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Explodierende Mieten Genossenschaft Hulsberg beklagt mangelnde Unterstützung der Regierung

Trotz der aufgeheizten Stimmung hatte die jüngste Bau-Fachausschuss-Sitzung des Beirates Östliche Vorstadt auch etwas Gutes: Das Haus Humboldtstraße 94 soll in absehbarer Zeit in Erbpachtrecht verkauft werden.
05.02.2020, 20:45 Uhr
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Genossenschaft Hulsberg beklagt mangelnde Unterstützung der Regierung
Von Sigrid Schuer

Explosive Stimmung in der jüngsten Sitzung des Fachausschusses Bau, Wohnen, Öffentlicher Raum des Beirates Östliche Vorstadt. Die anwesenden Bürger machten ihrem Unmut deutlich Luft. Allen voran Hartwig Gerecke, umtriebiger Aktivist des Aktionsbündnisses Menschenrecht auf Wohnen und Beauftragter der Stadtteilgenossenschaft Hulsberg. Er bezeichnete die „irre Wohnungsfrage als sozialen Sprengstoff unserer Zeit“.

So empfindet es Gerecke unter anderem als Skandal, dass das Haus mit der Hausnummer 94 in der Humboldtstraße seit nunmehr zwei Jahren leer steht. Genauso wie die Tatsache, dass lediglich ein paar hundert Wohnungen im Neuen Hulsberg Viertel in die Sozialbindung gingen und das limitiert auf eine Laufzeit von 20 Jahren. Entwickle sich die Mietpreisspirale weiter wie bisher, dann sei absehbar, dass sich die Mieter nach Ablauf dieser Frist ihre Wohnungen nicht mehr leisten könnten.

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Margot Müller, bei der Stadtteilgenossenschaft Expertin für die diffizile B-Schein-Berechtigung, bietet im übrigen Beratungen dazu an. Der Beirat hatte eine Sozialbindung von 30 Jahren gefordert. Allerdings hat er lediglich eine beratende Funktion. Eine anwesende Bürgerin fragte denn auch aufgebracht: „Was macht die Politik eigentlich für die breite Mitte? Für die Leute, die keinen B-Schein haben, sich aber trotzdem die Mieten in Bremen nicht mehr leisten können?“ Steffen Eilers von den Grünen gab ihr recht: „Es müsste eingegriffen werden“.

Eigentümerin des Hauses Humboldtsraße 94 ist laut Gerecke die stadteigene Gesellschaft Immobilien Bremen. „Es bewegt sich nichts“, empörte er sich und erlaubte sich, ein bisschen zu provozieren, indem er in den Raum stellte, ob der Senat absichtlich solange warte, bis die Grundstücks-Verkaufspreise rund um das Neue Hulsberg Viertel weiter explodieren, um das Haus dann mit höchst möglichem Gewinn zu verscherbeln. „Es ist doch eine stadtentwicklungspolitische Katastrophe, wie die Mieten in die Höhe schießen“, betonte Gericke und skizzierte die Folgen: Je mehr der Verkehrswert der umliegenden Grundstücke steige, desto steiler stiegen die Festpreise für die Genossenschaften.

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Nach einer Besichtigung vor Ort im Dezember ist Gereckes Einschätzung, dass in dem Haus Humboldtstraße 94 mit überschaubarem Sanierungsaufwand zumindest zwei Großfamilien unterkommen könnten. Für eine kulturelle Nutzung des Erdgeschosses hat die Zwischenzeitzentrale Interesse bekundet. Mit Oliver Hasemann und Daniel Schnier waren auch zwei Köpfe des Zwischennutzungsprojektes zu der Sitzung gekommen. „Wenn es um reguläres Wohnen geht, sind wir allerdings raus, da das für eine Zwischennutzung zu kompliziert ist“, betonten sie.

Zumindest was den Fall in der Humboldtstraße angeht, kann Peter Schulz, Sprecher von Immobilien Bremen, Entwarnung geben. Auf Nachfrage des WESER-KURIER erläutert er den Sachverhalt. Bei dem Haus in der Humboldtstraße 94 handele es sich um ein Nebengebäude des Gesundheitsamtes. Zunächst habe bei allen senatorischen Behörden genau geprüft werden müssen, ob es dort Bedarf für eine Anmietung der Räume gebe. Laut Susanne Kirchmann, Geschäftsführerin bei Immobilien Bremen, liege es auf der Hand, dass Liegenschaften dieses Alters nach längerer Nutzung und Leerstand einen höheren Sanierungsbedarf aufweisen. Ferner werde es angestrebt, das Objekt nach positiver Entscheidung des Haushalts- und Finanzausschusses im Erbbaurecht und nicht im Erbpachtrecht zu vergeben.

Dieses Verfahren würde sich naturgemäß hinziehen, sei jetzt aber abgeschlossen. Es gebe in dieser Hinsicht keinen Bedarf. Noch im Februar werde das Objekt im Haushalts- und Finanz-Ausschuss behandelt, zügig gefolgt von einer Ausschreibung. „Das Ziel ist es, dass Objekt marktgerecht verkaufen zu lassen und zwar auf 99 Jahre in Erbpachtrecht“ kündigt Schulz an.

