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Kolumne 0421 Die Hoffnung auf eine Sensation und ein Stück Erdbeerkuchen vom Glück

In der Kolumne „0421“ schreibt Oliver Matiszick über große und kleine Themen, die manchmal erst auf den zweiten Blick miteinander, immer aber mit Bremen zu tun haben. Heute: Pokalfinale einst und jetzt, Armut.
03.05.2025, 05:00 Uhr
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Die Hoffnung auf eine Sensation und ein Stück Erdbeerkuchen vom Glück
Von Oliver Matiszick

Zum Älterwerden zählt bekanntlich das Schwelgen in der Vergangenheit – demnach ertappe ich mich zunehmend häufiger bei rückwärtsgewandten Gefühlsduseleien. So habe ich mich jüngst beim Ausmisten des Arbeitszimmers nur widerwillig von einer leeren Magnum-Pulle Sekt getrennt, die dort seit 2009 im Regal einen hochbegabten Staubfänger abgab. Den Platz als besonderes Erinnerungsstück hatte sie sich wegen ihres Etiketts verdient, das von Werders Pokalsieg 2009 zeugte. Geöffnet, geleert und von mir als Souvenir entwendet worden war die Flasche bei der Pokalsiegersause im Rathaus, während draußen auf dem Marktplatz an einem wunderbaren letzten Maitag Tausende Menschen den Titel und die Mannschaft feierten.

Diese Woche – am ersten, gleichermaßen wunderbaren Maitag 2025 – hatte ich daher darauf gehofft, dass die Liste der Bremer DFB-Pokalsiege vielleicht um einen historischen Eintrag ergänzt werden würde. Werder gegen Bayern im Finale, der Außenseiter aus dem habenichtsigen Norden gegen den festgeldgestählten Favoriten aus dem Süden – das war schon oft der perfekte Plot für ein Fußballmärchen. Zuletzt 2010, als Werders Fußballer ihren Titel von 2009 – siehe oben – verteidigen wollten, endete das in diskussionsfreier Deutlichkeit 0:4. Nicht nur deshalb haben Stadt und 0421-Land allen Grund, nun auf das 2:4 der Werder-Fußballerinnen gegen eben jene Münchener Übermacht stolz zu sein. Allein die Hoffnung auf eine Sensation hat sich so vertraut gut wie damals angefühlt. Dafür besten Dank.

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Sollten Sie an dieser Stelle Ihrer geschätzten Wochenendlektüre nun die Augen verdrehen, weil das Klischee vom armen Bremen – ob nun auf dem Fußballplatz oder sonstwo – ermüdend erscheint: Ich kann das verstehen. Aber es lässt sich ja nicht wegdiskutieren. Dass das Land Bremen seinen Spitzenplatz im Armutsbericht für Deutschland – erstellt vom Paritätischen Gesamtverband – nicht nur verteidigt, sondern 2024 sogar noch ausgebaut hat, gehört ebenfalls zu den Nachrichten dieser Woche. Wer mag da noch in der Vergangenheit schwelgen?

Denn das mit der Armutsgefährdung von Alleinerziehenden, jungen Erwachsenen und auch Rentnern im 0421-Land ist ja nichts Neues. Es erinnert mich jedes Mal schmerzhaft an einen Tag ungefähr zur Zeit des Werder-Pokalsiegs im Mai 2009, als ich auf ganzer Linie versagt habe. Ich stand beim Bäcker in der Schlange hinter einer liebreizenden Dame, die ich vom Fleck weg als meine Oma adoptiert hätte. Sie wollte ein Stück Erdbeerkuchen vom Blech kaufen und fragte, ob sie vielleicht auch eine halbe Portion bekommen könne – für mehr reichte ihr Kleingeld in der Hand nicht. Das wurde verneint, sie verließ das Geschäft – und ich ließ es geschehen. Das nagt bis heute an mir.

Merke: Geld mag im Fußball Tore schießen, gerade auch, wenn der FC Bayern gegen Werder spielt und plangemäß gewinnt. Aber nie, nie wieder lasse ich eine alte Dame enttäuscht eine Bäckerei verlassen, weil ihr 1,20 Euro für ein Stück Erdbeerkuchen vom Glück fehlen.

Tagebucheintrag: Falls Sie sich fragen, wie ich im Mai 2009 überhaupt ins Rathaus gekommen bin, um die Siegerpulle Sekt zu entwenden? Betriebsgeheimnis!

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