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Kritik an Bremer Heimaufsicht Zu wenig Kontrolle in der Altenpflege

Die CDU kritisiert die Arbeit der Wohn- und Betreuungsaufsicht. Sie werde immer nur tätig, wenn sich jemand beschwere. Eine systematische Kontrolle von Pflegeeinrichtungen unterbleibe.
19.12.2021, 15:00 Uhr
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Zu wenig Kontrolle in der Altenpflege
Von Timo Thalmann

Mängel in Bremer Pflegeeinrichtungen sind offenbar weiter verbreitet, als bislang bekannt. In einer Vorlage für die jüngste nicht-öffentliche Sitzung der Sozialdeputation ist von einer „auffälligen Häufung von spezifischen Problemlagen“ in Altenpflegeeinrichtungen unter Trägerschaft großer privater Konzerne die Rede. Betroffen seien demnach die Hälfte aller im Land Bremen verfügbaren stationären Pflegeplätze. Beispielhaft dafür stehen bekannt gewordene Beschwerden von Angehörigen und Bewohnern über Vernachlässigungen im Haus am Sodenmattsee. Die Einrichtung gehört zur Residenz-Gruppe, die wiederum Teil des international tätigen Orpea-Konzerns mit Sitz in Paris ist. Das Unternehmen betreibt mehr als 1000 Pflegeheime in 14 Ländern mit rund 85.000 Pflegeplätzen.

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Laut Sozialbehörde ging es in der Huchtinger Einrichtung unter anderem darum, dass die Betroffenen beim Essen alleine sitzen oder zu lange auf Hilfe warten müssen, nachdem sie geklingelt hatten. Für die Einrichtung an der Delfter Straße 25 wurde deshalb bereits zur ersten Jahreshälfte 2020 von der Heim und Betreuungsaufsicht ein Belegungsstopp verhängt. Von den vorhandenen 86 Plätzen sind derzeit daher nur 52 besetzt. Solche verhängten, freiwillig beschlossenen oder auch mit den jeweiligen Betreibern vereinbarten Belegungsstopps gibt es in weiteren Bremer Häusern.

So sind ebenfalls in Huchting im Haus Invita an der Kirchhuchtinger Landstraße laut Betreiber aktuell 70 von 88 Plätzen belegt. „Das ist ein Stopp, den wir uns selbst auferlegt haben“, betont Marcus Mollik, Geschäftsführer des Betreibers WH-Care Holding in Garbsen bei Hannover. Als Grund gibt er Personalmangel an. Mollik räumt allerdings ein, dass bei den Pflegekräften auch wiederholt Qualitätsprobleme auftauchen. "Wir müssen viele Kräfte immer wieder nachschulen." Aktuell wurde in diesem Zusammenhang die Hausleitung fristlos entlassen. Über die genauen Gründe macht Mollik keine Angaben. „Wir mussten diese Konsequenz ziehen, auch wenn wir wissen, dass dadurch erneut Unruhe und Fragen entstehen.“

Das Haus Invita war seit 2015 immer wieder ein Fall für die Wohn- und Betreuungsaufsicht. Damals stand es wegen gravierender Pflegemängel kurz vor der Schließung durch die Behörde. Dann gab es zweimal einen Betreiberwechsel und immer wieder Kontrollen. Seit 2017 bemüht sich die WH Care Holding nach Darstellung Molliks kontinuierlich darum, dass das Haus „unseren hohen Ansprüchen an die Pflegequalität gerecht wird.“ Man sei aber noch nicht da, wo man gern wäre.

Die CDU kritisiert vor diesem Hintergrund mit einer großen Anfrage die Arbeit der Wohn- und Betreuungsaufsicht. Sigrid Grönert, sozialpolitische Sprecherin der Christdemokraten in der Bürgerschaft, bemängelt vor allem, das keine anlasslosen und unangekündigte Kontrollen stattfinden. „Die Prüfer reagieren wohl stets zügig, wenn es Beschwerden gibt, aber ihrem gesetzlichen Auftrag, die Einrichtungen regelmäßig und systematisch zu überwachen, kommt die Behörde nicht nach“, sagt sie.

Reinhard Leopold, Bremer Regionalbeauftragter des Biva-Pflegeschutzbundes, der sich für die Interessen der Bewohner einsetzt, berichtet, dass Betreiber "systematisch aufräumen", sobald ihnen die Kontrollen angekündigt werden. "Pflegekräfte haben mir versichert, dass dann Dokumentationen und Dienstpläne nachkorrigiert werden oder nur am Tag der Kontrolle mehr Personal vor Ort ist als gewöhnlich." Mollik hält solche Vorkommnisse für erfunden. Die Wohn- und Betreuungsaufsicht kündige sich immer nur sehr kurzfristig an. "Da erhalten sie dann morgens um acht den Anruf, dass um zehn die Prüfer im Haus sind. Wer da keine ordentliche Dokumentation hat, kann sie auch nicht auf die Schnelle nachholen."

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Laut Bernd Schneider, Sprecher des Sozialressorts, gehen die anlassbezogenen Kontrollen zudem stets über den Anlass hinaus. So werde etwa bei einer Beschwerde über unzureichende Pflege einer Bewohnerin oder eines Bewohners das gesamte Umfeld kontrolliert, ebenso der Personaleinsatz und der Dienstplan für die Stationen. „Der Verpflichtung zu Regelkontrollen kommt die Wohn- und Betreuungsaufsicht durch vertiefte Anlasskontrollen faktisch nach“, sagt Schneider.

Birgit Pfeiffer, sozialpolitische Sprecherin der SPD-Fraktion in der Bürgerschaft, sieht es ähnlich wie das Sozialressort und verweist auf ein strukturelles Problem. "Ich glaube nicht, dass die Lösung darin besteht, das Kontrollsystem vor Ort immer weiter auszubauen, wenn private Heimbetreiber gleichzeitig zu immer größeren, profitorientierten Konzernen werden, die zudem schnell mit Rechtsmitteln gegen Anordnungen einer Wohn- und Betreuungsaufsicht vorgehen." Sie plädiert daher dafür, die Rahmenbedingungen der Pflege so zu verändern, dass der Markt insgesamt stärker reguliert wird. Es gebe entsprechende Überlegungen in der SPD-Bürgerschaftsfraktion, so etwas anzustoßen. "Das werden wir allein in Bremen aber nicht lösen können."

Zur Sache

Mehr Körperverletzungen in Pflegeheimen

Dass fehlendes oder überfordertes Pflegepersonal gravierende Konsequenzen haben kann, zeigt auch eine steigende Zahl von Strafanzeigen, bei denen die Bewohner von Altenheimen, Pflegeeinrichtungen oder Behindertenwohnheimen in ihren Einrichtungen zum Opfer wurden. Das zeigte bereits im April die Antwort des Senats auf eine entsprechende Anfrage der CDU. Waren es 2019 noch 29 Anzeigen aus der Stadt Bremen, die Eingang in die polizeiliche Kriminalstatistik fanden, wurden im vorigen Jahr 75 Anzeigen registriert. Mehr als verdoppelt hat sich die Zahl sogenannter Rohheitsdelikte und hier besonders die Zahl der fahrlässigen Körperverletzungen, die von zwei im Jahr 2019 auf 29 im Jahr 2020 anstieg. Ob diese Entwicklung auch 2021 so weiterging, ist bislang nicht ausgewertet.

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