Bremen. In der Luft liegt der chemische-künstliche Geruch von Kunststoff. Klobige Maschinen, in Reih und Glied aneinandergestellt, zischen und brummen vor sich hin. Unterbrochen nur von einem Rauschen: Es ist das Granulat, das über dicke Metallrohre direkt in die Maschinen rieselt, erhitzt und dann in die Spritzgussformen gepresst wird.
Hier, in den langgezogenen Fabrikhallen im fränkischen Dietenhofen, ist dieses Granulat mehr als nur Kunststoff. Es ist der Rohstoff, die DNA der Fantasie-Welt, aus der die Firma Geobra Brandstätter ihren Spielzeugklassiker Playmobil entstehen lässt. Wieder zischt und stöhnt es, ein Fließband setzt sich in Bewegung und kleine Plastik-Mammutschädel plumpsen in den bereitgestellten Eimer.
Gerade jetzt, zur Weihnachtszeit, läuft die Produktion auf Hochtouren. Rund um die Uhr bedrucken, montieren, kontrollieren und verpacken die 1100 Mitarbeiter in Dietenhofen die kleinen Kunststoffteile. Es sind nicht nur Elefanten-Schädel, die aus den über 400 Spritzmaschinen herauskommen: Hundeköpfe, Burgmauern, Totenschädel, Handys - nichts, was es nicht gibt in der Playmo-Plastik-Welt. Sprecherin Judith Weingart zieht eine rosa Platte von einem der Laufbänder, mustert sie kurz. "Das wird später mal der Boden des Prinzessinnenschlosses", sagt sie und streicht über die Platte. "Gerade zu Weihnachten ist das zusammen mit dem Piratenschiff der absolute Verkaufsschlager."
Die Playmo-Figuren selbst werden in Malta hergestellt, vormontiert werden sie in Tschechien. Außerdem gibt es noch ein Werk in Spanien. Dietenhofen hat sich auf die Endmontage und das Bedrucken des Spielzeugs spezialisiert. Außerdem stellt das Werk noch sämtliches Zubehör her. "Das hört sich erst einmal nüchtern an", sagt Weingart, "aber immerhin entsteht hier alles, was die Playmo-Welt überhaupt lebendig macht." Stimmt: Was wäre der Ritter ohne sein Turnierpferd? Oder ohne die Burg, aus der er ein hübsches Burgfräulein retten muss?
Ölkrise als Geburtshelfer
Ohne die Ölkrise der 70er-Jahre hätte es die lächelnden, exakt 7,5 Zentimeter großen Plastikmännchen nie gegeben. Die Firma Geobra Brandstätter, 1876 in Fürth gegründet und dann in Familienhand im Nachbarort Zirndorf weitergeführt, produzierte anfangs Metall-Spielzeug wie Blechdosen und Zubehör für den Kaufladen. Später benutzte man zur Produktion Kunststoff. Doch dann stieg und stieg der Ölpreis. Umdenken war gefragt, um nicht vom Markt zu verschwinden, kleiner und vor allem billiger in der Produktion sollte das neue Spielzeug werden. Der Entwickler Hans Beck zog sich in seine Werkstatt zurück, tüftelte herum, und kam mit einem kleinen Kunststoff-Männchen in den Händen zurück. Das Männchen hatte weder Nase noch Ohren, aber mit einem "Klick" hatte es eine Schaufel in der Hand und einen Hut auf dem Kopf.1974 wurden die Playmobil-Männchen auf einer Hausmesse, die parallel zur Internationalen Spielwarenmesse in
Nürnberg stattfand, vorgestellt. Die ersten Playmo-Sets waren reine Jungen-Fantasien: Indianer, Bauarbeiter, Ritter. Nach und nach erweiterte sich das Sortiment, die Plastik-Welt wurde viel bunter und vielseitiger. 1976 kamen Frauen, in den 80er-Jahren dann Kinder hinzu. Wurde anfangs Weiblichkeit nur vorsichtig durch lange Haare und einen Rockzipfel angedeutet, haben heutige Playmobil-Damen Brüste und tragen selbstbewusst Bikini. Playmobil konnte zusätzlich durch geschicktes Marketing auch Mädchen für sich gewinnen. "Das Klischee vom reinen Jungen-Spielzeug stimmt einfach nicht mehr", sagt Sprecherin Weingart beim Gang durch die Werkhalle. "Unsere Käufer sind zwar zu 65 Prozent männlich, mittlerweile aber eben auch zu 35 Prozent weiblich."
