Seit dem 9. Oktober ist die „Dete“, einst Möbelkaufhaus, zwischenzeitlich Kulturzentrum, besetzt. Verantwortlich dafür zeichnet eine Gruppe, die sich als Flinta-Personen bezeichnet (Frauen, Lesben, Inter, Non-binäre, Transgender und Agender). Seither scheiden sich am Umgang mit den Besetzerinnen in der Neustadt die Geister. Die Regierungskoalition setzt auf Dialog, die Opposition auf hartes Durchgreifen. Die Situation in der Lahnstraße steht damit sozusagen stellvertretend für den andauernden Streit um den rot-grün-roten Kurs gegenüber der linken Szene Bremens.
Die Situation vor Ort: Auf den ersten Blick – unverändert. Das größte Transparent am Gebäude weist auf die Intention der ursprünglichen Besetzerinnen. „Nehmt Ihr uns die Häuser, besetzten wir Eure“, darunter deutet ein Schild an, dass die Verhandlungen mit der Stadt vielleicht doch etwas komplizierter werden können. „Wir fordern: Strom, Wasser, Heizung. Stadt Bremen muss handeln. Jetzt!“ Entlang des Hauses zieht sich auf dem Bürgersteig weiterhin wie eine Art Vorzelt die zusammengeflickte Konstruktion aus Plastikplanen und Holzbrettern. Und trotzdem ist auf den zweiten Blick „Ordnung“ eingekehrt, auch wenn dieser Begriff im Gesamtzusammenhang natürlich gewagt bleibt. Fußgänger können ungehindert am Haus vorbeigehen, der Fahrradweg wurde zum Fußweg umfunktioniert. Baken und Hinweisschilder der Stadt weisen Radler darauf hin, dass sie an dieser Stelle die Lahnstraße nutzen sollen. Ein weiteres kleines Schild der Besetzerinnen, das täglich gewechselt wird, dürfte je nach Lager gleichermaßen für Verdruss wie Freude sorgen: „Seit 53 Tagen besetzt.“
Die Kritik am Senat: CDU und FDP werfen der Landesregierung vor, nicht entschieden gegen die Hausbesetzung vorzugehen. Seit Wochen dulde das Verkehrsressort die Blockade des Gehweges, konstatiert der innenpolitische Sprecher der CDU-Bürgerschaftsfraktion, Marco Lübke. „Es reicht. Die Lethargie von Innen- und Verkehrsressort muss ein Ende haben.“ Hier würden katastrophale Signale an die Bürgerinnen und Bürger Bremens gesendet. „Rot-rot-grün lässt sich von den Hausbesetzern auf der Nase rumtanzen“, sagt der FDP-Landesvorsitzende Thore Schäck. „SPD, Linke und Grüne scheinen dem Anliegen der Hausbesetzer eine höhere Priorität beizumessen als der Verkehrssicherheit.“ Auch für Schäck „ein fatales Signal in die Bevölkerung“.

Weil die Blockade des Bürgersteigs "noch" geduldet wird, muss derzeit der Fahrradweg vor der Dete als Fußweg herhalten. Radler sollen die Straße benutzen.
Der Ärger der Nachbarn: Auch im Umfeld der Dete regt sich Ärger. Nicht nur über die Hausbesetzer, sondern auch über die Behörden. Einer der Nachbarn, Roger Dierks, wirft den Behörden Passivität vor. Dabei gebe es zahlreiche Verstöße. Die Gefährdung der Verkehrssicherheit (Mörtelkübel und Betonpflastersteine auf dem Gehweg als Stolperfallen), Ruhestörung und Belästigung (laute Gespräche hinter den Plastikplanen bis weit in die Nacht, der Qualm aus einer Metalltonne, die als Lagerfeuer dient), der Hausmüll unter Abdeckplanen, die zunehmende Ausdehnung der ungesicherten Baukonstruktion vor dem Gebäude, die Nichtbeachtung der Corona-Abstands- und Schutzregelungen..., zählt Dierks auf. „Keine Institution scheint in der Lage, diese Situation lösen zu können, beziehungsweise lösen zu wollen.“ Für die angrenzenden Bewohner sei dies „erschreckend und nicht mehr tolerierbar“.
