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Interview mit Parteienforscher Lothar Probst "Die Grünen tun sich schwer"

Auch nach seiner Emeritierung bleiben die Einschätzungen des Bremer Politologen Lothar Probst gefragt. Hier blickt er zurück auf ein turbulentes Jahr - und voraus auf die Wahlen in Niedersachsen und Bremen.
04.01.2022, 14:23 Uhr
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Von Joerg Helge Wagner

Herr Probst, seit mehr als fünf Jahren sind Sie jetzt emeritiert, aber von Ruhestand kann man nicht wirklich sprechen. Was beschäftigt Sie derzeit am meisten?

Lothar Probst: Natürlich die aktuelle Lage rund um die Corona-Pandemie. Politisch war und ist es das Top-Thema. Persönlich habe ich mich zudem an einem Großprojekt abgearbeitet: "Politik und Regieren in Bremen" heißt das Buch.

Ein Gemeinschaftswerk.

Ja, mit den Kollegen Andreas Klee und Matthias Güldner als gemeinsame Herausgeber. Beim Wiesbadener Verlag Springer Fachmedien gibt es die Reihe "Politik und Regieren" zu vielen Bundesländern, aber bislang noch nicht zu Bremen. Seit zweieinhalb Jahren haben wir nun kluge Autorinnen und Autoren aus der Uni Bremen mobilisiert und auch selbst zahlreiche Beiträge verfasst. Jetzt warten wir auf die Veröffentlichung, die eigentlich schon für Oktober angekündigt war. Aber auch Verlage leiden unter Papiermangel, so wird es nun wohl frühestens Februar.

Was darf das interessierte Publikum erwarten?

527 Seiten unter anderem zu den Regierungsstilen von Senatspräsidenten, zur Landesverfassung, zum Senat, zur Rolle der Bürgerschaft und der Beiräte, zu den Parteien oder auch zur Medienpolitik. Es ist zwar ein wissenschaftliches Handbuch zu allen möglichen Aspekten der Bremer Politik, aber auch unterhaltsam: Man findet die eine oder andere Anekdote zur Bremer Politik.

Einer Ihrer Forschungsschwerpunkte ist Rechtspopulismus. Hat die Pandemie den Rechtspopulisten genutzt?

Wenn man sich das Ergebnis der Bundestagswahl ansieht, hat die AfD zumindest in Westdeutschland nicht in dem Maße davon profitieren können, wie sie das erhofft hatte. Zum einen hat die FDP auf moderatere Art und Weise Kritik am Pandemie-Management der Großen Koalition aufgefangen und damit einen Teil dieses Publikums auf ihre Seite gezogen. Zum anderen gab es die Partei Die Basis, die quasi aus der Querdenker-Bewegung hervorgegangen ist und aus dem Stand 1,4 Prozent geholt hat. Auch die fehlten am Ende der AfD.

Hätte man die Bundestagswahl mitten in einem Pandemiejahr nicht lieber verschieben sollen?

Nein, zumal ja auch im Sommer die Infektionszahlen wieder überraschend gut, also niedrig waren. Allerdings gab es auch kaum ein Forum, in dem die Pandemiebekämpfung im Mittelpunkt stand. Es ging um Personen: Wer kann Kanzler am besten?

Bei wem muss sich Bundeskanzler Olaf Scholz mehr bedanken: bei seinen Genossinnen und Genossen oder bei Markus Söder?

Sicherlich bei beiden. Scholz hat vom Zwist innerhalb der Union zwischen Söder und Armin Laschet profitiert. Das hat der Union extrem geschadet. Und die SPD ist dieses Mal nicht nervös geworden und zerstritten: Der linke Flügel um Saskia Eskens und Norbert Walter-Borjans hatte ja Scholz nominiert, weil man wusste, dass man nur mit einem Mann der Mitte überhaupt eine Chance hatte.

Kann Bremen von den neuen Machtverhältnissen im Bund profitieren? Falls ja: wie?

