Wenn Bewohner ihre Miete nicht zahlen können, kann ihnen die Zwangsräumung drohen. Und Zwangsräumungen sind in Bremen keine Seltenheit: Insgesamt 455 Wohnungen wurden mit Gerichtsvollzieher geräumt. Diese Zahl nannte zuletzt das Bundesjustizministerium auf eine Frage der Linken im Bundestag. Aus den Zahlen des Ministeriums geht auch hervor: In keinem anderen Bundesland gab es im Verhältnis zur Größe so viele Zwangsräumungen wie in Bremen. Demnach kamen 2021 im kleinsten Bundesland 67 Zwangsräumungen auf 100.000 Einwohner. In Bayern, Niedersachsen und Rheinland-Pfalz lag der Wert zwischen 20 und 30. Und auch in den Stadtstaaten Berlin (45) und Hamburg (49) gab es im Verhältnis weniger Räumungen als in Bremen.
Im Sozialressort sieht man die Hauptursache für die hohe Quote der Räumungen in der sozialen Lage Bremens, sagt Behördensprecher Bernd Schneider. Es gebe eine hohe Sozialhilfequote und viele geringfügig Beschäftigte, sodass es bei der Mietzahlung leichter zu Stockungen kommen könne. In der Zahl des Bundesministeriums seien zudem nicht nur geräumte Wohnungen, sondern auch geräumte Geschäfte enthalten, so der Sprecher. Im Sozialressort zählt man 330 drohende Zwangsräumungen im Jahr 2021, in diesem Jahr habe es bisher 289 Fälle gegeben.
"In Bremen haben viele Leute wenig Geld und sind fürs Bestreiten ihrer Miete abhängig von den Zahlungen Dritter, zum Beispiel vom Jobcenter", sagt auch Gert Brauer, Rechtsanwalt und Geschäftsführer des Bremer Mieterschutzbundes. "Viele, denen die Räumung droht, haben prekäre Arbeitsverhältnisse, oft im Niedriglohnsektor und befristet, viele sind auch bei Zeitarbeitsfirmen beschäftigt." Oft stelle das Jobcenter "aus nicht nachvollziehbaren Gründen plötzlich die Zahlung ein", so Brauer. "Es kommt auch vor, dass ein Arbeitgeber zwei Monate lang kein Geld zahlt." Und viele Bremer hätten dann schlicht keine Rücklagen, um zwei oder drei Monate Miete zu überbrücken. "Wenn jemand seinen Job verliert, und das Jobcenter nicht sofort im Anschluss zahlt, wird es für viele schwierig." Der Mieterschutzbund berät Mieterinnen und Mieter, die von einer Räumung bedroht sind. Und das komme häufig vor, sagt Brauer: "Es kommt jeden Tag jemand zu uns, der wegen Mietrückständen eine fristlose Kündigung bekommen hat."
Rechtlich gesehen gilt: Wenn Mieter zwei Monate in Folge ihre Miete nicht gezahlt haben, dürfen Vermieter eine fristlose Kündigung aussprechen und danach eine Räumungsklage einreichen. Beschließt das Gericht die Räumung, kann der Vermieter einen Gerichtsvollzieher beauftragen. Doch Mieter haben noch eine Chance, sagt Brauer: Zahlen sie ihre Schulden innerhalb von zwei Monaten der Räumungsklage, werde die fristlose Kündigung unwirksam. In der Praxis würden Vermieter aber teils zusätzlich eine ordentliche Kündigung aussprechen. Und diese gelte auch dann, wenn die Mietschulden gezahlt wurden. "Deshalb verlieren dann viele trotzdem ihre Wohnung", so Brauer. Ein Großteil der Räumungen wäre vermeidbar, wenn mit der nachträglichen Zahlung auch die ordentliche Kündigung aus der Welt geräumt würde, sagt der Jurist.
"Wir haben nicht den Eindruck, dass besonders viele unserer Mitglieder räumen lassen", sagt Ingmar Vergau, Geschäftsführer des Verbandes Haus und Grund, der im Land Bremen rund 9000 Wohnungseigentümer vertritt. "Die privaten Vermieter sind in der Regel sehr verhandlungsbereit, wenn eine Lösung angeboten wird." Vergau betont: „Bis es zur fristlosen Kündigung kommt, muss einiges passieren, und bis es zur Zwangsräumung kommt, ist schon viel Wasser die Weser hinuntergeflossen." Im Schnitt lägen 13 Monate zwischen der fristlosen Kündigung und der Räumung. Aber für Vermieter müsse es letztlich einen Hebel geben, sagt Vergau: "Auch private Vermieter müssen Zinsen an die Bank und laufende Kosten zahlen. Wenn Mieter nicht zahlen, kann das auch den Vermieter in eine prekäre Situation bringen."
Grund für eine Räumung könnten zudem auch Straftaten sein: "Es kommt durchaus vor, dass Mieter andere Hausbewohner verletzen, schwere Sachbeschädigung verüben oder aus der Wohnung heraus Drogenhandel betreiben." Vergau betont aber: "95 Prozent der Mietverhältnisse laufen gut." Angesichts der Gesamtzahl der Mietverhältnisse seien Räumungen auch in Bremen selten.
Wenn eine Zwangsräumung droht, werde generell im Vorfeld die bei der Sozialbehörde angesiedelte Zentrale Fachstelle Wohnen informiert, sagt Behördensprecher Bernd Schneider. Mitarbeiter der Fachstelle setzten sich dann im Vorfeld mit allen Beteiligten an einen Tisch. "Dadurch wird ein Großteil der beschlossenen Räumungen abgewendet.“ Das Amt für soziale Dienste und das Jobcenter könnten unter gewissen Voraussetzungen Kredite gewähren. Und wenn doch geräumt werde, stünden Mieter in der Regel nicht auf der Straße, so Schneider: Wer Anspruch auf Sozialleistungen habe, könne auf Antrag von der Stadt in sogenannten Schlichthotels oder einer Notunterkunft untergebracht werden.