Es gibt staatliche Anlaufstellen und Berater für Flüchtlinge, und es gibt Walid Abu-Dib. Der Mann vertritt keine Behörde, er betreibt ein arabisches Restaurant in der Neustadt und hilft auf seine Weise.
Den gebürtigen Syrer und sein Lokal kennen viele Flüchtlinge, egal in welchem norddeutschen Wohnheim sie untergekommen sind. Seine Adresse mache die Runde, sagen die, denen er geholfen hat. Genauso wie sein Ruf: Walid Abu-Dib unterstütze Asylsuchende besser als jedes Amt.
Es ist kurz nach drei, im „Palmyra“ gibt es gleich Mittagessen, zum zweiten Mal an diesem Tag. Walid Abu-Dib, der Chef des Lokals, isst erst, wenn die letzten Ein-Uhr-Gäste gegangen sind. Allein am Tisch sitzt er trotzdem nicht. Heute sind Karam Frewa und Ahmad Shin gekommen, beide 23, beide Flüchtlinge.
Im Wohnheim in Münster hätten sie es nicht mehr ausgehalten. Sie wollten nur ein paar Stunden so tun, als wären sie in der Heimat. Im „Palmyra“, sagen sie, gelinge das. Die Wände sind mit arabischen Schriftzeichen bemalt, von der Decke baumeln Quasten aus Stoff in den syrischen Nationalfarben, an Holzpaneelen hängen Teppiche mit orientalischen Mustern.
Und es riecht nach Tee mit Zimt. Er steht auf dem Tisch. Jeder bekommt ihn. So ist es Brauch. Genauso wie jemanden, der darum bittet, drei Tage lang Essen, Getränke und ein Bett zu geben. „Das ist arabische Tradition.“ Walid Abu-Dib sagt das so, als wäre dies eine logische Erklärung dafür, warum er macht, was er macht.
Und dass dies nichts Besonderes sei, nicht unter Syrern. Er helfe. Das sagt nicht er, das sagen Karam Frewa und Ahmad Shin. Er habe ihnen zu essen gegeben und ein Bett, ohne Geld dafür zu verlangen, als sie in Deutschland angekommen waren. Wovon, fragen sie, sollten sie ihn denn auch bezahlen? Sie hätten kein Geld und auch keinen Kontakt zu ihren Familien, die für die Hilfe aufkommen könnten.
Über die Stadtgrenzen hinaus bekannt
Den gebürtigen Syrer und sein Lokal in der Neustadt kennen mittlerweile immer mehr Flüchtlinge. Karam Frewa und Ahmad Shin sagen, dass sie von ihm über das Internet erfahren hätten. Ein Syrer, der Asyl in Australien suche, habe ihnen geschrieben, dass es in Bremen einen Mann gebe, der helfe. Auch in Münster, im Wohnheim für Flüchtlinge, sei der Name Walid Abu-Dib bekannt. Und sein Ruf: Er unterstütze Asylsuchende besser als jeder staatliche Berater und jede behördliche Anlaufstelle. Weil er sie eben besser verstehen könne, nicht nur sprachlich. Weil er nach altem Brauch lebe und einer von ihnen sei. Oder das zumindest einmal war.

Sie sagen, dass Walid Abu-Dib ihnen geholfen hat und noch immer hilft (von links): Karam Frewa, Ahmad Abu-Dib und Ahmad Shin.
Freunde von Walid Abu-Dib, der in Syrien geboren und jetzt Deutscher ist, sagen über ihn, dass er im Grunde gleich ein Sozialamt eröffnen könne. So oft helfe er. Wie oft, das kann der Chef des „Palmyra“ nicht sagen. Er zähle nicht. Pi mal Daumen komme ein Asylsuchender pro Woche in sein Lokal, weil es ein Problem gebe. Seit drei Jahren gehe das so. Das weiß Walid Abu-Dib, ohne überlegen zu müssen. Das hat mit dem Mann zu tun, dem er zum ersten Mal seine Hilfe anbot: seinem Bruder. 2011 kam der als Flüchtling nach Deutschland. Fast zehn Jahre hatten sie sich nicht gesehen und durch die Unruhen in Syrien kaum etwas voneinander gehört. Jetzt reden sie jeden Tag miteinander. Ahmad Abu-Dib wohnt im selben Haus in Walle, eine Etage über Walid Abu-Dib.