Die Ampelkoalition auf Bundesebene tickt ja schon ein wenig anders als das hiesige Linksbündnis. Für Bremen kann aber von Vorteil sein, dass es jetzt auch in der neuen Bundesregierung einen starken Impuls gibt, mehr in den Klimaschutz zu investieren. Von entsprechenden Programmen könnte Bremen profitieren, etwa bei der Windenergie oder bei der Produktion von grünem Wasserstoff. Insgesamt betrifft es ja die Modernisierung der Infrastruktur.

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In beiden Koalitionen regieren die Grünen mit. Sind Sie eigentlich noch Mitglied?

Seit vielen Jahren bin ich nur noch ruhendes Mitglied, zahle also meine Beiträge und halte mich aus dem operativen Geschäft raus.

Aber Sie haben die Partei ja auch über Jahre wissenschaftlich begleitet. Kann man sie jetzt als Volkspartei bezeichnen, wo sie zum zweiten Mal im Bund mitregiert?

Die Grünen wehren sich ja gegen dieses Etikett...

Deshalb frage ich ja den Wissenschaftler.

Wenn man nach Baden-Württemberg schaut, sind die Grünen dort so etwas wie eine Volkspartei. Winfried Kretschmann ist auch in der Wirtschaft oder in den kleinstädtischen Milieus anerkannt. Robert Habeck wiederum wirbt für den Begriff der Bündnispartei. Parteien mit weniger als 30 Prozent Wähleranteil sind eigentlich keine Volksparteien mehr. Früher kam es zu Regierungsbildungen entweder aus den Unionsparteien oder der SPD jeweils mit einer kleineren Partei, heute haben wir immer mehr Dreier-Bündnisse. Ich würde die Grünen als Mittelpartei bezeichnen. Bündnispartei heißt in der Diktion von Habeck, dass sie nicht mehr nur ein linkes urbanes Milieu repräsentieren, sondern auch in die Mitte ausgreifen: mit Bündnissen rund um Themen, quer zu den ideologischen Lagern.

In Bremen sind die Grünen seit 14 Jahren an der Macht. Was hat das mit der Partei, mit dem Landesverband gemacht?

Bremen ist bisher das einzige Bundesland, in dem es dreimal hintereinander zu einer Regierungsbeteiligung der Grünen gekommen ist. Natürlich sieht man auch an den Wahlergebnissen seit 2015, dass für die Grünen die Bäume nicht mehr in den Himmel wachsen. Damals, noch unter Karoline Linnert, hatten sie mehr als sieben Prozentpunkte verloren. 2019 wurde sie, die Architektin der Regierungsbündnisse mit der SPD, deshalb zum Rücktritt gedrängt. Auch 2019 war das Ergebnis im Vergleich mit anderen Großstädten ja nicht überragend. Man merkt jetzt auch, dass die Grünen sich schwer tun in der neuen Konstellation mit der Linken als dritter Bündnispartnerin.

Inwiefern?

Sie haben Schwierigkeiten, sich in dieser Konstellation zu profilieren. Der SPD gelingt das über Bürgermeister Andreas Bovenschulte. Er hat zwar keine Richtlinienkompetenz, aber er weiß - und sagt - wo es lang geht, zumal die Ministerpräsidenten in der Pandemiebekämpfung im Zentrum stehen. Die SPD insgesamt hat sich stabilisiert, im Unterschied zur Union. Die hatte zwar ein sehr gutes Wahlergebnis, ist aber seitdem in der Versenkung verschwunden. Vom Landesvorsitzenden sieht und hört man nichts, Fraktionschef Thomas Röwekamp ist nach Berlin abgewandert.

Im aktuellen Dreier-Linksbündnis hat man den Eindruck, dass insbesondere die Umwelt- und Mobilitätssenatorin Maike Schaefer öfter isoliert ist.

