Die Niagarafälle tosen in h-Moll, wenn man Antonín Dvořák glaubt. Während seines dreijährigen Aufenthalts in den USA besuchte der böhmische Komponist 1893 auch das Naturschauspiel an der Grenze zu Kanada und stellte beeindruckt fest: "Herrgott, das wird eine Sinfonie in h-Moll." Nachdem er im Folgejahr das 2. Cellokonzert seines Kollegen Victor Herbert, dem Begründer der US-Operette ("Babes in Toyland"), gehört hatte, disponierte er indes um. Aus dem Verächter der Kniegeige ("Ein Stück Holz, das oben kreischt und unten brummt“) wurde ein Fan, aus der Niagara-Sinfonie das Cellokonzert h-Moll op. 104.
Schöne Anekdoten, mit dem Charakter dieses heute berühmtesten Werks seiner Gattung haben sie indes wenig zu tun. Das zeigte sich am Montag beim 7. Philharmonischen Konzert in der Glocke. Kein Wasserfall, keine Operette: Der 25-jährige Solist Jeremias Fliedl aus Klagenfurt und sein vier Jahre älterer armenisch-stämmiger Landsmann Emmanuel Tjeknavorian am Dirigentenpult machten vielmehr deutlich, wie nahe dieses h-Moll dem Heimweh-e-Moll der 9. Sinfonie („Aus der Neuen Welt“) steht.
Tjeknavorian, vor zwei Jahren noch als Geigensolist zu Gast, stimmte die Bremer Philharmoniker in der langen Einleitung auf einen elegischen Grundton ein, ließ Solohornist Matthias Berkel Zeit, das zweite Thema sehr fein auszuspinnen. Fliedl setzte dann ganz ohne auftrumpfenden Überdruck ein. Der Cellist mit der braunen Haartolle und dem himmelblauen Jackett schien sein Instrument einfach mit sanftem, ja mildem Ton singen zu lassen, quasi mit dem Bogen durch die Butter der Musik zu streichen. Da drang ein Freund des farbigen Klangs unaufdringlich, aber stets präsent in die Tiefe, ohne sentimental zu klingen; die stockenden Einwürfe der Holzbläser, die düsteren Momente der tiefen Streicher unterstrichen den Ernst des Satzes – danach gab es verständlichen Zwischenapplaus.
Zärtliche Wehmut vermittelte Fliedl im langsamen Satz, in dem Dvořák das Lieblingslied „Lasst mich allein“ seiner damals schon todkranken Schwägerin (und unerfüllten Jugendliebe) Josefine anstimmt. Im verhalten heranmarschierenden Finalsatz, an dessen Ende das Lied erneut erscheint, steigerte sich der Solist zuletzt mit Konzertmeisterin Anette Behr-König regelrecht in ein Liebesduett. Selten wurde so deutlich, dass Dvořák hier sehr innige, intime Dinge anspricht. Dass sich Fliedl gerührt („Was soll ich sagen?“) für den begeisterten Empfang in Bremen bedankte und die kurze Courante aus Bachs 1. Cello-Solosuite mit unangestrengter Leichtigkeit ausformte, machte seinen Auftritt nur noch sympathischer.
Ein Drache in der Tuba
Gestalterisches Format bewies danach auch Emmanuel Tjeknavorian in der 1. Sinfonie e-Moll von Jean Sibelius – diesmal gab das geheimnisvolle Klarinettensolo von Martin Stoffel den Charakter vor. Die vier Sätze kommen als gewaltige Tongemälde daher, und so stellten sich schnell Naturassoziationen ein. Der zweite Satz etwa wirkte zwischen geflöteten Vogeltrillern und Jagdhörnern wie eine Waldwanderung, die im tiefen Blech – ein Drache in der Tuba – fast beklemmende Züge annahm. Dass das düstere Werk von 1899 auch die repressive Besatzung Finnlands durch die Russen vermittelt, wurde ebenso deutlich wie die Anklänge an Wagners „Tristan“ und Bruckners wilde Scherzo-Sätze. Nur das Finale zwischen Tanz und Bedrohung geriet Tjeknavorian zeitweise etwas gedehnt pathetisch, auch war seine eckige Schlagtechnik fürs Orchester sichtlich nicht immer leicht zu deuten.
Insgesamt aber eine spannende Begegnung mit zwei jungen Künstlern, die wirklich etwas zu sagen haben, und mit zwei Repertoireklassikern, denen man sehr persönliche Aspekte ablauschen konnte.