Anfang vergangenen Jahres war die Verunsicherung bei Schwangeren auch in Bremen und Niedersachsen groß: Anlass dafür waren Berichte über das Medikament Cytotec, das in Deutschland als Magenschutzmittel zugelassen ist, aber im sogenannten Off-Label-Use auch zum Einleiten von Wehen eingesetzt werden darf. Den Berichten zufolge könne Cytotec in Einzelfällen zu schwerwiegenden Komplikationen bei Müttern und Kindern führen, hieß es. Etwa jede fünfte Geburt in Deutschland wird laut Fachgesellschaften eingeleitet.
Das Bundesamt für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) berichtete im März in einem „Rote-Hand-Brief“, dass zahlreiche „neue Berichte über schwere Nebenwirkungen bei der Anwendung von Cytotec außerhalb der zugelassenen Indikation“ vorlägen. Dabei stellte sich heraus, dass es vorwiegend um den Umgang mit dem Mittel, insbesondere die Dosierung, bei Geburtseinleitungen ging – nicht um den Wirkstoff als solchen.
Patientinnen seien „häufig Teildosen der sechseckigen Cytotec-200-Mikrogramm-Tablette verabreicht worden, obwohl diese nicht für die Teilung konzipiert ist, sodass eine ungenaue Dosierung resultiert“, ist in dem Warnschreiben vom 16. März 2020 zu lesen. Aus Fallberichten sei hervorgegangen, dass die Dosierungen teils deutlich über denen gelegen habe, die von der Weltgesundheitsorganisation WHO empfohlen wurden. Die von der WHO empfohlene Dosis für die Geburtseinleitung beträgt 25 Mikrogramm. In einigen skandinavischen Ländern ist Misoprostol als das Präparat Angusta in einer Dosierung von 25 Mikrogramm für die Geburtseinleitung zugelassen.
Auch die Vorsitzende des Bremer Hebammenlandesverbands, Heike Schiffling, sagte dem WESER-KURIER im Februar: „Bei den schweren Komplikationen, die genannt wurden, handelte es sich offenbar um Fehldosierungen. Cytotec ist ein hochwirksames Medikament, das seine Wirkung tut, es leitet Wehen ein. Ich würde es an sich nicht verteufeln. Wohl aber, wenn es falsch angewendet wird.“ Auch bei Kontraindikationen wie Operationen an der Gebärmutter oder einem Kaiserschnitt dürfe es wegen der Gefahr eines Gebärmutterrisses nicht eingesetzt werden.
Die Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (DGGG) hat nun in Zusammenarbeit mit den Fachgesellschaften in Österreich und der Schweiz eine neue Leitlinie zur Geburtseinleitung herausgegeben. Leitlinien fassen das aktuelle medizinische Wissen von Untersuchungen und Behandlungen zusammen und geben daraus resultierende Empfehlungen wieder.
Die Cytotec-Tablette gibt es nur mit der Wirkstoffkonzentration von 200 Mikrogramm. Klare Angaben, in welchen Zeitabständen und welcher Dosierung das Mittel verabreicht werden soll, ist den neuen Empfehlungen nicht zu entnehmen. Betont wird aber: „Nicht geeignet ist das eigenhändige Zerstückeln von Tabletten höherer Dosierung und/oder Auflösen in Flüssigkeit sowie Gabe von bestimmten Trinkmengen aufgrund der Ungenauigkeit der Stabilität und Wirkstoffkonzentration.“ Eine korrekte Herstellung durch eine Apotheke sei deshalb unabdingbar. Außerdem empfiehlt die Fachgesellschaft, dass Frauen explizit über Risiken wie Gebärmutterrisse aufgeklärt werden sollen.
Im Februar hatte sich in Bremen Gesundheitssenatorin Claudia Bernhard (Linke) in die Cytotec-Debatte eingeschaltet und einen Runden Tisch angekündigt, um sich auf einen einheitlichen Umgang mit dem Mittel an Bremer Geburtskliniken zu verständigen. Die Bremer Ärztekammer warnte, die ärztliche Therapiefreiheit dürfe nicht durch politische Anordnungen eingeschränkt werden. Ärzte handelten nicht illegal, wenn sie das Medikament nutzten, sagte Kammerchefin Heidrun Gitter. Entscheidend sei eine gute medizinische Indikation, die mit der Patientin gut besprochen werden müsse.
Mitte Juni tagte der Runde Tisch, an dem unter anderem Vertreter von Kliniken, des Bremer Bündnis natürliche Geburt und Gynäkologen teilnahmen. Ein Ergebnis dieses Gremiums, das laut Gesundheitsbehörde unter anderem wegen der Corona-Pandemie nicht wieder zusammen gekommen sei: „Anfang dieses Jahres soll es noch ein Informationsblatt über den Umgang mit Cytotec an den Kliniken geben“, sagt Behördensprecher Lukas Fuhrmann.