Wir sehen, dass die Konflikte massiv zugenommen haben, insbesondere bei der Innenstadtentwicklung. Sie hat eine schwierige Position, die Linken und die SPD verstehen sich in der Regel besser. Wirtschaftssenatorin Kristina Vogt macht eine sehr pragmatische Politik, hat überhaupt keine Berührungsängste zur Handelskammer. Claudia Bernhard als Gesundheitssenatorin profiliert sich in der Pandemiebekämpfung. Maike Schaefer hingegen kommt nicht so richtig voran mit ihren ehrgeizigen Projekten wie Fahrradbrücken über die Weser oder Premiumrouten für Fahrräder. Bei der Fernwärmeleitung mitten durch Schwachhausen, einem zentrale Baustein des von ihr propagierten Kohleausstiegs, ist das Planfeststellungsbeschluss mit erheblicher Verspätung erfolgt.

Sie erntet viel Gegenwind...

...auch aus der Gesellschaft. So haben sich nun 13 Bürgerinitiativen zusammengetan, die unzufrieden damit sind, wie bestimmte Projekte im Bau- und Stadtentwicklungsbereich durchgeführt werden. Alle beklagen, wie sie behandelt werden, dass man ihnen unter anderem Informationen vorenthält. Da mauert und blockiert die Behörde.

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In Umwelt- und Klimafragen – Stichwort Enquetekommission – wiederum scheinen sich neue Koalitionen anzubahnen: Schwarz-Grün auf der einen Seite und Rot-Gelb auf der anderen. Was passiert da gerade?

Das ist eine interessante Beobachtung. Wenn zwei Partner so lange miteinander zu tun haben wie SPD und Grüne, dann schaukeln sich bestimmte Widersprüche auch auf. Und bei den Grünen gab es immer Stimmen, die sagten, gerade bei der Verkehrspolitik habe man mit der SPD eher schlechte Erfahrungen gemacht. Die CDU wiederum hat die Klimapolitik ins Zentrum ihrer Agenda gerückt, sie ist hier auf die Grünen zugegangen. Für sie gibt es ja realistischerweise außer einer neuen Großen Koalition nur mit den Grünen eine Chance, wieder an die Macht zu kommen. Allerdings wäre der Grünen-Basis eine Koalition mit der CDU nach wie vor nicht vermittelbar.

Nächstes Jahr wird in Niedersachsen gewählt, 2023 dann auch wieder in Bremen. Sind Machtwechsel möglich? Oder sitzen Stephan Weil und Andreas Bovenschulte zu fest in ihren Sätteln?

In Niedersachsen stehen die Chancen sehr, sehr gut für Herrn Weil: Alles deutet darauf hin, dass er die nächste Wahl gewinnt. Ob die CDU sein Koalitionspartner bleibt, ist eine ganz andere Frage. Entweder reicht es für Rot-Grün...

Oder?

Die Grünen und die FDP haben sich auch in Niedersachsen in der gemeinsamen Opposition durchaus in manchen Fragen angenähert. Was auf Bundesebene möglich ist, ist auch hier denkbar.

Und in Bremen?

Die SPD wird mit Andreas Bovenschulte wieder stärkste Partei werden - und es gibt hier einfach ein sehr starkes rot-grün-linkes Lager. Eine neue Mehrheit für diese Koalition ist - trotz der Konflikte um Frau Schaefer - ziemlich wahrscheinlich. Dass statt der Linken mal die FDP in die Regierung kommt, halte ich für sehr unwahrscheinlich. Die Linke ist hier relativ stark und hat zwei pragmatisch und kompetent handelnde Senatorinnen. Das wird Bovenschulte nicht gegen eine FDP-Beteiligung tauschen wollen, zumal auch die Bremer SPD stark auf linke Bündnisse fixiert ist.

Das Gespräch führte Joerg Helge Wagner

Zur Person

Lothar Probst (69)

leitete bis Ende März 2016 den Arbeits­bereich Wahl-, Parteien- und Partizipationsforschung am Institut für Politikwissenschaft der Universität Bremen. Seit 2002 war er zudem Geschäftsführer des Instituts für Interkulturelle und Internationale Studien (InIIS).

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