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Interview zur "Woyzeck"-Wiederaufnahme "Ich bin selbstbewusster als damals"

2013 feierte "Woyzeck" im Theater Bremen eine umjubelte Premiere. Nun wird das Stück wieder aufgenommen. "Marie"-Darstellerin Annemaaike Bakker über einen neuen Blick auf den Stoff und sehr kurze Probephasen.
04.01.2022, 12:01 Uhr
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Von Simon Wilke

Frau Bakker, für Sie startet das neue Jahr am 8. Januar mit einer Wiederaufnahme von "Woyzeck". Die Inszenierung feierte im Frühjahr 2013, also vor neun Jahren, Premiere im Theater Bremen. Konnten Sie Ihren Text denn noch?

Annemaaike Bakker: Zuerst konnte ich ihn nicht mehr, aber ich habe ein paar Mal das Video von damals geschaut und in dieser Woche die ersten Proben gehabt. Dabei kommt alles schnell wieder. Es ist ein bisschen wie bei einem Lied, das man früher mal auswendig konnte – wenn man es wieder hört, ist der Text beim dritten Hören wieder da. Außerdem hat Georg Büchner recht kurze, klare Sätze genutzt. Das hilft.

Moment, es ist weniger als eine Woche hin bis zum Start, und Sie haben jetzt erst angefangen zu proben?

Richtig. Bis zu dieser Woche hatte ich nur einmal mit Lieke Hoppe geprobt, die die einzige Neue in der Besetzung ist und mir mein Video ein paar Mal angeschaut. Das geht schon. Wir müssen das Stück ja nicht neu entwickeln, nur wiederfinden.

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Wie ist es für Sie, wenn Sie sehen, wie Sie Ihre Rolle vor fast zehn Jahren interpretiert haben?

Das ist schon ein seltsames Gefühl, aber hierbei mochte ich es. Manchmal ist es so, dass ich ganz schlecht Filme von mir selbst sehen kann, vor allem, wenn sie noch nicht alt sind. Bei "Woyzeck" war es so lange her, dass ich sozusagen auf ein altes Ich gucken und mich an die Zeit zurück erinnern konnte. Es war ein tolles Stück und ich kann verstehen, warum Michael Börgerding (Intendant des Theaters Bremen, Anm. d. Red.) es wieder aufnehmen wollte.

Die Kritiken waren damals tatsächlich sehr gut, der WESER-KURIER lobte vor allem die Verbindung des Stoffes mit der Musik von Tom Waits (siehe unten). Stehen Sie da nicht besonders unter Druck bei dieser Wiederaufnahme, gerade nach so einer langen Pause?

Tatsächlich ist diese musikalische Fassung einfach toll, es passt super, wie Klaus Schumacher es inszeniert hat – lebendig, aber auch roh und fast märchenhaft. Aber man muss sich sicherlich davon verabschieden, zu sagen: Ich mache es genauso wie damals. Ich muss ein wenig loslassen. Aber ich habe Lust auf diese Wiederaufnahme, weil man mit einem neuen Blick auf den Stoff gucken kann.

Inwiefern tun Sie das?

Wir stecken ja noch in der Vorbereitung, daher weiß ich noch nicht, wie genau. Wir wollen keine neue Inszenierung machen, aber man guckt heute mit anderen Augen auf die Vorlage als vor neun Jahren. Meine Figur, die Marie, wird ja am Ende von Woyzeck umgebracht, auch weil sie mit dem Tambourmajor eine Romanze beginnt. Am Ende ist das ein Femizid, etwas, das damals auch schon da war, aber viel weniger Thema in der Gesellschaft. Man schaut ja ohnehin ganz anders auf manche Stoffe als vor zehn Jahren.

Glücklicherweise.

Ja, das ist wichtig. Ich finde es toll, wie anders heute auf Machtstrukturen geschaut wird, wie anders sich Theater mit der Gesellschaft beschäftigt, wie es sich auch verändern muss.

Bald nach der Premiere 2013 haben Sie auch den Kurt-Hübner-Preis der Bremer Theaterfreunde bekommen.

Und ich glaube, auch für meine Rolle in "Woyzeck". Es war damals für mich die erste Spielzeit in Deutschland. Es war total schmeichelhaft, weil ich die Rolle sehr geliebt habe und das dann auch gesehen wurde. Das ist nicht immer so – manchmal denkt man auch: Ich war so gut, und dann sagen die Leute: Ne, das war schrecklich.

In der Begründung wurde die Vielfalt Ihrer darstellerischen Fähigkeiten hervorgehoben.

Ja, das konnte ich in dieser Rolle sehr gut zeigen. Damals war auch die Sprache für mich noch sehr neu, ich hatte weniger Bezug dazu. Die Worte hatten nicht gleich eine Bedeutung für mich, ich musste daher viel körperlicher sein, etwas suchen, das ich kannte. Das konnte ich in dieser Inszenierung sehr gut.