Der offizielle Verhandlungsstand: Es hat eine gemeinsame Begehung des Hauses gegeben, ein weiteres Treffen ist für diese Woche vereinbart, insgesamt stehe man im guten Dialog mit den Flinta-Frauen, sagt Linda Neddermann, Sprecherin der Senatorin für Umwelt, Bau und Verkehr. Bevor die Ressortsprecherin weiter ins Detail geht, sind ihr drei Punkte wichtig. Erstens: Nach Lesart der Behörde gilt die Dete nicht mehr als besetzt. Der Hauseigentümer hat seine Anzeige zurückgezogen, damit sei das Ganze legal. Zweitens: Dass der Bürgersteig derzeit durch den Pavillion-Vorbau gesperrt ist, werde noch geduldet, Betonung auf „noch“. Dies sei keine Dauerlösung, sondern dem guten Gesprächsklima geschuldet, das man nicht belasten wolle.
Das wüssten die Flinta-Personen aber auch. Drittens: Es sei kein Geld der Stadt geflossen. „Es gibt in dem Gebäude nach wie vor weder Strom noch Wasser.“ Dies könne sich ändern. Sollten die Flintas einen Verein gründen, etwa um an dieser Stelle einen Kulturtreffpunkt oder Veranstaltungsort einzurichten, sei eine städtische Bezuschussung durchaus denkbar – analog zu anderen Bremer Initiativen und Vereinen. Dafür müssten die Flintas aber ein Konzept vorlegen, gleichsam als Grundlage für die weiteren Gespräche.
Der bauliche Zustand: Nach einer Begehung mit Baufachleuten und Statikern bestehen laut Ressortsprecherin Neddermann gegen die Nutzung des Erdgeschosses keine bauordnungsrechtlichen Bedenken. Das gilt aber ausdrücklich nur für das Erdgeschoss und auch hier nur für einen kurzzeitigen Aufenthalt. An Übernachtungen oder gar Wohnen sei nicht zu denken, dies sei vonseiten der Flintas aber auch nicht geplant.
Die Position des Eigentümers: „Wir erwarten, dass uns der Vertragspartner jetzt einen entsprechenden Nutzungsvertrag vorlegt“, sagt Daniel Günther, Sprecher der Immobilienfirma Müller & Bremermann. Wie berichtet, hatte Marco Bremermann zunächst Anzeige wegen Hausfriedensbruchs erstattet, die dann allerdings wieder zurückgezogen und damit eine Räumung des seit Jahren leer stehenden Gebäudes durch die Polizei verhindert. „Wir halten die Besetzung nach wie vor für hoch illegal“, stellt Günther klar. Andererseits entstehe durch sie kein aktiver Schaden. Zudem sei schnell die Position der rot-grün-roten Landesregierung klar gewesen. Von daher habe man nichts gegen eine Zwischennutzung. Mietfrei, allerdings gegen Übernahme der Nebenkosten. Und begrenzt auf zwölf Monate, also etwa bis Ende 2021. Wer in dieser Zeit für die Kosten von Strom, Wasser oder auch Versicherung aufkommt, ist dem Unternehmen letztlich egal. Es hat keinen direkten Kontakt zu den Besetzerinnen, sondern hält sich lieber an die Stadt. „Wenn die das unterstützt, muss sie auch die Verantwortung dafür übernehmen.“
Die gefühlten Gewinner: Auch wenn der Ärger um die Hausbesetzung groß scheint – bislang gibt es jede Menge gefühlte Gewinner. Die Flinta-Frauen: Sie haben auf sich aufmerksam gemacht, können sich in ihren Kreisen feiern lassen und bekommen vielleicht mietfrei eine Art Treffpunkt oder Kulturzentrum. Rot-grün-rot: Grüne und Linke bedienen ihre Klientel, während die SPD das Ganze wohl eher nur duldet. Gemeinsam kann die Regierungskoalition für sich verbuchen, dass keine hässlichen Bilder einer Zwangsräumung oder gar einer Straßenschlacht in den sozialen Medien bundesweit für Furore sorgen und (bislang) alles friedlich verlaufen ist. Die Oppositionsparteien: Erhalten durch diese Aktion reichlich Argumente für das, was sie ja schon immer gesagt haben: Wenn es um Recht und Ordnung geht, ist Rot-grün-rot auf dem linken Auge blind. Müller & Bremermann: Das Gebäude steht ohnehin leer, wird voraussichtlich auf Kosten anderer ein Jahr lang geheizt. Und nicht zuletzt: Wenn der Vertrag über die Zwischennutzung ausläuft und die Flintas sich nicht dran halten, hat nicht der Besitzer, sondern die Stadt Bremen den Ärger am Hals.