Im Minutentakt
Soeben kommt in der Montagehalle auf dem Laufband ein Prinzessinnenschloss vorbeigefahren, halbfertig und noch im offenen Karton. Routiniert stehen und sitzen die Werksarbeiter am Band, packen im Minutentakt in Tüten eingeschweißte Figuren dazu, legen Bodenplatten, Badewannen und Dachgiebel mit hinein und stülpen einen Deckel drauf. Fertig ist das Weihnachtsgeschenk. Schnell muss das alles passieren, denn auf dem Band rollt schon der nächste Karton heran.
Weiter geht's dann in den größeren, braunen Versandkarton und anschließend in die Lagerhalle. Postkutschen, Rennautos, Schatzinseln und vor Weihnachten auch Nikoläuse und Christkinder stapeln sich auf 11200 Quadratmetern bis zu 40 Meter hoch an die Decke. Reihe für Reihe nur Kartons mit dem Logo des lächelnden Männchens. Ein Roboter saust zwischen den einzelnen Regalen herum und sorgt dafür, dass trotz der 52000 Palettenstellplätze kein Chaos entsteht. "Von hier geht unser Spielzeug in die ganze Welt", sagt Weingart, 5000 Paletten werden hier im Lager jeden Tag ab- und umgeladen. 48 Millionen Playmobil-Packungen werden von Dietenhofen aus pro Jahr verschickt. In der Tat: Unternehmer Horst Brandstätter hat seiner Marke Playmobil internationale Nachfrage beschert. Der weltweite Firmenumsatz lag 2010 bei 507 Millionen Euro. Playmobil scheint damit dafür zu sorgen, dass auch im Zeitalter von DVDs und Videospielen Spielzeug
"in" ist, das aus der guten alten Spielzeugkiste hervorgeholt werden kann. Mittlerweile hat sich aber auch unter Erwachsenen eine den Globus umspannende Fan-Gemeinde gebildet, die persönlich und über das Internet sammelt und tauscht. "Wir erleben gerade die zweite Generation", erklärt Weingart den für Playmo so positiven Trend. "Die Erwachsenen, die früher mit Playmo gespielt haben, wollen jetzt mit ihren eigenen Kindern diese Tradition fortsetzen. Davon profitieren wir, das macht uns zu einem zeitlosen Spielzeug."
In der Konzernzentrale in Zirndorf wartet schon der Entwicklungsleiter Bernhard Hane. Er soll dafür sorgen, dass die Plastikmännchen auch nach fast 40 Jahren nicht alt aussehen. Aufgereihte Figuren vor ihm auf dem Konferenztisch zeigen gut, dass das funktionieren kann: Hinten in der Schlange steht die ältere Generation, die Hände noch unbeweglich und gelb, grün oder blau wie der Rest des Körpers. Ohne Schnickschnack stehen sie am Ende der Kette, manchmal mit einem Hut oder einer Kette.
Das war's dann aber auch schon. Weiter vorne wird alles viel ausgefeilter: Zirkusdirektoren tragen Westen und Krawatten, Piraten geben sich ausgefranst-bunt. "Die Technik macht es möglich", sagt Hane und nimmt zur Verdeutlichung einen alten und neuen Ritter in die Hand. Hat er alte noch nicht wirklich viel außer Helm und Brustpanzer zu bieten, fällt der neue durch Drachenschmuck am Schild und ein Helmvisier zum Herunterklappen auf. "Früher ging das noch nicht, aber jetzt können wir den Kindern so viel Detailtreue wie möglich anbieten", sagt Hane.
Neues wird aber auch entwickelt. Hane und sein 77-köpfiges Team befragen Kinder, werten Ergebnisse dahingehend aus, ob aus deren Wünschen irgendwann einmal ein neues Produkt im Playmo-Sortiment werden kann. Auch Fanpost findet den Weg nach Zirndorf - zu Weihnachten ist auch schon mal ein Brief an den Nikolaus dabei. Hane prüft auch hier, ob sich vielleicht ein Vorschlag realisieren lässt und wie viel Aufwand dafür nötig ist.
Über die Jahre ist viel Neues hinzugekommen, ferngesteuerte Autos, Leuchtkanonen und Solarmodule sind zur Zeit unheimlich angesagt. Eine Sache aber wird sich so schnell nicht verändern: Nase und Ohren sind und bleiben in der Playmobil-Welt tabu. Hane: "Warum sollten wir denn? Trotz aller Detailfülle sind die Figuren so reduziert, dass sich jedes Kind in ihre Rollen hineinversetzen kann. Playmobil ist ein Rollenspiel. Die Kinder bringen die Fantasie mit, wir stellen die Welt zur Verfügung. Das ist das Prinzip, das macht Playmo zum Klassiker."