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Strukturkrise auf der Bühne Aufstieg und Fall einer Reederei

„Sterne schießen“ heißt der jüngste regionalpatriotische Coup des Stadttheaters Bremerhaven: Anne Jelena Schulte hat ein Stück über den Norddeutschen Lloyd geschrieben. Uraufführung ist am 12. Mai.
04.05.2018, 13:12 Uhr
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Aufstieg und Fall einer Reederei
Von Hendrik Werner

Seine wagemutigen Gründer sind noch immer im Stadtbild präsent: Der Norddeutsche Lloyd war eine deutsche Reederei, die Hermann Henrich Meier und Eduard Crüsemann, beide Namensgeber von Straßen im Bremer Stadtteil Schwachhausen, 1857 in Bremen aus der Taufe hoben. Sie legte eine veritable Erfolgsgeschichte hin, indem sie sich zu einem der bedeutendsten deutschen Schifffahrtsunternehmen des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts entwickelte.

Abermillionen von Auswanderern sowie unzähliges Frachtgut fuhren ihre Besatzungsmitglieder, die Tod und Teufel nicht fürchteten, über die Weltmeere. Zumal die Geschichte Bremerhavens ist untrennbar mit dem steilen Aufstieg, aber auch mit dem jähen Fall des Lloyd verbunden: Gerade drei Jahrzehnte bestand der Ort, dessen Ländereien der weitsichtige Bremer Bürgermeister Johann Smidt Hannover abgekauft hatte, als die ersten Schiffe die Seestadt gen New York und New Orleans verließen.

Wenige Jahre später, als der Lloyd zur weltweit zweitgrößten Reederei avanciert war, schlug der nachvollziehbare Stolz der Beschäftigten indes in bedenkliche Megalomanie um: „Gottes eigene Reederei“ nannten sie ihr Unternehmen. So wie Hochmut bekanntlich vor dem Fall kommt, musste der Lloyd durch Kriege und Krisen, Kalamitäten und Katastrophen empfindliche Rückschritte seines Weltgeltungsdranges hinnehmen – bis hin zu seinem Aufgehen in der Hamburg-Amerikanischen Packetfahrt-Actien-Gesellschaft (Hapag) im Trauerjahr 1970.

Historisches Menetekel

Von diesem Niedergang, aber auch von den jahrzehntelangen Segnungen, ja Triumphen der sogenannten Lloydcity Bremerhaven, wo zeitweilig die Hälfte der Bevölkerung in Diensten der Reederei stand, erzählt ein Stück, das das Stadttheater Bremerhaven bei der Berliner Dramatikerin Anne Jelena Schulte in Auftrag gegeben hat – und das am 12. Mai ebenda zur Uraufführung kommt. "Sterne schießen" inszeniert Intendant Ulrich Mokrusch, der den rigorosen Rückbau der Reederei als historisches Menetekel für das Bundesland insgesamt bewertet.

"Die Fusion mit der Hapag war der Auftakt für die wirtschaftlichen Krisen in Bremen und Bremerhaven, gefolgt von dem Rückgang der Fischerei und der Werftenkrise. Glaubte man zu Anfang noch, man könne auf Augenhöhe mit Hamburg fusionieren, verschwand der Norddeutsche Lloyd innerhalb von zehn Jahren komplett aus Bremen; die Hälfte der Mitarbeiter verlor ihren Job", resümiert Mokrusch, der sich seit seinem Amtsantritt 2010 mit Folgen von Strukturkrisen im Nordwesten beschäftigt.

Gegen die eigenen Arbeiter

Dass der Lloyd bei seiner Gründung ein zeitgemäßes Unternehmen war, das den Paradigmenwechsel von der Segel- zur Dampfschifffahrt noch glorreich bewerkstelligte, jenen zur Containerschifffahrt indes nicht meisterte, eröffnet Mokrusch zufolge auch für die Inszenierung allegorische Perspektiven: "Das Scheitern kam schnell und hart. Parallelen zur Digitalisierung und zur deutschen Autoindustrie drängen sich auf."

Auch Stückautorin Schulte, Jahrgang 1976, trotzt dem Stoff, aus dem die Pleiten sind, Exemplarisches ab: "In den Geschichten der heute noch lebenden Generation ehemaliger Lloydfahrer spiegelt sich die Geschichte der Bundesrepublik und des Kapitalismus", sagt sie. Und konkretisiert: "Die Freude der ausgehungerten Nachkriegsbesatzung, wenn das Schiff Dosenpfirsiche geladen hatte.

Die Dekadenz der Wirtschaftswunder-Passagiere, die etwa verlangten, jeden Morgen auf hoher See ein frisch gelegtes Ei serviert zu bekommen. Der Schock darüber, dass das System sich plötzlich gegen seine eigenen Arbeiter wandte, als fusioniert wurde, um im globalen Wettbewerb mithalten zu können." Schulte legt Wert darauf, dass das von ihr entwickelte Stück die Geschichte des Lloyd sozusagen von unten erzählt – "aus der Perspektive der Matrosen, Köche, Stewardessen".

Aufführungen: 12., 16., 19. und 26. Mai sowie 1., 3. und 7. Juni, jeweils 19.30 Uhr.

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