Städtereisen und Cappuccino – das passt zusammen und klingt nach Genuss. Adolf Wagner aus Frankfurt am Main hatte allerdings einen ganz anderen Gedanken, als er im Waller Fleet eine milchkaffeefarbene "aufgewühlte Wolke" beobachtete: "Das sah aus, als wäre da der Kalikokrebs am Werk", sagt Wagner, der sich als interessierten Laien bezeichnet. "An Neozoen und Neophyten kommt man ja mittlerweile nicht mehr vorbei." Dazu zählt auch der aus Nordamerika eingeschleppte Flusskrebs. Er gräbt sich tiefe Wohnhöhlen in Gewässerufer, in denen er auch längere Trockenphasen überdauert – dabei entsteht Wagners Wolke.
Gerade diese Eigenschaften sind es, die den – ohne Scheren gemessen – bis zu neun Zentimeter langen Kalikokrebs gefährlich erscheinen lassen. Abgesehen davon, dass er die Krebspest auf heimische Flusskrebsarten übertragen kann. Das Alfred-Wegener-Institut in Bremerhaven als Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung hat einen Steckbrief der invasiven Art veröffentlicht, der die Grabefreudigkeit des Kalikokrebses aufgreift: "Damit zeigt er eine Vorliebe für Gewässer, die auch viele Amphibien bevorzugen. Und das macht ihn zu einem großen Problem für unser Gewässerökosystem, denn der Kalikokrebs frisst alles, was ihm vor die Scheren kommt, Laich, Aas, Amphibien und Pflanzen besonders gerne. Fressfeinden wie Aalen oder Welsen gehe der Krebs "durch seine Vorliebe für kleine Gewässer aus dem Weg". Störche und Reiher hingegen fräßen ihn "ganz gern".
Als lebender Angelköder eingewandert
Adolf Wagner mahnt: "Man muss mit allen Mitteln verhindern, dass der Kalikokrebs das Blockland erreicht. Das sind ja nicht zuletzt auch wasserbaulich relevante Tiere." Vermutlich, ist dem Steckbrief zu entnehmen, gelangte der Kalikokrebs 1993 als lebender Angelköder in den Rhein bei Baden-Baden und breite sich seither im Rhein und seinen Nebengewässern aus. "Gerade in kleineren Gewässern vermehrt er sich extrem schnell. Ein Weibchen entlässt jedes Jahr bis zu 500 Jungtiere."
Sollte der Kalikokrebs tatsächlich bis Bremen vorgedrungen sein? "Grundsätzlich ist das denkbar", sagt Thomas Klefoth. Professor für Ökologie und Naturschutz an der Hochschule Bremen. "Die Ausbreitung ist dynamisch", sagt er, und es gebe viele Wege: "Manchmal werden sie unter falschem Namen in Zoohandlungen verkauft, Laien können sie schlecht unterscheiden von anderen Arten." Es komme auch vor, dass ihres Hobbys müde Aquarianer Tiere einfach irgendwo in den Graben kippten.
Der Kalikokrebs wäre neu in Bremen
"Für den Kalikokrebs wäre es ein Erstnachweis in Bremen", sagt Klefoth. "Allerdings sind Flusskrebse in Bremen vergleichsweise schon gründlich an mehr als 100 Gewässern beprobt." Dafür hat nicht zuletzt seine frühere Studentin Asia Gabajdulina mit ihrer Bachelorarbeit gesorgt, für die sie vor zwei Jahren 87 Gewässer in Bremen und Umgebung untersuchte. Dabei zählte sie 1083 Individuen aus sieben Arten.
Der vom Aussterben bedrohte Edelkrebs war als einzige heimische Art vertreten, er wurde in neun der Gewässer gesichtet. Alle weiteren zählen zu den invasiven Arten: Galizischer Sumpfkrebs, Signal-, Kamber- und Marmorkrebs, Roter Amerikanischer Sumpfkrebs und Chinesische Wollhandkrabbe.
Als in Deutschland heimisch haben Asia Gabajdulina zufolge schon früher nur drei Flusskrebsarten gegolten, die Bestände der Edel-, Dohlen- und Steinkrebse seien "in den vergangenen 100 Jahren massiv eingebrochen". In Norddeutschland habe es genau genommen nur den Edelkrebs gegeben. Heute sei die Existenz der heimischen Flusskrebsarten "fast ausschließlich auf Wiederansiedlungsprojekte zurückzuführen". Der Kalikokrebs könnte sie gefährden. Adolf Wagner hält es für "recht wahrscheinlich", dass er schon da ist. Und Thomas Klefoth hat nachgeschaut: "Das Waller Fleet ist nicht beprobt worden."