Der reale Bedarf an Kitaplätzen ist höher, als es die offiziellen Statistiken derzeit widerspiegeln. Bremen muss deshalb aus Sicht von Bildungssenatorin Sascha Aulepp (SPD) einen weiteren Kraftakt beim Ausbau der Betreuungseinrichtungen unternehmen. Neben den 2000 Plätzen, die nach aktueller Planung bis zum Beginn des Kita-Jahres 2025/26 neu geschaffen werden sollen, seien weitere 3000 notwendig. Allein die baulichen Investitionen einer solchen Zusatzanstrengung würden nach überschlägiger Berechnung mit rund 50 Millionen Euro zu Buche schlagen. "Das ist ein ambitioniertes Ziel", räumt die Ressortchefin ein.
Woraus ergibt sich der Mehrbedarf?
Bremen verfolgt das Ziel einer hundertprozentigen Versorgung der Kinder im Vorschulalter. Doch was heißt hundertprozentig? In der Planung wurde diese Zahl bisher stets auf die Drei- bis Sechsjährigen bezogen, wobei sechsjährig bedeutet: bis zur Vollendung des sechsten Lebensjahres. Fakt ist aber, dass die Kinder seit einiger Zeit immer später eingeschult werden. Neigten Eltern vor zehn Jahren noch dazu, ihren Nachwuchs im Zweifelsfall mit fünfdreiviertel Jahren einzuschulen, ist es heute häufig so, dass die Erziehungsberechtigten die Kinder eher ein Jahr länger in der Kita-Betreuung lassen. Das reale durchschnittliche Eintrittsalter in die Primarstufe ist durch diese Entwicklung auf sechs Jahre und acht Monate angewachsen. Die acht Monate über dem theoretischen Eintrittsalter von exakt sechs Jahren finden sich aber in der Berechnung des Gesamtbedarfs an Kitaplätzen bisher nirgendwo wieder. Würde man sie berücksichtigen, entstünde ein Mehrbedarf von 3000 Tagespflegeplätzen.
Wie weit ist Bremen beim Ausbau?
Das kleinste Bundesland hat in den vergangenen Jahren erhebliche Anstrengungen beim Ausbau der Kita-Betreuung unternommen. Seit 2015 wurden circa 5000 neue Plätze geschaffen. Noch stärker stieg allerdings die Nachfrage – es gibt wieder mehr kleine Kinder, und mehr Eltern folgen dem Appell der Politik, sie vorschulisch betreuen zu lassen.
Wo liegen die Probleme?
Das größte Hemmnis für den weiteren Ausbau der Bremer Kita-Landschaft ist nicht finanzieller Art. Noch gravierender ist der Fachkräftemangel. Es gibt derzeit schlicht nicht genügend Erzieherinnen, obwohl die Ausbildungskapazitäten in den vergangenen Jahren ausgeweitet wurden. Der Mangel hat bereits zu der kuriosen Situation geführt, dass Kita-Träger neue Kindergärten errichteten, sie aber nicht in Betrieb nehmen konnten, weil nicht genügend qualifiziertes Personal aufzutreiben war. Die Awo musste diese Erfahrung an der Alten Hafenstraße in Vegesack machen. Auch in der Gartenstadt Werdersee gibt es eine nagelneue Kita, die aus den gleichen Gründen noch nicht eröffnet werden konnte. Als begrenzender Faktor für den weiteren Ausbau der Kita-Versorgung gilt außerdem die Verfügbarkeit geeigneter Grundstücke.
Was kann provisorisch getan werden?
Die Bildungssenatorin will nicht warten, bis die Lücke zwischen Nachfrage und Bedarf an vollwertigen Tagespflegeplätzen in einigen Jahren möglicherweise geschlossen werden kann. Sie setzt auf ein Bündel von Maßnahmen, um den Eltern noch unversorgter Kinder zumindest provisorische Angebote machen zu können. Das ist zum Beispiel die Teilnahme an einem Spielkreis, in dem erste Gruppenerfahrungen möglich sind, oder auch eine Betreuung durch Tagesmütter, die in der Regel freiberuflich arbeiten. Hierfür mehr Interessentinnen zu gewinnen und ihnen auch eine Tätigkeit im Angestelltenverhältnis zu ermöglichen, ist eines der Nahziele von Sascha Aulepp. "Wir sprechen zudem mit Wohnungsunternehmen wie der Gewoba, damit für solche Formen von Tagesbetreuung geeignete Räumlichkeiten bereitstehen", erläutert die Bildungssenatorin. Da Bremen noch einige Zeit mit dem Mangel an vollständig ausgebildeten Erzieherinnen leben muss, stellt sich für Aulepp die Frage: "Gibt es Personen, die diese Kräfte entlasten können?" Die Senatorin denkt dabei unter anderem an sozialpädagogische Assistenten mit zweijähriger Ausbildung, an Absolventen eines Freiwilligen Sozialen Jahres (FSJ) oder Personen, die sich im Bundesfreiwilligendienst engagieren.
Gewerkschaften und Mitarbeitervertretungen der Kita-Träger sehen solche Entwicklungen skeptisch. Sie befürchten eine schleichende Dequalifizierung des Erzieherberufs durch die Einbeziehung von immer mehr Hilfskräften. Sascha Aulepp hat sich dieser Kritik schon stellen müssen. Aus ihrer Sicht muss es darum gehen, interessierte Seiteneinsteiger weiterzuqualifizieren. Aus Übergangslösungen dürften keine Dauerzustände werden, gesteht sie den Arbeitnehmervertretern zu. Doch Tausende Kinder unbetreut zu lassen, sei keine Alternative.