Herr Schäfer, wie bewerten Sie die Verkehrspolitik der rot-grünen Regierungskoalition in den vergangenen vier Jahren?
Klaus Schäfer: Bremen ist noch immer im Klammergriff der 1960er-Jahre. Bauwerke wie der Fly over am Wall, die Hochstraße oder am Tiefer sind erhebliche Barrieren in der Innenstadt. Sie stammen aus Zeiten, als man noch über die Mozarttrasse durchs Ostertor diskutierte. Diese Blockaden kontaminieren die umliegenden Stadtteile, und da hat sich auch in den vergangenen Jahren wenig getan. Als der ehemalige Verkehrssenator Reinhard Loske vor Jahren davon sprach, die Hochstraße abzureißen und den Breitenweg umzubauen, brach der übliche Sturm der Entrüstung los. Das ist auch heute noch so.
Wie meinen Sie das?In der Verkehrspolitik liegen Grüne und SPD im Clinch. Die Grünen haben in Sachen Verkehr zwar einen sehr großen Zuspruch, aber sie schaffen es nicht, das Ruder rum zu reißen. Die Stadt leidet bei ihrer Entwicklung unter den randstädtischen Einfamilienhäusern – diese Leute wollen mit dem eigenen Auto bis zur Kasse von Karstadt vorfahren. Es gibt einen Konflikt zwischen den Menschen in der Vorstadt und der Innenstadt hinsichtlich ihrer Lebensqualität.
Das Auto ist immer noch das wichtigste Verkehrsmittel. Radfahrer hingehen müssen sich entweder auf zu schmalen Radwegen mit Fußgängern streiten oder sich auf der Straße vor der Straßenbahn, Kopfsteinpflaster oder Autos in Acht nehmen. Es stellt sich die Frage, wie viel mehr Menschen würden Fahrrad fahren, wenn sie sich dabei nicht fürchten müssten.

Professor Klaus Schäfer
In Sachen Radverkehr ist Bremen noch weit von Städten wie Kopenhagen entfernt. Dort empfiehlt sich der Stadtraum geradezu als eine Einladung zum Radfahren. In Bremen ist es zwar schon etwas besser als in Berlin, aber zum Beispiel die Situation an der Bürgermeister-Smidt-Straße oder der Weg vom Dobben zum Bahnhof ist unsäglich. Natürlich gibt es neue Fahrradstraßen wie die Parkallee. Das sind punktuelle Eingriffe. Die Diskussion zum Radwegenetz entwickelt eine Sprache, ähnlich der – scheinbar – funktionsgerechten Autostadt: Fahrrad-Highway oder Rad-Premiumrouten. Mir geht es um das Miteinander der Verkehre in der Stadt, wo der schwächste Teilnehmer maßgeblich ist und das flächendeckend.
Wo liegen da die Fehler?Die Stadtentwicklung in Bremen ist, was den Verkehr angeht, sehr vorsichtig und zurückhaltend. Die Politik ist leider von Angst geprägt, durch die Widerstände der Nimby-Fraktion (Not In My Back Yard, nicht in meinem Hinterhof) und Bürgerinitiativen. Das sieht man an Beispielen wie der Galopprennbahn, wo es jetzt einen Volksentscheid gibt. Oder beim Ringschluss der A 281 in Kattenturm, wo Anwohner klagen. Der Verkehr lässt sich nicht von ökologischen und sozialen Fragen trennen. Bremen hat sich Innenentwicklung vor Außenentwicklung zur Vorgabe gemacht. Was richtig und sehr wichtig ist! Die dichte Stadt ist auch die solidarische Stadt und die Stadt der kurzen Wege. Die Politik muss – angstfrei – die Bürger über diesen Zusammenhang aufklären. Hier sehe ich die Defizite. „Proaktiv“ nennt man eine solche Vorgehensweise.
Klaus Schäfer (62) ist seit 2005 Professor für Städtebau und Entwerfen an der Hochschule Bremen. Er ist freier Architekt und Stadtplaner in Berlin. Er beschäftigt sich mit der Frage von Verkehr und Gesellschaft.
Zur Sache
Im Vorfeld der Bürgerschaftswahl lädt der WESER-KURIER zum Talk. An diesem Sonntag steht das Vegesacker Gustav-Heinemann-Bürgerhaus, Kirchheide 49, im Zeichen von Verkehr und Umwelt. Auf dem Podium sitzen Verkehrssenator Joachim Lohse (Grüne), Heiko Strohmann (CDU), Heike Sprehe (SPD), Klaus-Rainer Rupp (Linke) und Magnus Buhlert (FDP). Klaus Schäfer von der Hochschule Bremen ist als externer Experte eingeladen, die Moderation übernehmen die Redakteure Michael Brandt und Pascal Faltermann. Die Themen Bildung und Wissenschaft sind im Fokus des WK-Talks am 5. Mai im Hotel-Restaurant Zum Werdersee in Habenhausen. Los geht es jeweils um 11 Uhr, der Einlass beginnt um 10 Uhr. Rechtzeitiges Erscheinen ist ratsam, weil freie Platzwahl gilt. Bei Überfüllung kann der Einlass nicht garantiert werden. Der Eintritt zu allen Veranstaltungen ist frei.