Seit rund 50 Jahren geht es bergab mit den Schmetterlingen – seither hat sich ihre Zahl um annähernd 80 Prozent reduziert. Davon gehen Experten wie die Mitglieder des Arbeitskreises Schmetterlinge beim Naturwissenschaftlichen Verein zu Bremen aus, den Holger Bischoff leitet. Seit 2012 erfasst er die Tagfalter in Bremen, seit sechs Jahren macht der Arbeitskreis mit. "Aber die Zahlenreihen sind noch zu kurz, um sie zu veröffentlichen", sagt Bischoff. Deshalb werden neuerdings auch die 17.000 Mitglieder des Landesverbandes der Gartenfreunde Bremen um Mithilfe gebeten: Sie sollen auf ihren Parzellen die Augen offen halten und Tagfalter melden.
Bislang ist 2023 kein gutes Schmetterlingsjahr. Das nasskalte Frühjahr und die anschließende langanhaltende Trockenheit habe den Insekten zugesetzt, sagt Holger Bischoff. Sollte sich die Population nicht noch erholen, bedeute dies, dass auch die Fressfeinde darben müssten. Weshalb er hofft, dass sich dann die nächste Generation ab Ende Juli, Anfang August gut entwickeln könne. Andernfalls würden die Kleingärtnerinnen und Kleingärtner gebeten, auch im kommenden Jahr Zahlen zu liefern. Wo, wenn nicht auf Parzelle, gebe es "so große Vielfalt auf so kleinem Raum" – die Bedeutung der Kleingärten als Lebensraum für Insekten sei lange unterschätzt worden.
Die Beobachtung konzentriert sich auf ausgewählte Arten: den Kleinen Fuchs, das Landkärtchen, den Schwalbenschwanz, den Großen Schillerfalter, den Kaisermantel und den Nierenfleck-Zipfelfalter, sechs der laut Holger Bischoff insgesamt 35 in Bremen vorkommenden Tagfalterarten. In Niedersachsen gibt es demnach 117, bundesweit 190 Arten. "Das Süd-Nord-Gefälle ist klimabedingt", sagt Bischoff und meint damit nicht die Krise. "Die meisten Tagfalter sind eben Sonnenanbeter, und halbtrockene Wiesen finden sie eher weiter südlich."
Die größten Probleme der Schmetterlinge seien "ohne Zweifel der Lebensraumverlust und die Anwendung von Pestiziden in der Landwirtschaft", ist der Hobbyforscher überzeugt. Die Folgen sind nicht nur für die Falter gravierend. "Insektenfresser, wie zum Beispiel Vögel, Amphibien, Reptilien und Fledermäuse, gehen im Bestand zurück", zählt er auf. Mangels "natürlicher Schädlingsbekämpfer" müssten "noch mehr Pestizide verwendet" werden. Rund 80 Prozent aller heimischen Blütenpflanzen sind laut Deutschem Imkerbund "auf die Bestäubung durch verschiedenste Insekten angewiesen", dazu zählen auch Schmetterlinge. Fehlten die Bestäuber, führe das, so Bischoff, zu "erheblichen Ernteausfällen".
Manche Schmetterlinge, die es früher in den Städten gar nicht gegeben habe, hätten mittlerweile die Landflucht angetreten und fänden in Kleingärten, Gärten, Parks und auf Friedhöfen günstige Bedingungen. Der Kleine Perlmutterfalter ist für Holger Bischoff in typisches Beispiel dafür. "Zur Eiablage war er früher vor allem auf das Ackerstiefmütterchen fixiert." In der Stadt sei er noch immer ein seltener Gast, begnüge sich aber mit Stiefmütterchen und Hornveilchen.
Als Klimagewinner erscheint der mit 65 bis 80 Millimeter Spannweite größte der Tagfalter in Deutschland, der Schwalbenschwanz, der früher in den Mittelgebirgen und südlich von ihnen vorkam. In Bremen ist er noch immer sehr selten. "Die Raupen ernähren sich in Norddeutschland vor allem von der wilden Möhre, Dill, Fenchel und anderen Doldengewächsen", weiß Bischoff, der auch einen Klimaverlierer im Blick hat: Das ist ganz klar der Kleine Fuchs, dem die zunehmende Wärme Schwierigkeiten zu bereiten scheine. "Mitte der 90er-Jahre war er einer der häufigsten Tagfalter in Bremen", sagt Holger Bischoff. "Aber heute ist er selten." Als bereits "verschollen" führt der Bremer Arbeitskreis Schmetterlinge den Mauerfuchs und den Silberfleck-Bläuling an.