Was eigentlich treibt einen so um, wenn man nachts nicht schlafen kann? Die Welt ist stiller als sonst, dunkler sowieso. Sie macht Pause. Die meisten anderen Menschen liegen in ihren Betten und träumen, hoffentlich etwas Schönes. Damit man als Schlaflose oder Schlafloser nicht verloren geht, gibt es immer noch auch das Radio mit seinen nächtlichen Anrufshows.
Aus dieser Konstellation hat die Autorin Judith Kuckart gemeinsam mit sechs Schauspielerinnen und Schauspielern der Bremer Shakespeare Company und des Stadttheaters Bremerhaven ein Stück entwickelt: "Die Welt zwischen den Nachrichten". Mit Kuckarts gleichnamigem, in diesem Jahr erschienenen Roman, hat das Stück nichts zu tun. Am Donnerstagabend war die Uraufführung im Theater am Leibnizplatz.
Um was geht es?
Von Mitternacht bis zwei Uhr morgens geht Moderator Martin Gerlach (Markus Seuß) auf Sendung bei Radio Nord-Nordwest 2. An diesem frühen Mittwochmorgen treibt ihn die Meldung um, dass man sich in Großbritannien Bücher auf Rezept gegen Einsamkeit verschreiben lassen kann. Doch wirkt das? Kann Literatur, können womöglich Shakespeares Sonette, jemanden retten? Und kann Musik das auch? Das fragt Gerlach seine Zuhörerschaft. Vier Frauen rufen an und erzählen über ihr Leben, ihre Ängste, ihre Hoffnungen, auch über Bücher und Songs, die ihnen etwas bedeuten. Und sie sind froh, dass jemand nicht nur einfach hört, was sie sagen. Sondern ihnen zuhört, was ja immer heißt: Man folgt jemandem in seine Welt.
Wie ist das strukturiert?
Die vier Anruferinnen wechseln sich ab bei ihren Erzählungen. Da gibt es Bea (Petra-Janina Schultz), die eigentlich gerne allein ist, sich aber Liebhaber erfindet – damit die Menschen endlich mit ihrer Fragerei aufhören, ob sie ein erfülltes, sprich: den Normen entsprechendes Leben führt. Frau Winter (Svea Meiken Auerbach), erblindet und versucht, visuelle Erinnerungen zu konservieren, so gut es geht und sich eine Zukunft auszumalen. Frau Behrenson (Isabel Zeumer) hält sich zunächst zurück, aber irgendwann sprudeln ihre Gedanken aus ihr heraus: Wie wird es wohl sein, wenn sie stirbt? Rosa (Angelika Hofstetter) ist Taxifahrerin, fühlt sich ihr Leben lang eher übersehen, liebt das Wasser und kämpft sich einmal mehr durch Thomas Manns "Der Zauberberg". Was ihr weniger Halt bietet als noch vor 30 Jahren bei der Erstlektüre.
Was ist mit der Figur Dark Lady Pilz?
432 Jahre alt und damit mit Wurzeln in der Shakespeare-Ära, saust die von Leon Häder gespielte "Dark Lady Pilz" als skurrile, leibhaftige Stimme aus dem Jenseits oder wahlweise als literarischer, gegen alle Widrigkeiten resistenter Pilz auf Rollschuhen über die Bühne. Die "Dark Lady" war die Frau, die Shakespeare in den meisten seiner Sonette anhimmelte. Im Hier und Heute mischt sie sich mit auch mal sarkastischen Kommentaren in die Geschichten der vier Gegenwarts-Frauen ein. Die sind sowieso nicht immer so realitätsgebunden, wie es zunächst scheint, und driften ab und an ins Fantastische ab.
Wie ist das inszeniert?
Judith Kuckart hat dem Umstand Rechnung getragen, dass "Die Welt zwischen den Nachrichten" nicht nur im Theater am Leibnizplatz funktionieren muss, sondern auch auf der Bühne des Stadttheaters Bremerhaven. Das Bühnenbild von Rike Simitschek ist ein angedeutetes Hörfunkstudio mit Tisch, Stuhl, Mikro und Mischpult, im Hintergrund werden schwarz-weiße Projektionen gezeigt, die in ihrer Beliebigkeit allerdings überflüssig sind. Denn das Ensemble zieht mit seinem intensiven Spiel sowieso die ganze Aufmerksamkeit auf sich, in den ersten 40 Minuten auch im Zuschauerraum, danach gemeinsam und immer näher aneinander orientiert auf der Bühne. Markus Seuß wechselt aus der Zuhörer- in eine Erzählerrolle.
Wie wirkt das?
Kuckart und das Ensemble schaffen es in 90 Minuten, das Publikum für die Figuren zu erwärmen, und das, obwohl diese eher Skizzen denn Charaktere sind. Doch: Die Einsamkeit und die Verunsicherung, die in allen lauert, aber auch die unterschiedlichen Vorstellungen von Glück sind deutlich spürbar, egal, wie artifiziell sich die Monologe manchmal gestalten. Wenn es zu düster wird, grätscht sowieso die "Dark Lady Pilz" dazwischen. Von daher ist das alles grundsätzlich traurig grundiert, aber eher von Nachdenklichkeit denn von Hoffnungslosigkeit geprägt.