Nehmen Sie das Gefühl von 2013 mit, wenn Sie nun wieder als Marie auf der Bühne stehen?

Schon, was die Handlung und den Bau der Szenen angeht. Aber jetzt kenne ich mich und meine Kolleginnen und Kollegen natürlich viel besser. Es ist längst nicht mehr alles neu, ich bin selbstbewusster als damals, habe einen anderen Zugang zur Sprache, zum Leben und zum Spielen. Ich selbst neugierig, was das für Auswirkungen hat.

Die Fragen stellte Simon Wilke.

Zur Person

Annemaaike Bakker

wurde in Leeuwarden, Niederlande, geboren. Seit der Spielzeit 2012/13 ist sie fester Teil des Ensembles am Theater Bremen. Unter anderem für ihre Rolle in "Woyzeck" wurde ihr 2013 der Kurt-Hübner-Preis verliehen.

Zur Sache

Premierenkritik von 2013: „Woyzeck“ als Märchen mit Musik

Der „Woyzeck“, den das Bremer Schauspiel jetzt am Goetheplatz zeigt, konzentriert sich stark auf die märchenhaften Elemente des heterogenen, des wüst zerklüfteten, des ebenso wortgewaltigen wie pessimistischen Fragments, das 1837 im Nachlass des Dichters gefunden wurde. Gewundert hätte sich Georg Büchner aber wohl vor allem darüber, dass sein Sprechstück hier in ein Genre überführt worden ist, das es zu seiner Zeit noch gar nicht gab: In Bremen ist aus „Woyzeck“ ein (eher düsteres) Musical geworden. Gezeigt wird eine Version, die einst von Robert Wilson konzipiert wurde, deren eingängige Musik Tom Waits komponiert hat und die jetzt von Klaus Schumacher für das große Haus am Goetheplatz erneut inszeniert worden ist.

Und – Entwarnung für Büchner-Liebhaber: Man erkennt in dieser Aufführung vieles wieder. Da der Text lediglich in Bruchstücken und Einzelszenen erhalten ist, kann es bei Aufführungen des „Woyzeck“ eine verbindliche „Werktreue“ natürlich nicht geben. Notwendig muss bearbeitet, notwendig muss interpretiert werden. Die Bremer Inszenierung macht von diesen Möglichkeiten ausgiebigen, durchweg auch einleuchtenden Gebrauch.

Gespielt wird in einer eher engen, recht hoch in Richtung Schnürboden gezogenen Arena. Hier vollzieht sich das Büchnersche Geschehen: die misslingende Liebesgeschichte zwischen Woyzeck und Marie, das menschenverachtende Experimentieren des Doktors am Versuchskaninchen Woyzeck, der schikanöse Umgang des Hauptmanns mit dem Untergebenen Woyzeck. Radikal und unerbittlich entwickelt der Autor den Untergang seiner schuldlos-schuldigen Figuren – was aber in der Bremer „Woyzeck“-Version durch die teils mitreißenden, teils sentimentalen Songs von Tom Waits beinahe tröstlich abgemildert wird.

Und die Märchen? Zwei davon bilden am Goetheplatz den Rahmen. Am Anfang wird die optimistische Geschichte von den „Sternthalern“ erzählt – die ist natürlich nicht von Büchner, sondern von den Brüdern Grimm. Zwischendurch gibt es andere Zitate, am Ende aber lässt die Inszenierung Büchners Großmutter von dem „arm Kind“ erzählen, das ganz allein auf der Welt ist und weder vom Mond („ein Stück faul Holz“) noch von den Sternen („kleine goldne Mücken“) getröstet werden kann: „Da hat sich’s hingesetzt und geweint, und da sitzt es noch und ist ganz allein.“ Abgrundtief traurig erscheint das bei Büchner. Aber in der interessanten Bremer Aufführung ist es nicht ganz so schlimm – die kann sich nämlich an der Musik von Tom Waits immer wieder aufrichten.

Rainer Mammen

Info

"Woyzeck" feiert am Sonnabend, 08. Januar 2022, 19.30 Uhr Wiederaufnahme. Weitere Termine sind unter anderem am Sonnabend, 15. Januar und am Donnerstag, 20. Januar, jeweils um 19.30 Uhr. Seit Jahresbeginn gilt für die meisten Vorstellungen wieder das Schachbrettprinzip. Das heißt, es sind Einzel- und Doppelplätze buchbar, zwischen den unterschiedlichen Parteien bleiben zwei Plätze frei. Die wenigen Ausnahmen von der freiwillig getroffenen Regel sind auf der Homepage des Theaters gekennzeichnet. Karten und weitere Informationen unter www.theaterbremen.de.

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