Bremen Stadtteile Osterholz Verden Diepholz Delmenhorst Wesermarsch Oldenburg Rotenburg Cuxhaven Bremerhaven Niedersachsen

Konzert zum 75. Geburtstag Politisch motiviert: Neue Werke vom Bremer Komponisten Koch-Raphael

Der Bremer Komponist Erwin Koch-Raphael feiert seinen 75. Geburtstag mit einem Konzert. Neben drei Uraufführungen, teils mit politischem Hintergrund, erklingen zwei Werke seines Lehrers Isang Yun.
07.11.2024, 05:00 Uhr
Jetzt kommentieren!
Zur Merkliste
Von Sebastian Loskant

Herr Koch-Raphael, Ihr 75. Geburtstag, den Sie am 11. Oktober begangen haben, wird mit einem Konzert in der Kulturkirche St. Stephani gefeiert. Am 7. November erklingen dort vier Ihrer Werke und zwei Stücke Ihres Lehrers Isang Yun. Wie haben Sie das Programm zusammengestellt?

Erwin Koch-Raphael: Am Anfang wollten mir Flötistin Evelin Degen und Organist Matthias Geuting ein Konzert widmen. Dann meldeten sich die Isang-Yun-Gesellschaft und der Deutschlandfunk, der die Aufführung mitschneiden wird. Das Programm wuchs dadurch, sodass es jetzt drei Uraufführungen von mir geben wird, darunter auch "No, Time! Thee I do defy", eine Vertonung von Shakespeare-Sonetten mit dem Tenor Clemens Löschmann und dem Bremer Streichquartett Ensemble Pulse.

Der Abend trägt den Titel "Zuflucht". Aus welchem Grund?

Er bezieht sich auf die Uraufführung der "composition no. 94 (zu.flucht)" für Flöte und Orgel. Ich habe mir überlegt: Wie reagiere ich auf die Diskussion über Flucht und Migration? Es erschreckt mich, wenn ich höre, dass Geflüchtete bei uns mitunter eingepfercht drei Jahre zum Nichtstun verdammt sind. Was macht das aus den Menschen? Mir fiel Wolfgang Borcherts Theaterstück "Draußen vor der Tür" ein, von dem Kriegsheimkehrer, den niemand einlassen mag. Ich nehme das Wort Zuflucht auseinander: Die Tür ist zu, ich stehe davor, die Flucht endet nicht. Man hört in der Musik ganz viele Fragen, Pausen, die verhallen, aber bekommt nie eine Antwort.

Der Bezug auf politische Ereignisse war auch Ihrem Lehrer wichtig, dem Südkoreaner Isang Yun, der seit 1957 in Deutschland lebte. Nach einem Besuch in Nordkorea und Kritik an der Militärdiktatur in Südkorea wurde er 1967 sogar vom südkoreanischen Geheimdienst aus Berlin entführt und erst 1969 nach Intervention von Prominenten wie Igor Strawinsky und Herbert von Karajan freigelassen. War Politik während Ihres Studiums bei Yun ein Thema?

Sie war im Hintergrund spürbar. Ich habe zum Beispiel mit Yun viel über China geredet. Er sagte: China macht eine hervorragende Außenpolitik, aber man muss vorsichtig mit den Chinesen sein. Das Schlimmste ist, wenn sie ihr Gesicht verlieren. Das sollte man auch heute noch bedenken. Yun war auch immer sicher – und das hat sich später bestätigt –, dass die Amerikaner, die CIA, an seiner Entführung beteiligt waren.

Gibt es weitere Werke im Konzert, die sich auf Yun beziehen?

Sicher meine allerjüngste "composition no. 97 (schwarz)" für Streichquartett, der das Gedicht "Der Gast" von Paul Celan zugrunde liegt. Es sind drei fast unhörbar leise Sätze, aber mit ganz extremen Positionen. Im ersten Satz gibt es viele Lücken, im zweiten besteht ein durchgehender Klang, der sich vibrierend in sich bewegt, und am Schluss hört man viele Bewegungspunkte. Aber alles ganz leise, ohne Druck, da spielt der Zen-Buddhismus hinein, den ich bei Yun kennengelernt habe. Beim Titel "schwarz" dachte ich an Kasimir Malewitschs "Schwarzes Quadrat", aber auch an meine große Ratlosigkeit angesichts der Krisen unserer Zeit.

