Auf den ersten Blick wirkt alles wieder ganz normal: Am Brill laufen große Gruppen Fußgänger entlang, laute Straßenbahnen fahren an den Fensterfronten vorbei, Autos donnern über die Kreuzung, Fahrradfahrer bahnen sich ihren Weg durch die Menge. Und doch ist etwas anders: Ein komplett weiß-lackiertes Fahrrad lehnt angekettet an einen Laternenpfahl – mit einem auffälligen Schild am Hinterrad. Ein Kreuz ist darauf zu sehen und die Inschrift: "Hier verstarb eine Radfahrerin, 24 Jahre, 4.4.2018".
In mehreren deutschen Städten wie Berlin, Hamburg, Köln oder Göttingen gibt es sie bereits: die sogenannten Geisterräder. Diese weißen Fahrräder erinnern an Unfälle, bei denen Radfahrer gestorben sind. 2013 wurde das erste Gedenkrad in Bremerhaven aufgestellt.
Ursprünglich stammt die Idee der "Ghost Bikes" aus den USA; die ersten wurden 2003 in St. Louis in Missouri aufgestellt. 2015 lehnte die Bremer Polizei ihre Aktion "Crash-Bikes" an diese Idee an: Die grün lackierten Räder, die in der Stadt aufgestellt wurden, sollen abschreckend wirken und zu mehr Rücksicht auf Radfahrer aufrufen. Die Aktion richte sich aber nicht nur an Autofahrer, sondern auch an die Radfahrer selbst, erklärt die Polizei.
Versehen sind die "Crash-Bikes" mit Warnschildern und kurzen Botschaften, so weisen sie auf potenzielle Gefahren hin. Von Zeit zu Zeit wechseln sie den Standort, damit möglichst viele Verkehrsteilnehmer erreicht werden. Auch diesen Frühling möchte die Polizei Bremen sie wieder an gefährlichen Stellen im Straßenverkehr postieren.
Nun steht auch an der Kreuzung Am Brill ein "Geisterrad". Es erinnert an den schweren Unfall am Mittwoch, bei dem ein nach rechts abbiegender Lastwagen eine 24-jährige Frau auf ihrem Fahrrad überrollte. Sie war an der Bürgermeister-Smidt-Straße unterwegs, er wollte in die Hutfilterstraße einbiegen. Noch immer herrscht Fassungslosigkeit über den tödlichen Zusammenprall. Von Unbekannten wurde eine gelbe Blume am Lenker des Gedenkrads befestigt. Aufgestellt hat es der Allgemeine Deutsche Fahrrad-Club Bremen (ADFC).
Gelbe Blume von Unbekannten
Das Rad sei nicht neu, erklärt Sprecher Albrecht Genzel. Es stand zuvor schon an zwei anderen Standorten in der Stadt – zuerst vor etwa drei Jahren an der Ecke Bürgermeister-Smidt-Straße/Birkenstraße. Dort sei eine Radlerin bei Grün über die Straße gefahren und von einem Fahrzeug erfasst worden. Anfang 2017 wurde das Rad an den Arsterdamm gestellt. Auch dort war ein Radfahrer beim Überqueren der Straße tödlich verunglückt.
"Wir wollen darauf aufmerksam machen, was passiert, wenn man unaufmerksam ist und fahrlässig handelt", sagt Genzel. Die Mahnung richte sich an alle Verkehrsteilnehmer, aber vor allem natürlich an Autofahrer. "Je stärker die Maschine, desto größer der Schaden. Beim Auto kann der kleinste Fehler schon fatale Folgen haben." Daher sollte sich jeder etwas mehr Zeit im Straßenverkehr nehmen, um Stress und Gereiztheit zu vermeiden.
Zwei Tage nach dem tödlichen Unfall am Brill, wenige Meter entfernt vom weißen Fahrrad, passierte es fast erneut: Ein Lastwagen biegt in die Obernstraße ein und reißt beinahe drei Radfahrer mit, wie eine Leserin des WESER-KURIER berichtet. Sie war zu dem Zeitpunkt auf ihrem Fahrrad unterwegs und wollte bei Grün die Brillkreuzung überqueren. „Wir mussten stark bremsen“, schreibt sie auf unserer Internetseite. Der Fahrer habe sie gar nicht beachtet, Augenkontakt sei nicht möglich gewesen. „Wohl gemerkt, der Wagen kam von hinten", der Fahrer müsse sie gesehen haben.
Also entschied sich die Radlerin, ihm zu folgen und den Fahrer mit dem Vorfall zu konfrontieren. „Der junge Mann antwortete, das täte ihm leid“, berichtet sie. Er habe sogar vom Unfall am Mittwoch gewusst: „Auf die Anmerkung, dass vorgestern eine junge Frau von einem Lkw zu Tode gefahren wurde, meinte er, dass er das wüsste und ihm das leid täte.“ Was den Unfall am Mittwoch verursacht hat, ist noch unklar, die Ermittlungen der Polizei dauern an.
++ Zuletzt aktualisiert am 6. April um 20.42 Uhr. ++