In Bremen gibt es eine Buslinie, die fast niemand kennt. Die U90. Sie taucht in keinem Fahrplan der BSAG auf, obwohl sie Bremen mit Bremerhaven verlässlich verbindet und zu einem bundesweiten Transportnetz gehört. Bremen hat auch einen zentralen Busbahnhof, den fast niemand kennt. Er befindet sich auf dem Gelände der JVA in Oslebshausen. Von hier aus wird der Gefangenentransport in Bremen und der Gefangenenaustausch für Norddeutschland organisiert.
Ein Wochentag, kurz nach elf: Das Rolltor zum großen Innenhof der JVA geht hoch. Ein Fahrzeug, das an einen Reisebus erinnert, rollt an der Transportstation vor. Der Wagen kommt aus Hannover, an Bord keine Passagiere wie du und ich, sondern Gefangene. Für einige von ihnen endet die Fahrt hier, für die meisten geht es nach einer Pause weiter Richtung Hamburg oder Oldenburg.
Mehrere Justizbeamte positionieren sich zwischen Bus und Gebäude, ein Kollege gleicht Papiere ab. Der erste Insasse steigt aus dem Bus, ein Mann in Jogginghose, vielleicht Mitte 60. Er balanciert einen zerschlissenen Pappkarton vor seinem Bauch. Die Beamten haben schon viel gesehen. Aber jetzt muss einer doch fragen: „Was ist das denn?“ „Mein Schlafapnoegerät“, kommt müde als Antwort. „Das gucken wir uns gleich noch einmal an“, sagt der Mann in Uniform, während der Gefangene ins Stationsgebäude schlurft. Der Mann und sein Gepäck sind zwar schon am frühen Morgen in Hannover von den dortigen Beamten gründlich durchsucht worden. Trotzdem kann ein zweiter Blick nicht schaden.

Bremen, Hamburg, Hannover, Oldenburg – auf dem Innenhof der JVA Oslebshausen treffen sich Gefängnisbusse aus ganz Norddeutschland, um Gefangene abzuliefern oder auszutauschen.
Der nächste Insasse, wieder ein Mann in Jogginghose, trägt sein Hab und Gut in einer Ikea-Tasche bei sich. „Raucher? Nichtraucher?“, fragt der Beamte mit der Liste. „Ich würde jetzt verdammt gern eine rauchen“, sagt der Mann, also kommt er in die Raucherzelle. So geht das noch ein paar Minuten lang. Einer nach dem anderen steigt aus dem Bus aus und wird auf die Zellen in der Station verteilt. Dann kommt auch schon der nächste Transporter. Diesmal aus Hamburg und das Ganze beginnt von vorn.
Die Betriebsamkeit im Innenhof der JVA kommt wie gerufen. Der WESER-KURIER hatte das Justizressort gebeten, doch einmal einen Gefangenentransport als Mitfahrer begleiten zu dürfen. Aus versicherungstechnischen Gründen war das nicht möglich. Umso besser, auf diese Weise wenigstens einen kleinen Eindruck vom laufenden Betrieb zu gewinnen.
Horst Düring öffnet die Tür zum größten der vier Gefängnisbusse, die seine Kollegen in einem Halbkreis geparkt haben. „Grüne Minna“ hat der Volksmund diese Transporter früher genannt, „unsere große grüne Minna“, sagt der Transportleiter jetzt. Eine Spezialanfertigung von Lkw-Bauer MAN. Platz für 19 Gefangene bietet der Bus, verteilt auf neun Kabinen; vier Einer, drei Zweier, eine Vierer, eine Fünfer. Schlichte Plastiksitze, das Glas ausbruchsicher, der Boden mit Metall verkleidet, viel Platz ist nicht.

Schon etwas älter, aber immer noch verlässlich im Einsatz: die grünne Minna, aber in der kleineren Ausführung.
Kleine Sichtschlitze sorgen dafür, dass ein wenig Tageslicht ins Innere fallen kann. Wer hier drinnen sitzen muss, trägt mindestens Handfesseln, je nach Gefährlichkeit auch Hand-Fuß-Fesseln und bekommt, wenn’s ganz schlimm wird, eine Spuckhaube über den Kopf gezogen. Für nicht wenige Gefangene bedeutet ein Transport nämlich Stress. Sie müssen zum Arzt, weil es ihnen nicht gut geht. Sie werden zu Gerichtsterminen gefahren, wo über ihre Zukunft entschieden wird. Sie werden in andere Strafanstalten verlegt. Von Norddeutschland nach Süddeutschland kann das schon mal ein, zwei Wochen dauern, wenn es nicht auf direktem Wege, sondern über den getakteten Fahrplan von einer JVA zur nächsten geht.
Bis zu 2000 Strafgefangene werden jeden Tag in Deutschland befördert. Rund 35.000 Kilometer legen die Bremer Gefängnisbusse im Jahr zurück, nicht nur zwischen Bremen und Bremerhaven oder innerhalb Bremens zum Justizkomplex an der Domsheide oder zum Amtsgericht nach Blumenthal, sondern auch, wenn sie um Amtshilfe aus benachbarten Landkreisen gebeten werden. Nach Karlsruhe, dort sitzt der Bundesgerichtshof, sind die Bremer auch schon gefahren. 57 sogenannte Überlandfahrten haben die Bremer Beamten im vergangenen Jahr übernommen.

