Mein stetes Bemühen, doch noch ein wenigstens halbwegs anständiger Mensch zu werden, es verträgt dann und wann eine kleine Erinnerung. Da geht es mir als Regiertem nicht anders als den Regierenden. So sind die Mitglieder des Senats diese Woche nach nur ein wenig Berichterstattung und öffentlichem Missfallen ja ruckzuck von selbst darauf gekommen, dass es wohl anständiger wäre, in Sachen Inflationsausgleichsprämie doch lieber auf ihre jeweils 3000 Euro zu verzichten. Was doch hübsch zu diesen Wochen zwischen Aschermittwoch und Ostern passt. In der laufenden Fastenzeit ist die Sache mit dem Verzicht schließlich immer etwas, worüber nachgedacht werden sollte. Hach, der moralische Zeigefinger hebt sich so wunderbar leicht!
Blöd nur, wenn der sich plötzlich auf einen selbst richtet. Denn als ich mich bei der häuslichen Diskussion der Angelegenheit mit der Frage konfrontiert sah, worauf ich denn wohl zu verzichten bereit sei – da fielen mir zwar spontan eine ganze Menge Dinge ein. Doch fade Witze und die Zubereitung ebensolcher Speisen, weitere Streiks bei der BSAG oder Werder-Spiele gegen Aufsteiger waren offenbar nicht das, was gemeint war.
Also der nächste klägliche Versuch: Ich könnte darauf verzichten, Bremerhaven in dieser Kolumne stiefmütterlich zu behandeln. Denn die eigene Vorwahl hin oder her – auch dabei handelt es sich schließlich um ein Stück vom 0421-Land, das Beachtung verdient. Und sei es durch Besuche, um die Einheit des Zwei-Städte-Bundeslandes durch bloße Anwesenheit zu stärken. So bekenne ich: Die nunmehr zehn Monate, die seit meinem letzten Ausflug nach Bremerhaven vergangen sind, sind wahrhaftig kein Ruhmesblatt.
Doch seitdem hat sich ja einiges geändert. Denn neuerdings übt die 0421-Enklave an der Wesermündung auf ganz andere Art Verzicht: nämlich bei der Erreichbarkeit. Als wäre die Sperrung der A27 mitsamt überlasteter Umleitung nicht genug, wird es jetzt sogar auf dem Seeweg schwer, dorthin zu kommen. Wie ich unserer geschätzten Qualitätszeitung entnehmen durfte, stellt nun auch noch bis tief in den März hinein die Fähre von Blexen den Betrieb ein. Was für ein gelungenes Timing! Da wird es fast zur Randnotiz, dass jene überlastete A27-Umleitung an diesem Wochenende zeitweise auch noch gesperrt wird. Um festzustellen, dass es Bremerhaven wirklich nicht leicht hat, braucht es also nicht mal die jüngste Arbeitslosenquote auf Rekordniveau.
Also, als Zeichen meines steten Bemühens, ein wenigstens halbwegs anständiger Mensch zu sein: Besuchen Sie Bremerhaven, trotz aller Erschwernisse, gerade jetzt. Unsere Enklave an der Wesermündung kann jede Solidarität gebrauchen – und sei es durch den Verzehr einer Portion Backfisch am bewährten Deichgrill, mit Blick auf den Fluss, der dort langsam zum Meer wird. Und Fisch geht ja immer. Auch in der Fastenzeit.
Tagebucheintrag: Das Wort Inflationsausgleichsprämienverzicht merke ich mir vor, wenn demnächst mal wieder eine Partie Galgenmännchen gespielt wird. 35 Buchstaben! Das kommt zwar nicht an den Klassiker Donaudampfschiffahrtsgesellschaftskapitän heran, ist aber auch gut.