Frau Bakker, für Sie startet das neue Jahr am 8. Januar mit einer Wiederaufnahme von "Woyzeck". Die Inszenierung feierte im Frühjahr 2013, also vor neun Jahren, Premiere im Theater Bremen. Konnten Sie Ihren Text denn noch?
Annemaaike Bakker: Zuerst konnte ich ihn nicht mehr, aber ich habe ein paar Mal das Video von damals geschaut und in dieser Woche die ersten Proben gehabt. Dabei kommt alles schnell wieder. Es ist ein bisschen wie bei einem Lied, das man früher mal auswendig konnte – wenn man es wieder hört, ist der Text beim dritten Hören wieder da. Außerdem hat Georg Büchner recht kurze, klare Sätze genutzt. Das hilft.
Moment, es ist weniger als eine Woche hin bis zum Start, und Sie haben jetzt erst angefangen zu proben?
Richtig. Bis zu dieser Woche hatte ich nur einmal mit Lieke Hoppe geprobt, die die einzige Neue in der Besetzung ist und mir mein Video ein paar Mal angeschaut. Das geht schon. Wir müssen das Stück ja nicht neu entwickeln, nur wiederfinden.
Wie ist es für Sie, wenn Sie sehen, wie Sie Ihre Rolle vor fast zehn Jahren interpretiert haben?
Das ist schon ein seltsames Gefühl, aber hierbei mochte ich es. Manchmal ist es so, dass ich ganz schlecht Filme von mir selbst sehen kann, vor allem, wenn sie noch nicht alt sind. Bei "Woyzeck" war es so lange her, dass ich sozusagen auf ein altes Ich gucken und mich an die Zeit zurück erinnern konnte. Es war ein tolles Stück und ich kann verstehen, warum Michael Börgerding (Intendant des Theaters Bremen, Anm. d. Red.) es wieder aufnehmen wollte.
Die Kritiken waren damals tatsächlich sehr gut, der WESER-KURIER lobte vor allem die Verbindung des Stoffes mit der Musik von Tom Waits (siehe unten). Stehen Sie da nicht besonders unter Druck bei dieser Wiederaufnahme, gerade nach so einer langen Pause?
Tatsächlich ist diese musikalische Fassung einfach toll, es passt super, wie Klaus Schumacher es inszeniert hat – lebendig, aber auch roh und fast märchenhaft. Aber man muss sich sicherlich davon verabschieden, zu sagen: Ich mache es genauso wie damals. Ich muss ein wenig loslassen. Aber ich habe Lust auf diese Wiederaufnahme, weil man mit einem neuen Blick auf den Stoff gucken kann.
Inwiefern tun Sie das?
Wir stecken ja noch in der Vorbereitung, daher weiß ich noch nicht, wie genau. Wir wollen keine neue Inszenierung machen, aber man guckt heute mit anderen Augen auf die Vorlage als vor neun Jahren. Meine Figur, die Marie, wird ja am Ende von Woyzeck umgebracht, auch weil sie mit dem Tambourmajor eine Romanze beginnt. Am Ende ist das ein Femizid, etwas, das damals auch schon da war, aber viel weniger Thema in der Gesellschaft. Man schaut ja ohnehin ganz anders auf manche Stoffe als vor zehn Jahren.
Glücklicherweise.
Ja, das ist wichtig. Ich finde es toll, wie anders heute auf Machtstrukturen geschaut wird, wie anders sich Theater mit der Gesellschaft beschäftigt, wie es sich auch verändern muss.
Bald nach der Premiere 2013 haben Sie auch den Kurt-Hübner-Preis der Bremer Theaterfreunde bekommen.
Und ich glaube, auch für meine Rolle in "Woyzeck". Es war damals für mich die erste Spielzeit in Deutschland. Es war total schmeichelhaft, weil ich die Rolle sehr geliebt habe und das dann auch gesehen wurde. Das ist nicht immer so – manchmal denkt man auch: Ich war so gut, und dann sagen die Leute: Ne, das war schrecklich.
In der Begründung wurde die Vielfalt Ihrer darstellerischen Fähigkeiten hervorgehoben.
Ja, das konnte ich in dieser Rolle sehr gut zeigen. Damals war auch die Sprache für mich noch sehr neu, ich hatte weniger Bezug dazu. Die Worte hatten nicht gleich eine Bedeutung für mich, ich musste daher viel körperlicher sein, etwas suchen, das ich kannte. Das konnte ich in dieser Inszenierung sehr gut.
Nehmen Sie das Gefühl von 2013 mit, wenn Sie nun wieder als Marie auf der Bühne stehen?
Schon, was die Handlung und den Bau der Szenen angeht. Aber jetzt kenne ich mich und meine Kolleginnen und Kollegen natürlich viel besser. Es ist längst nicht mehr alles neu, ich bin selbstbewusster als damals, habe einen anderen Zugang zur Sprache, zum Leben und zum Spielen. Ich selbst neugierig, was das für Auswirkungen hat.
Die Fragen stellte Simon Wilke.