Ein 92-jähriger Autofahrer in Bremen fährt über eine rote Ampel und übersieht einen Jungen. Eine 72-Jährige kommt einem Motorradfahrer auf der Linksabbieger-Spur entgegen und erfasst ihn frontal. Eine 81-jährige Frau in Bremerhaven verliert an einer Tankstelle die Kontrolle, sie rammt die Zapfsäule und kollidiert mit zwei Autos. Es sind solche Meldungen von Unfällen, die Michael Kreie vom Bremer Fahrlehrerverband fordern lassen: „Wir brauchen verpflichtende Gesundheitschecks für ältere Autofahrer, dadurch könnten solche Unfälle vermieden werden.“
Das Alter allein sei kein Risikofaktor, betont der Verbandsvorsitzende. Es sei aber unbestritten, dass sich mit steigendem Alter körperliche und medizinische Einschränkungen einstellten, das betreffe das Seh- und Reaktionsvermögen, aber auch Erkrankungen wie Demenz, Parkinson oder auch Nebenwirkungen durch Medikamente. „Für Fahranfänger haben wir viele Maßnahmen wie begleitetes Fahren, den Führerschein auf Probe und die 0,0-Promille-Grenze getroffen, aber für ältere Autofahrer gibt es keinen Rahmen, um die Fahreignung einschätzen zu können“, kritisiert Kreie.
Im Januar diskutierten Juristen, Wissenschaftler und Verkehrsexperten beim 55. Deutschen Verkehrsgerichtstag in Goslar über das Thema. Auf verpflichtende Gesundheits- oder auch Fahreignungstests konnten sie sich nicht einigen. Es gebe zwar Hinweise darauf, dass ältere Menschen als Kraftfahrer ein zunehmendes Risiko für die Sicherheit im Straßenverkehr darstellten.
Statistik ist zwiegespalten
Die Datengrundlage zur Risikoabschätzung fehle dafür noch. Bis dahin seien Senioren aufgefordert, selbst zu prüfen, ob sie sich beim Autofahren noch sicher fühlen. Denkbar seien Fahrten, bei denen ein Fahrlehrer oder Psychologe die Fahreignung auf freiwilliger Basis einschätze. Wird der Check nicht bestanden, bliebe das aber ohne Folgen.
Die Statistik ist zwiegespalten: Das höchste Unfallrisiko gilt laut Zahlen des Statistischen Bundesamts nach wie vor und mit Abstand für die 18- bis 24-Jährigen. 2015 waren nur 12,9 Prozent aller Unfallbeteiligten in Deutschland 65 Jahre oder älter, dabei beträgt ihr Anteil an der Bevölkerung rund 21 Prozent. Es gibt aber auch jene Zahlen: Je älter Verkehrsteilnehmer werden, desto größer wird das Unfallrisiko. Schon heute seien Senioren über 75 Jahre an drei von vier Unfällen schuld, in die sie verwickelt sind.
Die Quote liege damit höher als in der Hochrisikogruppe der jungen Fahrer, sagte der Unfallforscher des Gesamtverbandes der Versicherer (GDV), Siegfried Brockmann, beim Verkehrsgerichtstag. Auch der Deutsche Anwaltsverein forderte bei dem Treffen Pflichtuntersuchungen ab dem 75. Lebensjahr. In den kommenden Jahren steige der Anteil der Senioren überproportional und damit auch die Verkehrsdichte.
Quante-Brandt hält freiwillige Checks für sinnvoll
„Bei etwa sieben von zehn Unfällen, in die Senioren verwickelt sind, sind sie Verursacher“, sagt Jörg Walker von der Verkehrsdirektion der Polizei Bremen. „Hauptrisikogruppe sind zwar die jungen Fahrer, aber der Anteil der Älteren nimmt zu.“ Vor allem handele es sich um Blechschäden, die meisten Unfälle würden durch missachtete Vorfahrt, beim Abbiegen, Wenden oder Rückwärtsfahren passieren. „Wir haben gezielte Präventionsprogramme für ältere Fahrer, um sich mit ihrer Fahreignung zu befassen“, sagt Walker. Das Präventionszentrum biete Kurse an, in denen Risiken aufgezeigt würden.
Nach Unfällen werde den Verursachern ein persönliches Gespräch angeboten, oft auch mit dem Ergebnis, dass ältere Autofahrer zu der Erkenntnis kämen, ihren Führerschein abzugeben. Walker: „Das setzt alles auf Freiwilligkeit.“ Die Bremer Gesundheitssenatorin Eva Quante-Brandt (SPD) hält freiwillige Gesundheitschecks für sinnvoll. „Ob es beim Autofahren Einschränkungen aufgrund des Alters geben kann, das kann am besten im Gespräch zwischen Patient und Hausarzt herausgefunden werden“, regt sie an. Senioren sollten mit ihrem Arzt vor allem auch darüber sprechen, ob und wie sich mehrere gleichzeitig eingenommene Medikamente auf die Fahrtüchtigkeit auswirken können, betont sie.
SPD und Grüne in Bremen haben einen Antrag in der internen Abstimmung, der nach der Sommerpause in die Bürgerschaft kommen soll: Nach dem Vorbild Bremerhavens wollen sie Senioren, die ihren Führerschein nicht mehr benötigen und ihn abgeben, für sechs Monate Gratis-Tickets für Bus und Bahn anbieten. Die verkehrspolitischen Sprecher der Fraktionen betonen aber, das Angebot habe nichts mit der Debatte über die Fahreignung von Senioren zu tun.