Der erneute Kostensprung beim Bauprojekt Klinikum Bremen-Mitte kommt für die meisten Insider nicht unerwartet. Das Projekt ist seit Jahren mit Pannen behaftet.
Es gibt zwei Sorten von schlechten Nachrichten. Die einen erwischen den Empfänger kalt und bewirken oft hektische Aktivität. Und es gibt solche, die im Prinzip lange erwartet wurden und deshalb nur noch ein Achselzucken auslösen, auch wenn die Botschaft eigentlich schockierend ist. Die aktuelle Kostenexplosion beim Neubau des Klinikums Bremen-Mitte gehört eindeutig in die zweite Kategorie. Zwischen 47 und 57 Millionen Euro mehr wird das Projekt in der Östlichen Vorstadt kosten – Geld, für das mehrere der dringend benötigten Schulen errichtet werden könnten.
Die neuen Zahlen hatte der WESER-KURIER am Donnerstagabend gemeldet. Dass tags darauf ein Sturm der Entrüstung durch die bremische Politik gefegt wäre, lässt sich nicht behaupten. Einzig der eher marginale Verband „Die Familienunternehmer“ meldete sich mit einer Pressemitteilung zu Wort und kritisierte, dass der städtischen Krankenhausgesellschaft Gesundheit Nord (Geno) die Kosten ihres Vorzeigeprojekts davonlaufen. „Es zeigt sich mal wieder sehr deutlich: Der Staat ist kein Unternehmer“, konstatierte Landesvorsitzender Peter Bollhagen.
Höhe der Zusatzrechnung steht fest
Seit Monaten haben alle politischen Akteure die nächste Hiobsbotschaft von der Großbaustelle kommen sehen. Nur die exakte Höhe der Zusatzrechnung war noch unklar. Jetzt steht sie fest.
Wie konnte es dazu kommen, dass die Kosten für den Klinikneubau dermaßen aus dem Ruder laufen und sich obendrein die Fertigstellung um Jahre verzögert? Fest steht: Es gab nicht den einen großen Bock, den die Planer oder die ausführenden Firmen geschossen haben; zu reden ist eher über eine ganze Kette von Fehlbeurteilungen, technischen Pannen, juristischen Problemen und sonstigen Widrigkeiten sowie ihren Wechselwirkungen untereinander.
Gleich zu Beginn des Projektes wurden nach übereinstimmender Bewertung von Insidern einige Weichen falsch gestellt. Der damalige Geno-Chef Diethelm Hansen habe die Kosten für das Vorhaben bewusst niedrig kalkuliert, um es der Politik schmackhaft zu machen, und mit der inhaltlichen Planung im Grunde erst begonnen, als die Baugrube ausgehoben wurde. Das war im Frühjahr 2011. Die eigentliche Projektsteuerung lag zu Beginn vollständig außerhalb der Geno, nämlich beim Generalplaner Ludes (Recklinghausen) und bei dem beratenden Ingenieurbüro Hitzler (München).
Dritter Nachschlag ist der höchste
Erst allmählich dämmerte den Verantwortlichen bei der Geno, dass sie gut daran täten, auch eigenen baufachlichen Sachverstand einzubringen. Um den früheren kaufmännischen Leiter des Klinikums Mitte, Robert Pfeiffer, wurde ein entsprechendes Team aufgebaut. Pfeiffer, honorig und fleißig, hatte allerdings keinerlei Erfahrungen mit Bauprojekten des angestrebten Kalibers. Manche Beobachter ahnten schon damals, dass diese Konstellation nichts Gutes verhieß – sowohl für das Fertigstellungsziel 2014 als auch für die Einhaltung des Kostenrahmens von 230 Millionen Euro.
Mit Generalplaner Ludes gab es immer wieder Ärger. „Die hohe Fluktuation dort hat dem Projekt nicht gutgetan“, sagt ein Akteur aus der Geno-Leitungsebene. Ständig habe man es mit neuen, unerfahrenen Ansprechpartnern zu tun gehabt. Diese hätten sich oft erst mühsam in die Materie einarbeiten müssen. Auch juristisch kam Sand ins Getriebe. Mehrfach klagten Bau- und Handwerksbetriebe gegen die Vergabe einzelner Gewerke durch die Geno.
In einem Fall kam es dadurch zu einem Baustopp von einem halben Jahr. Die Pleite der Elektro-Firma Imtech, der Rauswurf eines Trockenbauers und massive Probleme mit den Lüftungskanälen markieren weitere Rückschläge für das Projekt. „Diese Probleme haben sich zum Teil gegenseitig aufgeschaukelt“, sagt ein Kenner der Vorgänge. „Wenn sich die Ausführung eines Gewerks durch Verzögerungen an anderer Stelle in die Länge zieht, fällt die Rechnung natürlich höher aus.“
Geno-Häuser entwickeln sich wirtschaftlich gut
Zweimal musste die Gesundheit Nord zwischenzeitlich bereits Geld in das Baubudget nachschießen. Dafür nahm sie von der Stadt verbürgte Kredite auf. Aus 230 Millionen Euro wurden so 301 Millionen Euro. Das war der Stand vom Herbst vergangenen Jahres. Und nun also bis zu 57 Millionen Euro zusätzlich. Ist das schon das Ende der Fahnenstange? Bei der Gesundheit Nord wird man niemanden finden, der dafür die Hand ins Feuer legt. Noch nicht eingepreist ist beispielsweise die Neuanschaffung medizinischer Gerätschaften. In der Vergangenheit war in diesem Zusammenhang von rund 30 Millionen Euro die Rede.
Geno-Sprecherin Karen Matiszick räumt ohne Umschweife ein, dass der neuerliche Kostensprung „eine weitere wirtschaftliche Herausforderung für den Klinikverbund bedeutet“. Wirtschaftlich hätten sich die vier Geno-Häuser in Mitte, Nord, Ost und Links der Weser in jüngerer Zeit positiv entwickelt. Umso misslicher sei die Lage am Neubau, der voraussichtlich erst Ende 2018 bezugsfertig sein wird. „Wir müssen nun eine zusätzliche Zinsbelastung schultern, die unser Jahresergebnis wieder belasten wird“, sagt Matiszick.
Das ist auch die Sorge, die Thomas Röwekamp umtreibt. Der CDU-Fraktionschef in der Bürgerschaft hat für nächste Woche eine Aktuelle Stunde im Parlament beantragt. Röwekamp sieht den Sanierungsprozess, in dem sich die Geno seit 2013 befindet, akut gefährdet. Wenn nicht gegengesteuert werde, dann drohe dem städtischen Klinikverbund durch die gestiegenen Zins- und Tilgungslasten in zwei Jahren die Insolvenz.