Eine Reihe mit Menschen steht vor der Martinikirche an der Schlachte. Sie reichen Kartons von einem zum anderen, die dann in einem Bulli mit Anhänger verstaut werden. Der Bulli ist gut gefüllt und schnell heißt es: "Wir sind voll!" Gleichzeitig biegen ständig Autos in die Erste Schlachtpforte, die noch mehr Sachspenden für die Menschen in der Ukraine bringen. Das Team der Freiwilligen wird nahezu überrannt. Mit SUVs, Kleinwagen oder auch mit dem Fahrrad bringen Bremerinnen und Bremer Kartons. Mittendrin stehen Natalie Sthefunyk und Johannes Müller.
Sthefunyk ist gebürtige Ukrainerin, sie kommt aus Tschernivtzi im Westen der Ukraine und lebt seit Jahren in Bremen. Sie hat in Eigeninitiative die Spendenaktion ins Rollen gebracht. Die erste Sammelstelle war ihr Stand in der Markthalle Acht, der allerdings schnell zu klein wurde. Sie tat sich deshalb mit Andreas Hamburg, Pastor der St.-Markus-Gemeinde in Kattenturm, zusammen. "Er hat für uns die Räume bei der Martinikirche organisiert", erklärt sie. Müller ist Leiter des Lighthouse der Bremischen Evangelischen Kirche direkt an der Schlachte.
An diesem Donnerstagvormittag greift er Natalie Sthefunyk unter die Arme und fungiert als eine Art Ordner, um den Verkehrsfluss vor der Sammelstelle unter Kontrolle zu bringen. Viele muss er wieder wegschicken, weil die Kapazitäten ausgeschöpft sind. "Ich versuche, die Leute bei Laune zu halten", sagt Müller.
Drinnen in der Sammelstelle herrscht geordnetes Chaos: Kisten stapeln sich mannshoch an den Wänden, dazwischen ein schmaler Gang. Die eingehenden Kartons werden nach Kategorien sortiert oder gänzlich neu gepackt: Babynahrung zu Babynahrung, Verbandsmaterial kommt zu Verbandsmaterial. Die meisten Kisten sind in Deutsch und Ukrainisch beschriftet. "Die Leute liefern alles", sagt Müller. Katzenfutter sei dabei, aber auch Wasser, Milch, Windeln, Arbeitshandschuhe und -jacken.
Mit so einem starken Andrang habe sie nicht gerechnet, sagt Natalie Sthefunyk. "Wir waren nicht darauf vorbereitet, dass so viele Menschen kommen. Aber es ist toll, dass so viele helfen wollen." Johannes Müller ergänzt: "Es gibt zu wenig Annahmestellen." Innerhalb von wenigen Stunden am Mittwoch und Donnerstag habe sich die Sammelstelle gefüllt, jetzt seien die Kapazitäten voll.
Da der Bulli vor der Kirche bis unters Dach vollgepackt ist und noch unzählige Kisten mit Hilfsgütern in der Sammelstelle warten, versucht Natalie Sthefunyk, einen größeren Lkw zu organisieren. Nach einigen Telefonaten glückt es: Am Freitag macht sich ein weiterer Transporter auf in Richtung Ukraine. Insgesamt 4 Bullis habe sie bereits auf den Weg gebracht, berichtet Sthefunyk. "Innerhalb der vergangenen sechs Tage habe ich viel gelernt", sagt die Ukrainerin. Beispielsweise wie man Menschen koordiniert oder Lkw organisiert. "Für mich ist die Arbeit hier eine Art Selbstschutz, um nicht in Trauer zu verfallen."
Sie steht in Kontakt mit ihrer Familie in der Ukraine, die in Luftschutzbunkern Schutz gesucht hat, wie sie erzählt. Außerdem hat sie Kontakt zu humanitären Stiftungen in der Ukraine, die helfen, damit die Spenden auch bei den Menschen vor Ort ankommen. Sthefunyk ist begeistert vor der Hilfsbereitschaft der Bremer und vom Engagement der Freiwilligen in der Sammelstelle. Sie bekennt aber auch, dass die Hilfsaktion viel Zeit und Energie koste. Deshalb sagt sie: "Wir müssen das erst mal stoppen." Das Wochenende wollen sie und ihre Unterstützer nutzen, um Luft zu holen.