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Doch dieses Haus ist nur eines von vielen Leerständen in Bremen, noch fehlen allerdings valide Zahlen. Zum Vergleich: In Hamburg sind es laut Gerecke 4000 bis 5000 Leerstände. Hier wurde allerdings ein Wohnraumschutzgesetz in Kraft gesetzt, das ermögliche bei Leerständen nach drei Monaten einzugreifen und notfalls leerstehenden Wohnraum zu enteignen. Ein solches Wohnraumschutzgesetz sei vor einem Jahr in Bremen ebenfalls beschlossen, allerdings noch nicht umgesetzt worden.

Dass für das Haus Humboldtstraße diese Lösung gefunden wurde, dürfte die Genossenschaftlerinnen und Genossenschaftler freuen. Weniger freut es sie allerdings, dass Bausenatorin Maike Schaefer von den Grünen für Bremen weiterhin einen Mietendeckel kategorisch ausschließt. In Berlin ist er mittlerweile in Kraft. Dort gebe es im Gegensatz zu Bremen auch einen Genossenschaftsbeauftragten, so Hartwig Gerecke. Bei Missachtung des Mietendeckels drohe eine Strafzahlung im fünfstelligen Bereich.

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Apropos Mietendeckel: Auch Gerecke und seine Aktivistenkollegen wollen beim Bremer Senat Ende März einen entsprechenden Antrag auf Mietenstopp stellen. Alexandra Werwath, Landesvorstandssprecherin der Grünen, beteuerte, dass momentan eine interne Debatte in der Regierungskoalition geführt werde. Es gebe einen ganzen Baukasten an Maßnahmen. Die Koalition habe nur momentan sehr viel zu tun, deshalb sei weiterhin Geduld gefragt.

Auf der Fachausschuss-Sitzung wurde allerdings deutlich, dass die Geduld so mancher Bürgerinnen und Bürger mittlerweile am Ende ist. So monierte Hartwig Gerecke, dass es bislang in puncto Förderung von städtebaulichen Maßnahmen zugunsten einkommensschwacher Menschen und besonders von genossenschaftlichem Wohnen lediglich bei Lippenbekenntnissen der rot-rot-grünen Regierung geblieben sei. Gemäß des Goethe-Spruchs: „Der Worte sind genug gewechselt, lasst mich auch endlich Taten sehn!“ Das Papier, auf dem der Koalitionsvertrag verfasst worden ist, sei indes geduldig.

Erschwerend hinzu käme, dass die Genossenschaften viele Interessenten hätten, die sich aber einen Kauf von Anteilen nicht leisten könnten. München habe sich laut Gerecke für solche Fälle etwas einfallen lassen. Dort gewähre die Regierung nämlich für solche Anteile Darlehen und schließe darüber Verträge mit den Genossenschaften. In Bremen hingegen fühlten sich die an genossenschaftlichem Bauen Interessierten ziemlich im Stich gelassen. Geboten sei eine Anschubfinanzierung sowie eine finanzielle Unterstützung für die Beratung durch Finanzexperten und Architekten, um genossenschaftliches Wohnen erst einmal als Leuchtturmprojekt auf die Schiene zu bringen.

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Beim Bettenhaus hätten alleine die Beratungskosten eine hohe fünfstellige Summe verschlungen. Diese Finanzierung könne eine Genossenschaft kaum alleine stemmen. Deshalb appellierte Gerecke an den Beirat, die Wohnungsbaugenossenschaften zu unterstützen und politischen Druck zu machen: „Das wäre zumindest schon einmal ein Signal, denn wenn dieses Jahr nichts angestoßen wird, dann ist es erst einmal gelaufen“.

Diese Unterstützung sicherten auch Steffen Eilers von den Grünen und Fraktionskollegin Alexandra Werwath sowie Helmut Kersting von der Linken, stellvertretend für den Fachausschuss, zu. Eilers wurde beauftragt, einen Antrag für die nächste Beiratssitzung zu formulieren. Hartwig Gerecke legte allerdings mit Kritik noch einmal nach: Er kritisierte, dass im Neuen Hulsberg Viertel erneut ein weiteres Haus, nämlich die Nummer 38a verkauft worden sei. Das steht laut Gerecke nicht unter Denkmalschutz, könnte also durch einen Investor abgerissen werden.

Dabei habe Hubertus von Schwarzkopf, langjähriger leitender Betriebsarzt am Klinikum Bremen-Mitte, darauf hingewiesen, dass mit dem engen Verkaufskorsett dem neuen Klinikum kein Spielraum gelassen werde, sich entwickeln zu können. Auch in diesem Punkt solle der Beirat intervenieren. Karin Steiger, die für die Initiative Leben im Viertel im Beirat sitzt, forderte baldmöglichst einen Verkaufs- und Bau-Stopp, bis diese Einwände des Betriebsrates des Klinikums endgültig geklärt sind.

++ Der Artikel wurde am 6. Februar um 17.32 Uhr aktualisiert. ++

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