Bürgermeister Jens Böhrnsen (SPD) hat Anfang Februar ein Machtwort gesprochen: Er will eine geschlossene Unterbringung für kriminelle junge Flüchtlinge ermöglichen. Die Senatsressorts haben Pläne dafür vorgelegt. Darüber hat Sabine Doll mit Thomas Berthold vom Bundesfachverband Unbegleitete Minderjährige Flüchtlinge in Berlin gesprochen.
Eine kleine Gruppe von jungen Flüchtlingen fällt immer wieder durch Gewalt und Straftaten auf, sorgt für Polizeieinsätze und Unsicherheit in der Bevölkerung. Ist dieser Situation nur durch eine geschlossene Betreuungseinrichtung Herr zu werden?
Thomas Berthold: Eine geschlossene Unterbringung wird diese Probleme nicht lösen. Ganz im Gegenteil sogar. Man muss im Rahmen der Kinder- und Jugendhilfe agieren und diese Gruppen nicht einfach wegsperren, damit sie von der Straße sind. Geschlossene Einrichtungen bringen gar nichts. Sie werden nur dazu führen, dass diese Kinder und Jugendlichen aus Bremen abhauen. Wenn es das Ziel ist, dass man sie auf diesem Weg aus Bremen wegkriegen möchte – nach dem Motto: aus den Augen aus dem Sinn –, mag das auf einer kurzsichtigen, politischen Ebene funktionieren. Aber für die Kinder und Jugendlichen selbst ist das überhaupt keine Lösung. Und vor allem nicht im Sinne des Kindeswohls und der Jugendhilfe.
Die Argumentation in Bremen ist, dass pädagogische Konzepte bei dieser Gruppe nicht greifen. Ist diese Reaktion da nicht verständlich?
Diese Argumentation gibt es in fast allen Bundesländern, die von dieser Situation betroffen sind. Wir stellen fest, dass es in diesen Bundesländern eine völlig überlastete oder überforderte Aufnahmestruktur gibt und pädagogische Maßnahmen, wenn es sie denn überhaupt gibt, auch nur sehr schwer Anwendung finden können. Gerade auch, wenn es Maßnahmen sind, die aus der Not heraus geboren werden. Insbesondere im Hinblick auf diese sehr schwierige Gruppe von Flüchtlingen.
Wie groß ist das Problem für die Städte und Kommunen?
Zuallererst: Diese Jugendlichen stellen in der Gruppe der unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge eine absolute Minderheit dar. In Bremen geht es um bis zu 30 von insgesamt etwa 500 Jugendlichen. Das Auffällige ist aber, dass dieses Phänomen immer dann zum politischen Thema wird, wenn Wahlen oder ähnliches anstehen. Wir sehen das in diesem Jahr mit der Bürgerschaftswahl im Mai in Bremen und vor Kurzem erst in Hamburg. Das Gleiche spielte sich im letzten Jahr vor den Gemeinderatswahlen in Freiburg ab. Danach war das dort plötzlich kein großes Thema mehr, und die Jugendhilfe konnte wieder in Ruhe mit den Kindern und Jugendlichen arbeiten.
Wo muss ein Konzept aus Ihrer Sicht dann ansetzen?
Es ist wichtig, einen genauen Blick auf diese Kinder und Jugendlichen zu werfen, welche Hintergründe sie haben, in welchen teilweise von Gewalt geprägten Strukturen sie sozialisiert wurden und wie man trotzdem dauerhaft an sie herankommen kann. Das erfordert allerdings aufwendige pädagogische und passgenaue Konzepte, die sich gezielt an diese Gruppe richten. Das braucht Zeit, und man wird sicher auch nicht alle aus dieser Gruppe damit erreichen. Aber man muss eine Lösung mit dem Blick auf die Kinder finden und nicht einfach mit dem vorrangigen Ziel, sie von der Straße zu bekommen.
Gibt es Beispiele für Erfolg versprechende Konzepte?
Ich habe mir im Oktober eine Einrichtung in Freiburg angesehen, wo auch mit auffällig gewordenen Jugendlichen gearbeitet wird. Es wurden viele Angebote gegenüber den Jugendlichen formuliert und unterbreitet. Es ist es gelungen, zumindest einen Teil von ihnen zu erreichen. Der Umkehrschluss aber – weil man nicht alle erreicht – , sie wegzusperren, wird eher dazu führen, dass sie von dort abhauen und versuchen werden, sich jeglichem Zugriff von staatlicher Seite zu entziehen. Damit ist gar nichts erreicht.
Woher kommen diese Kinder und Jugendlichen – und warum ist es so schwierig, sie mit den üblichen Jugendhilfekonzepten zu erreichen?
Die meisten von ihnen kommen aus nordafrikanischen Ländern, haben zum Teil eine lange Karriere als Straßenkinder mit Gewalterfahrungen hinter sich und sind entsprechend sozialisiert. Bislang gibt es aber noch zu wenige Erfahrungen und zu wenig Wissen, um den Jugendlichen nachhaltig helfen zu können.
Bremen hat 2014 mehr unbegleitete minderjährige Flüchtlinge aufgenommen als die gesamten neuen Bundesländer zusammen. Bisher ist es so, dass sie dort aufgenommen werden müssen, wo sie sich anmelden. Deshalb will Bremen eine gleichmäßigere Verteilung auf die Bundesländer. Ist das eine Lösung?
Nein, denn das verschiebt das Problem nur in andere Städte oder Dörfer. Und vor allem ist das keine Lösung für das Verhalten dieser Jugendlichen. Eine Verteilung muss das Wohl der Kinder berücksichtigen. Es gibt noch einen zweiten, rechtlichen Punkt, der dagegen spricht: Bei diesem Gesetzentwurf geht es nicht primär um die Verteilung straffällig gewordener Jugendlicher, sondern um die gesamte Gruppe der unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge. Zudem ist eine Verteilung nach einem starren Quotensystem unvereinbar mit einer individuellen Berücksichtigung des Kindeswohls. Und das widerspricht der UN-Kinderrechtskonvention sowie der europäischen Grundrechtecharta. Und die Kommunen würden nur scheinbar entlastet.
Inwiefern ist das nur eine scheinbare Entlastung?
Das zieht große organisatorische Probleme nach sich. Nach jetzigen Vorstellungen soll die Umverteilung dann innerhalb von zwei Wochen stattfinden können. Gerade bei hohen Zugangszahlen wird es aber viel, viel länger dauern. Und das heißt: Die unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge werden trotzdem in gleicher Zahl in Bremen auftauchen und dort versorgt werden müssen. Und deshalb ist nur scheinbar von einer Entlastung der Kommunen auszugehen. Das wird eher für großes Chaos sorgen. Zudem würden die Jugendlichen über Wochen in einer Art Transit hängen, mit einer völlig unklaren Perspektive und ohne rechtlichen Beistand.