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Alfred-Wegener-Institut Forscher wollen das Geheimnis der Wolken entschlüsseln

Eis oder flüssiges Wasser? Wer die Wolken der Arktis versteht, kann genauer vorhersagen, bei wie viel CO-Emissionen die Zwei-Grad-Grenze überschritten wird. Daran arbeiten Bremerhavener Forscher.
25.05.2024, 05:23 Uhr
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Von Björn Lohmann

Zarte Cirrus-Wolken kündigen schönes Wetter an, hoch getürmte Cumulonimbus-Wolken hingegen heißen nicht grundlos im Volksmund Gewitterwolken: Der Zusammenhang zwischen Wolkenformen und dem Wetter ist vielen Menschen geläufig und in der Meteorologie gut verstanden. Anders verhält es sich mit dem Einfluss der Wolken auf das globale Klima. „Wolken sind eine der zentralen Unsicherheiten für die Frage, wie stark sich die globale Temperatur abhängig vom CO2 in der Atmosphäre erhöht“, berichtet Felix Pithan, Atmosphärenphysiker am Alfred-Wegener-Institut (AWI) in Bremerhaven.

Die grundsätzliche Schwierigkeit bei Wolken besteht darin, dass für sie sehr unterschiedliche Größendimensionen relevant sind – von Luftzirkulationen, die sich in Hunderten von Kilometern bemessen, bis zu Millimeter großen Eiskristallen. „Das lässt sich wegen der begrenzten Rechenleistung selbst der größten Computer nicht gleichzeitig auf Grundlage von Physik abbilden. Darum wird in den Klimamodellen mit Näherungen gearbeitet, die ungefähr passen“, erklärt Pithan.

Mit Forschungsballons möchte der AWI-Forscher dazu beitragen, dass sich genauer prognostizieren lässt, bei welcher CO2-Konzentration mit welchem Temperaturanstieg der Weltklimas gerechnet werden muss.

Tropfen gefrieren bei minus 25 Grad

Pithan hat deswegen fast den gesamten April in der Arktis verbracht, in der AWIPEV-Forschungsbasis am westlichen Rand von Spitzbergen. „Wenn im Winter feuchte Luft mit null Grad Celsius in die Arktis kommt und sich dort abkühlt, kann sie weniger Wasser aufnehmen. Das Wasser kondensiert deshalb und es bilden sich Wolken“, schildert der Forscher. Die spannende Frage dabei ist: Wie lange gibt es in diesen Wolken noch flüssiges Wasser? Denn in den Wolken ist es durchaus möglich, dass manche Tropfen erst bei minus 20 oder minus 25 Grad Celsius gefrieren. Pithan möchte wissen: „Bis wann gibt es noch flüssige Wassertropfen und ab wann nur noch Eis in den Wolken über der Arktis?“

Für das Klima ist das eine wichtige Frage. Enthalten die Wolken flüssiges Wasser, kann nicht so viel Wärme vom Ozean in die Atmosphäre gelangen. Eiswolken hingegen sind für Wärmestrahlung durchlässig. Dann kann sich die Eisdecke stärker abkühlen, da im Winter praktisch keine Sonneneinstrahlung entgegenwirkt. „Vom Eis in den Wolken hängt also ab, wie viel Eis sich im Winter in der Arktis wieder neu bildet“, erklärt Pithan.

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Sechs zylinderförmige, gut zwei Meter hohe Messballons, deren Thermoskannen-förmiger Ballast aus Messgeräten Temperatur, Feuchtigkeit und Wind erfasst, haben er und sein Team steigen und mit den Wolken driften lassen. „Wir haben einen Monat eingeplant, weil wir auf eine bestimmte Wettersituation warten mussten“, erzählt Pithan. Warme Luftschichten sollten vom Meer über das Meereis in Richtung Nordpol driften, aber nicht so weit östlich, dass die Ballons in den russisch kontrollierten Luftraum gelangt wären.

