberschule gehen – statt, wie es an der Ganztagsschule sein sollte, bis 16 Uhr. Für den Nachmittag gebe es nicht genug Personal, weil Lehrkräfte und Sonderpädagogen fehlten, sagt die Mutter: "Wir sind wirklich verzweifelt, die Unterrichtskürzung macht uns alle fertig." Sie betont: "Die Lehrkräfte brauchen Unterstützung, denn die wenigen, die noch da sind, sind am Limit." Auch ausgezeichnete Schulen könnten so in der Praxis nicht das umsetzen, was sie wollen.
15 statt 31,5 Stunden Schule
Enttäuscht ist auch Cahide Alahmad, deren Sohn ebenfalls an der NOG eine W-und-E-Klasse für Kinder mit geistiger Beeinträchtigung besucht. Auch ihr Sohn habe nur 15 statt 31,5 Stunden Schule pro Woche. "Mein Sohn hat ein Recht auf eine Assistenz, aber angeblich gibt es kein Personal dafür, es ist eigentlich eine Katastrophe", sagt sie. „Er ist jetzt oft in der Notbetreuung – das bringt aber nicht viel, da lernt er nichts, die sind dort am Spielen.“
Es gebe in Bremen eine dreistellige Zahl von Kindern, denen eine Assistenz fehle und die deshalb gar nicht oder nur eingeschränkt zur Schule gehen könnten, sagt Martin Stoevesandt vom Zentralelternbeirat. "Das Problem ist seit vergangenem Jahr schlimmer geworden", sagt der Elternsprecher. „Man kriegt einfach keine Leute, das ist wirklich ein Superdrama.“
Im niedersächsischen Umland kämpfen Familien mit ähnlichen Problemen: Seit Beginn des Schuljahres konnte ihre beeinträchtigte Tochter bereits mehr als eine Woche lang gar nicht zur Schule gehen, weil die Assistenz krank war, schildert eine 38-jährige Mutter aus Osterholz-Scharmbeck, die ihren Namen nicht in der Zeitung lesen möchte. Bei solchen Ausfällen gebe es keinen Ersatz, weil das Personal fehle, so die Mutter.
Auch ohne Krankheitsfälle sei an Ganztagsschulen oft nachmittags keine Assistenz für die Förderkinder da, sagt Barbara Schüll von der GEW Bremen: "Erzieherinnen schildern uns oft, dass sie am Nachmittag alleine da stehen. Die Begleitung für Kinder mit Beeinträchtigungen ist für den Nachmittag nicht mitgedacht und oft auch nicht bewilligt." Immer wieder müssten Eltern einspringen, um im Alltag auszuhelfen, so Schüll: „Es gibt noch so viele Lücken, und dass, obwohl wir schon so viele Jahre Inklusion haben, das ist schon bitter.“