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Bremer Denkmalpflege "Es geht nicht allein um Schönheit und Baukunst"

Ein Denkmal – das ist für viele in der Regel etwas richtig Altes. Muss aber nicht sein, erklärt Bremens Landesdenkmalpfleger Georg Skalecki. Er nennt im Interview interessante Beispiele.
02.08.2023, 05:00 Uhr
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Von Jürgen Hinrichs

Herr Skalecki, vorweg, wie heißt es eigentlich, damit ich Sie formvollendet befragen kann. Denkmale oder Denkmäler?

Georg Skalecki: Der Duden lässt beides zu. Wir in Bremen sagen Denkmäler, weil es so in unserem Gesetz steht.

Gut, dann also Denkmäler. Wie viele gibt es in der Stadt Bremen?

Rund 2000. Absehbar kommen in den nächsten Jahren mehr als 1000 dazu. Das hört nie auf, weil jüngere Denkmäler nachwachsen. Zurzeit sind wir zudem im Bremer Osten bei der Nacherfassung.

Was bedeutet das konkret?

Wir durchstreifen jede Straße und schauen, was denkmalwürdig sein könnte. Danach wird im Amt diskutiert und entschieden, welche Gebäude unter Schutz gehören. In Bremen wird darüber übrigens nicht einfach so verfügt, wie in den meisten anderen Bundesländern. Wir machen das in Form eines Rechtsakts und beziehen die Eigentümer der betreffenden Gebäude ein.

Ein Denkmal – das ist für viele in der Regel etwas richtig Altes: Rathaus, Roland, die historische Villa am Osterdeich, auch mal ein Park.  Tatsächlich sind aber auch Youngtimer darunter, wie man den Listen entnehmen kann.

Das sehr Alte ist weitgehend durch, im Grunde auch die frühe Nachkriegszeit. In den Fokus geraten jetzt mehr und mehr auch Bauten aus der Postmoderne.

Sagen Sie gerne ein Beispiel.

Der Hübotter-Bau in der Bischofsnadel. Das ist ein äußerst gelungenes Haus aus den 1970er-Jahren, errichtet nach Entwürfen des Bremer Architekten Volkhard Meyer-Burg. Ein wahrhaft skulpturales Werk mit avantgardistischen Elementen, das den gesellschaftlichen Aufbruch der Nach-68er-Zeit widerspiegelt. Wir haben es 2018 unter Schutz gestellt.

Erst 50 Jahre alt und schon ein Denkmal.

Ja. Aber dieser Abstand muss sein. Nichts ist bei der Bewertung schlimmer als Distanzlosigkeit. Zwischen dem Bau eines Gebäudes und seiner Einordnung sollte mindestens eine Generation liegen, um mit dem Urteil als Denkmalpfleger fachlich sicher und ausgeruht zu sein.

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Das Landesbankgebäude am Domshof ist also noch nicht dran.

Nein, gewiss nicht. Es ist ja erst sieben Jahre alt. Aber ich würde heute schon eine Wette abschließen, dass es eines Tages unter Schutz gestellt wird. Trotzdem sollte man diese Einschätzung erst einmal sacken lassen. So wie wir das zum Beispiel bei der Auferstehungskirche in Hastedt gemacht haben - ein spektakulärer Entwurf des Bremer Architekten Carsten Schröck in dynamischen Formen der Nachkriegsmoderne und unter Verwendung von Sichtbeton. In der Bevölkerung wird die Kirche liebevoll „Sessel Gottes“ genannt. Sie ist 1959 fertig geworden und steht seit 2017 unter Denkmalschutz. Ungefähr 50 Jahre betrug die Spanne auch beim Feierabendweg in Gröpelingen, ein sogenannter Gartengang mit 22 Häusern: 1914 gebaut, 1973 unter Schutz gestellt.

Alles dabei, wie man merkt.

Längst noch nicht alles! Nehmen Sie den Atombunker unter dem Sedanplatz in Vegesack, der in Kriegszeiten plötzlich wieder ganz anders wahrgenommen wird. Er stammt aus den 1970er-Jahren, der Zeit des Kalten Krieges, und ist mit seiner Einrichtung komplett erhalten. Dort unten läuft’s einem kalt den Rücken runter. Oder die vielen Industriebauten, vor allem im Hafen: Schuppen, Speicher, Kaffee Hag, Getreideverkehrsanlage. Denkmalschutz deckt die ganze Bandbreite ab. Wir sind bemüht, unsere gesamte Geschichte exemplarisch und authentisch zu dokumentieren, sodass sich in den Denkmälern möglichst viele Menschen wiederfinden: Dort habe ich gearbeitet, so habe ich gewohnt. Es geht ausdrücklich nicht allein um Schönheit und Baukunst.

Entscheiden Sie aus dem Bauch heraus?

Aber nein, natürlich nicht. Ich zum Beispiel habe ein Faible für Industriebauten, deren Pflege wir seit 20 Jahren intensiv betreiben. Trotzdem wird jeder Fall intensiv fachlich diskutiert. Es gibt gesetzlich festgelegte Kriterien, nach denen wir uns richten müssen. Zu Kulturdenkmälern erklärt werden Sachen, und jetzt zitiere ich das Gesetz, deren Erhaltung aus geschichtlichen, wissenschaftlichen, künstlerischen, technikgeschichtlichen, heimatgeschichtlichen oder städtebaulichen Gründen im öffentlichen Interesse liegt.

Unter Schutz stellen ist das eine. Die Pflege der Denkmäler das andere.

Das ist richtig. Vier unserer zwölf Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter kümmern sich um nichts anderes. Wer ein Denkmal besitzt, muss alles, was damit passiert, mit uns abstimmen. Wir sehen uns dabei wohlgemerkt aber nicht als Aufpasser, sondern mehr als Berater, wenn zum Beispiel neue Fenster eingebaut werden müssen oder Putz und Farbe eine Auffrischung verdienen.

Dennoch wird es immer wieder Konflikte geben. Wenn der Erhalt eines Denkmals die finanziellen Möglichkeiten der Eigentümer übersteigt. Oder, ganz praktisch, wenn aufs denkmalgeschützte Dach eine Solaranlage installiert werden soll.

Niemand wird in den wirtschaftlichen Ruin getrieben, um an seinem Haus alles so zu bewahren, wie es ist. Es gibt Zuschüsse für die Pflege des Denkmals oder die Möglichkeit, steuerliche Abschreibungen vorzunehmen. Im Extremfall kann der Schutz auch aufgehoben werden. Das ist ein Prozess. Behörde und Eigentümer wägen miteinander ab.

Und die Klimawende? Hat das nicht Vorrang? Bei der Solaranlage, zum Beispiel.

Es wäre falsch, hier einen Gegensatz zu konstruieren. Zum einen muss man wissen, dass lediglich drei Prozent der Bestandsgebäude unter Denkmalschutz stehen. Gleichzeitig sind wir deutlich beweglicher geworden, es ist eine Menge möglich, auch bei den Photovoltaik-Anlagen. An manchen Stellen geht es aber einfach nicht, oder wollen Sie die Solarzellen auf dem Dach des Rathauses sehen? Woanders wird das von uns nur dort genehmigt, wo der Strom ausschließlich für den Eigenverbrauch verwendet wird.

Das Gespräch führte Jürgen Hinrichs

Zur Person

Georg Skalecki (64)

hat Baugeschichte studiert und in dem Fach promoviert. Vor 21 Jahren wurde er zum Leiter des Bremer Landesamts für Denkmalpflege ernannt. 2025 erreicht Skalecki die Altersgrenze und scheidet aus seinem Amt aus.

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