Nicht lieb, sondern laut und aggressiv
Ursprünglich wurde die Dete nicht von den heutigen Gesprächspartnerinnen der Stadt besetzt, sondern von der „Rosaroten Zora“. Hinter diesem Namen verbirgt sich eine anarchistische Gruppe, die nach eigener Aussage das Patriarchat und den Staat abschaffen will mit dem Ziel, eine anarchistische Gesellschaft zu schaffen.
Die Besetzung in der Lahnstraße sei eine relativ spontane Aktion aus Solidarität zur Berliner Liebigstraße 34 gewesen, erklärte eine Besetzerin in einem Interview mit „Radio Dreyeckland“. Frei nach dem Motto: Nimmt uns der Staat die Räume weg, bauen wir sie an anderen Orten wieder auf. Man wolle „queerfeministische Räume“ schaffen, in denen sich Opfer von Gewalt gegen Frauen frei bewegen und austauschen können. Zugleich habe man ausdrücken wollen, dass Flinta-Frauen stark seien und Häuser besetzen können. Man habe andere Frauen zu autonomen anarchistischen Aktionen ermutigen wollen.
Nicht nett und lieb, sondern laut und aggressiv. Allerdings verstehe man sich nicht als Gruppe, die auf Angebote von Immobilieninvestoren, Parteien oder staatlichen Institutionen eingehen möchte. Deshalb habe sich die Rosarote Zora nach gut einer Woche aus der Dete zurückgezogen – ohne Groll. „Ist okay für uns, wir sind happy für die Menschen dort.“ Zugleich kündigte die Gruppe an, dass es in Bremen auf jeden Fall weitere Besetzungen und andere Aktionen geben werde.
Flinta-Personen
Flinta steht für Frauen, Lesben, Inter, Non-binäre, Transgender und Agender. Hinter diesen Bezeichnungen verbergen sich:
Lesben: gleichgeschlechtlich orientierte Frauen.
Intersexuelle: Personen, die Merkmale von weiblichem und männlichen Geschlecht aufweisen.
Nicht-binäre: Personen, deren Geschlecht weder ganz/immer weiblich noch ganz/immer männlich ist.
Transgender: Ein Trans-Mann ist mit weiblichen Geschlechtsmerkmalen geboren, bei den Behörden als weiblich registriert, identifiziert sich aber als Mann. Entsprechend umgekehrt verhält es sich mit Trans-Frauen.
Agender: Personen, die sich keinem Geschlecht zuordnen.
Häufig ist in der Debatte um Geschlechtszugehörigkeit auch von Cis-Männern die Rede. Damit sind Personen gemeint, die mit einem Penis geboren wurden und sich selbst als Mann bezeichnen (Entsprechend dazu die Cis-Frauen). Bezeichnet wird hiermit aber ausdrücklich nur die Geschlechtsidentität, nicht die sexuelle Orientierung.