Eine Brücke zur bildenden Kunst schlägt auch Ihr Stück für Flöte solo, "Schwontkowski" von 2020. Haben Sie den 2013 gestorbenen Bremer Maler gekannt?

Ja, wir sind beide im selben Jahr geboren und haben gemeinsam in Bremen Förderpreise für besondere Leistungen bekommen. Seither liebe ich seine Bilder. Er war ein sehr zurückgezogener, verschlossener, aber durchaus geselliger Mensch.

Norbert Schwontkowski wurde erst gegen Ende seines Lebens bekannter, auch Neue Musik hat es nicht leicht. Wie oft werden Ihre Werke aufgeführt?

Zum Glück sind fast alle meine 97 Werke uraufgeführt worden, manche Werke wurden auch mehrfach gespielt, aber das ist schon selten. Meine zwei Opern habe ich bis heute nicht gehört. Die erste hatte ich zu einem Wettbewerb in der DDR eingereicht – da wurde am Ende doch ein heimischer Komponist bevorzugt. Die andere kam nie heraus, weil das Hochschulorchester, das sie aufführen sollte, aufgelöst wurde.

Lesen Sie auch

Kann man vom Komponieren leben?

Nein, ich war froh, dass ich die Professur an der Hochschule für Künste in Bremen hatte. Das gilt aber für viele Komponisten.

Komponieren Sie für einen bestimmten Anlass oder für bestimmte Musiker?

Es kam häufiger während meines Studiums in Berlin vor, dass mich Kommilitonen ansprachen. Oft meldeten sich auch Auftraggeber – etwa als es bei Radio Bremen noch eine Redaktion für Neue Musik gab –, die dann auch bestimmte Vorstellungen über die Länge oder Besetzung eines Stücks hatten. Inzwischen aber leiste ich es mir zu schreiben, was und wann ich will, und gucke anschließend, wer es spielt. Ich nutze das Privileg, dass ich komponieren kann, ohne davon leben zu müssen.

Welches war Ihr letztes Auftragswerk?

Es hieß "Die Schöpfung hat nicht mit dem Menschen gerechnet" für Mädchenchor und Klaviertrio und wurde Ende September im Dom vor 500 Besuchern uraufgeführt. Der Spruch stammt von Hanns Henny Jahn, dazu habe ich Texte zur Klimakrise, aus Flugblättern und Transparenten gewählt. Manche Menschen hatten am Ende Tränen in den Augen, das hat mich sehr berührt.

Verstehen Sie sich als leiser politischer Mahner?

Es ist auch politisch, wenn ich mich herausziehe und den Menschen einen Ruhepunkt gebe. Wie soll man die Welt beeinflussen, wenn man von sich selbst nichts mehr mitkriegt? Darum sollte in der Musik stets ein "Haken" sein, sie sollte nicht nur der Erholung dienen, sondern auch einen Impuls geben.

Das Gespräch führte Sebastian Loskant.

Info

Das Porträtkonzert findet am Donnerstag, 7. November, um 19.30 Uhr in der Bremer Kulturkirche St. Stephani statt.

Lesen Sie auch

Zur Person

Erwin Koch-Raphael (75)

wurde in Kempen geboren und lebt seit 1982 in Bremen. Er studierte Komposition bei Isang Yun in Berlin und Yannis Xenakis in Berlin. 1985 erhielt er den Bremer Förderpreis für besondere kompositorische Leistungen. Von 1996 bis 2015 lehrte er als Professor für Komposition und Musiktheorie an der Hochschule für Künste in Bremen.

Zur Startseite
Mehr zum Thema

Das könnte Sie auch interessieren

Rätsel

Jetzt kostenlos spielen!
Lesermeinungen (bitte beachten Sie unsere Community-Regeln)