„Vor zwei Jahren war ich auf einer Expedition, da wehte der Wind einen Monat lang in die andere Richtung, vom Eis aufs offene Meer“, erinnert sich der Atmosphärenphysiker. Über eine Woche dauerte es diesmal, dann konnte der erste Ballon starten. Die Wartezeit auf die weiteren Flüge nutzte das Team, den Sonnenschutz des Temperatursensors noch weiter zu optimieren oder einfach in der Sonne Ski zu laufen – denn gutes Wetter bedeutete forschungsfreie Tage.

Ballon legte 1000 Kilometer zurück

Am Ende erwiesen sich vier der sechs Flüge als erfolgreich. Bei einem Ballon gab es ein Problem mit der Steuerungsmechanik, über die das Forschungsteam per Satellitenmodem den Ballon auf- und absteigen lassen kann. Ein anderer sammelte zu viel Eis auf seiner Hülle und sank durch das Gewicht ab. „Es war klar, dass das mit dem Eis nur eine Zeitlang gutgeht, Wolken sind ein schwieriges Terrain für alle Fluggeräte“, erzählt Pithan. „Bei den anderen Ballons haben wir die Zeit ausgereizt.“ Der letzte Ballon etwa flog 50 Stunden und legte mehr als 1000 Kilometer mit der Wolke zurück.

Obwohl die Forscher gerade erst beginnen, die Daten auszuwerten, können sie schon eine Überraschung berichten: Dort, wo die Eiskante verläuft, also das Meer zum Meereis übergeht, transportiert der Wind in einem Kilometer Höhe wie erwartet die Luft über die Eiskante hinweg. Weiter unten hingegen gibt es eine unerwartet starke Winddrehung. Sie führt dazu, dass die Luftmassen vom Meer sich entlang der Eiskante bewegen und nicht etwa auf das Eis hinaus. „Wenn die Daten zeigen, dass das systematisch so ist, wäre das wichtig um zu verstehen, wie viel Energietransport überhaupt vom Ozean über das Eis stattfindet“, ordnet Pithan die Bedeutung ein. Noch wäre allerdings denkbar, dass die Forscher nur einen Sonderfall beobachtet haben.

Ebenfalls klären dürften die Daten eine weitere Frage: Oft nimmt die Temperatur oberhalb der Wolkenkante zu. „Aber ist die Wolke komplett in der kalten Luftschicht oder ragt sie vielleicht noch 30 Meter in die warme Luftschicht hinein?“, fragt Pithan. Satelliten können das nicht erkennen und sehen entweder eine kalte Wolke oder, wenn sie in die warme Luftschicht hineinragt, eine warme Wolke, die viel mehr Energie ins Weltall abstrahlt. „Uns ist es gelungen, in die Wolke hineinzufliegen und oben etwas hinaus“, berichtet der Forscher. Bald dürfte also klar werden, ob es sich über der Arktis um kalte Wolken handelt.

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Auf lange Sicht möchte Pithan mit seinem Team in den verbleibenden 4,5 Projektjahren klären, wie lange die Mischphasenwolken über dem arktischen Eis noch flüssiges Wasser enthalten. Weitere Ballonflüge, Flüge des AWI-Forschungsflugzeugs Polar 6 und Messungen der AWIPEV-Station sollen dazu beitragen. Dann lässt sich noch exakter modellieren, wie viel CO2-Emissionen die Menschheit noch verursachen kann, bevor die Erderwärmung die 2-Grad-Grenze überschreitet – denn die 1,5-Grad-Grenze könnte bis dahin vielleicht schon überschritten sein.

AWIPEV

In Ny-Alesund auf Spitzbergen, einer der nördlichsten Siedlungen der Welt, betreiben elf Nationen Arktisforschung. Das deutsche AWI und das französische IPEV betreiben seit 2003 gemeinsam die Forschungsstation AWIPEV. Dessen Atmosphärenlabor vermisst die Atmosphäre vom Boden bis in die Stratosphäre. Aber auch Meeresforschung findet hier statt, etwa wie sich die erhöhte UV-Strahlung auf das Leben im Meer auswirkt.

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