Die Kabinen verfügen über keinen Komfort. Licht fällt vor allem durch die Fensterschlitze von außen ins Fahrzeug.
Wenn Düring seinen Dienst um 6.30 Uhr beginnt, studiert er als Erstes Papiere. Wer muss wo hin? Wer mit wem zusammensitzt, ist ein Puzzlespiel. An Bord können Mörder und Schläger sein, Drogendealer, Betrüger, Einbrecher. „Es gilt das Trennungsgebot“, sagt Düring. U-Häftlinge dürfen nicht mit verurteilten Strafgefangenen zusammensitzen. Frauen und Jugendliche werden getrennt von Männern auf verschiedene Kabinen verteilt. Medizinische Gründe können darüber entscheiden, ob jemand im Sammel- oder als Einzeltransport befördert wird.
„Wir werden von den Kollegen aus den Abteilungen außerdem darüber informiert, wer gerade wie drauf ist, bei wem die Zündschnur besonders kurz ist zum Beispiel“, sagt Düring. Ansonsten setzt er auf seine Erfahrung und sein Bauchgefühl. „Wir würden niemals einen Pädophilen und einen 22-jährigen Häftling in eine Kabine packen.“

Kleiner, aber nicht weniger ausbruchssicher: Ein Kastenwagen mit sechs Plätzen. Die hintere Reihe ist durch eine Wand von vorne abgetrennt.
Manchmal reicht der Kastenwagen mit sechs Sitzen. Er ist zwar kleiner als die anderen Fahrzeuge, aber genauso sicher. Auf engen Parkplätzen vor Arztpraxen zum Beispiel ist ein kleines Fahrzeug von Vorteil. Manchmal muss es aber auch die große Minna mit ihren 19 Plätzen sein, selbst wenn nur acht Gefangene mitfahren. So wie kürzlich, als Mitglieder einer Drogenbande wochenlang zum Prozess vor dem Landgericht in den gesonderten Sitzungssaal Sielhof gebracht werden mussten. Jeder der acht Insassen saß in einer eigenen Kabine.
Die Beamten sind ein eingespieltes Team. Mindestens zu zweit, oft auch zu dritt begleiten sie die Fahrten. Manchmal tragen sie schusssichere Westen und Helme, manchmal haben sie auch Maschinenpistolen dabei. Das kommt ganz darauf an, wen sie von A nach B bringen. Höchste Alarmbereitschaft gilt, wenn Terroristen an Bord sind. In der JVA Oslebshausen sitzen gerade ein paar von ihnen ein. In solchen Fällen begleiten Fahrzeuge von SEK und/oder Bereitschaftspolizei den Transport.
Die Gefahr fährt immer mit. Es ist erst ein Jahr her, dass eine Bande im Norden Frankreichs einen Gefangenentransporter überfallen hat. Die Verbrecher befreiten „die Fliege“, den Boss einer Drogengang, und töteten dabei zwei Beamte. Den Männern in Bremen ist so etwas Dramatisches noch nicht passiert. „Aber man muss immer im Hinterkopf behalten, dass es gefährlich werden kann“, sagt einer der Beamten.
Düring erinnert sich an einen der seltenen Bremer Fälle. 2007 hatten drei Männer einen Häftling befreit, als dieser in Begleitung von zwei JVA-Beamten auf dem Weg zu einem Arzttermin in Gröpelingen war. Einer der Angreifer sprühte den beiden Beamten im Praxisflur Pfefferspray in die Augen, ein zweiter schnappte sich den Gefangenen und brachte ihn zum Fluchtwagen, den der dritte Mann fuhr.
Deshalb sind die Beamten stets auf der Hut, sondieren die Umgebung. Sie suchen die jeweiligen Fahrstrecken sorgsam aus, versuchen, dem Berufsverkehr auszuweichen, nehmen nicht immer dieselbe Route. Sie wollen unberechenbar sein. Nicht gut, wenn der Verkehr stockt, ungeplante Sperrungen für Umwege sorgen oder der Transporter im Stau komplett zum Stehen kommt. Das würde ihn zu einem ruhenden Ziel machen und außerdem den Fahrplan stören. Notfalls darf sich die Besatzung den Einsatz von Blaulicht und Martinshorn genehmigen lassen.

Der Nächste bitte: Die JVA Oslebshausen ist ein Verteilerbahnhof für Norddeutschland. In Bremen machen Gefängnisbusse aus Hamburg, Oldenburg und Hannover Station.
Die Beamten müssen auf alles gefasst sein: Ist der Insasse wirklich in Not, wenn er hinten in der Kabine den Notfallknopf drückt? Muss der Insasse während der Fahrt wirklich zur Toilette oder steckt etwas anderes dahinter? Durch die Gucklöcher verschaffen sich die Beamten einen ersten Eindruck. Weil kein WC an Bord ist, würde ein Toilettengang den ganzen Ablauf über den Haufen werfen. Mal eben rechts ranfahren auf den Autobahnparkplatz? Düring und seine Männer lachen laut. „Um Himmels willen“, sagt der Chef, „zur Toilette geht es nur in der nächsten JVA oder bei der Autobahnpolizei.“