Der Bruder, 60, große Brille, kurzes Haar, sitzt zwischen den Flüchtlingen und nickt. Die Wohnung, sagt er, habe ihm Walid Abu-Dib verschafft. Er, Ahmad Abu-Dib, hätte nicht gewusst, wie und wo er suchen sollte. Sein jüngerer Bruder wisse so etwas. Der sei früh aus Syrien fort. 20 Jahre ist das her. Fast die Hälfte seines Lebens hat Walid Abu-Dib in Deutschland verbracht. Er ist 42 und nur noch ein halber Syrer, wie er sagt. Er hat Chemie studiert in Lattakia, seiner Heimatstadt, und Informatik in Bremen. Das erste Studium wurde in Deutschland nicht anerkannt, das zweite hat er hingeschmissen. Der Mann mit dem gestreiften Hemd und dem zurückgekämmten Haar breitet die Arme aus. „Jetzt gehört mir das, jetzt bin ich Gastronom.“
Davon können Karam Frewa und Ahmad Shin nur träumen. Auch sie haben ihr Studium abgebrochen, auch sie kommen aus Lattakia, wo nicht mehr 400 000 Menschen leben wie zu Walid Abu-Dibs Zeiten, sondern zwei Millionen. Immer mehr Syrer, berichten sie, flüchteten in die Hafenstadt am Mittelmeer vor der Gewalt des Regimes. Und immer mehr junge Leute wie sie verließen Lattakia aus Furcht, vom Militär eingezogen zu werden. Karam Frewa und Ahmad Shin wollen nicht kämpfen, sie wollen wieder studieren, der eine Journalismus, der andere Kunst mit Schwerpunkt Fotografie. Und Walid Abu-Dib, hoffen sie, helfe, damit das klappt.
Dolmetschen beim Behördengang
Er soll sie beim Asylantrag unterstützen und mitgehen, wenn sie aufs Amt müssen, wie er das schon oft gemacht habe. Er soll dolmetschen, falls es Fragen gibt, die sie nicht verstehen und ihnen sagen, was sie auf Dokumenten der Behörde ankreuzen oder schreiben müssen. Auch darin sei Walid Abu-Dib inzwischen geübt. Und er soll, wie er es nicht nur bei seinem Bruder getan habe, ihnen bei der Suche nach einer Wohnung zur Seite stehen. Walid Abu-Dib sitzt da und schaut aus dem Fenster auf die Langemarckstraße. Dann sagt er, dass er das alles versuchen werde. Nur eines, was Karam Frewa und Ahmad Shin von ihm erhoffen, das könne er nicht. Dafür sorgen, dass sie ihre Familie wiedersehen.
Immer, erklärt Walid Abu-Dib, geht es den Flüchtlingen letzten Endes um nichts anderes als darum. Und immer wieder müsse er deutlich machen, dass das wegen der Einstufungen von Flüchtlingen in unterschiedliche Härtegrade kompliziert sei. Auch ihm, dem Syrer mit dem deutschen Pass, sei es nicht gelungen, seine Eltern nach Deutschland zu holen. Nur einmal, habe er Erfolg gehabt. Glück sei bei seinem Bruder im Spiel gewesen, viel Glück. Er sei nun mal kein Anwalt, der sich mit Paragrafen auskenne. Er sei bloß ein Gastronom, der versuche, zu helfen, nichts weiter.
Die Männer trinken ihren Tee. Auf dem Tisch im „Palmyra“ wird später eine dampfende Platte stehen. Waraq Dwali soll es geben, mit Lammfleisch und Reis gefüllte Weinblätter, die auf Lammrippchen liegen. Karam Frewa und Ahmad Shin werden essen, und die beiden Abu-Dib-Brüder mit ihnen.
Syrer größte Flüchtlingsgruppe
Bremen hat sei 2012 rund 3500 Flüchtlinge aufgenommen. Davon kamen 1102 aus Syrien. In diesem Jahr sind 727 syrische Flüchtlinge auf Bremen verteilt worden, im Vorjahr 242. Sie waren nach Angaben der Sozialbehörde 2013 die größte Flüchtlingsgruppe. Auch in diesem Jahr sind mehr Flüchtlinge aus Syrien aufgenommen als aus jedem anderen Land.
Zum Vergleich: Aus der Russischen Förderation, aus der Bremen das zweitgrößte Kontingent an Flüchtlingen aufgenommen hat, kamen in diesem und im vergangenen Jahr zusammengerechnet 263 Frauen, Männer und Kinder. Aus Serbien wurden 2013 und 2014 zusammengenommen 225 Menschen aufgenommen, aus Mazedonien 162, aus dem Iran 157, aus Afghanistan 120 und aus Ägypten 64.