Der Flamingo – das verraten Esoterikratgeber – steht als Symbol für die Liebe zu anderen, zu sich selbst und zur Natur, ebenso für Harmonie und Anmut. Im englischen Slang bezeichnet "flamingle" außerdem ungeschicktes Flirten. All das hatte Regisseurin Susanne Lietzow für ihre Inszenierung von Hector Berlioz’ später heiterer Oper "Béatrice und Bénédict" wohl im Hinterkopf.
Schon zur Ouvertüre stolziert mehrfach ein animierter Flamingo über die Vorhangleinwand, später marschiert auf der Videotapete hinten eine ganze Flamingoparade auf, und im Bühnenbild von Aurel Lenfert wartet links vorn geduldig ein überlebensgroßer pinker Phoenicopterus darauf, dass die Akteure ihn besteigen.
Die Bühne: Aber das ist längst nicht alles. Lietzow inszeniert die aus William Shakespeares Komödie "Viel Lärm um nichts" stammende (Neben-)Handlung um die erklärten Singles Béatrice und Bénédict, die ständig gegeneinander sticheln und zuletzt doch ein Paar werden, optisch als quietschbuntes Spektakel. Die Szenerie mit künstlichen Riesenrosen, mediterranem Baum und Dschungelbusch auf Kunstrasen wird von Figuren mit bonbonfarbenen Kostümen (Jasna Bosnjak) und grellen Perücken in Lila, Rosa, Blond und Schwarz bevölkert – eine Plastikwelt.
Der Sprechtext: Außerdem hat sich Lietzow von der 34-jährigen österreichischen Autorin Nina Maria Metzger ausgedehnte deutsche Sprechtexte schreiben lassen (gesungen wird französisch), um dieses Stück ohne echte Intrige etwas anzuheizen. "Lieber gehe ich ins Kloster und vergammele unter der Kutte", sagt Bénédict über die Ehe, und Béatrice teilt dem Kriegshelden mit: "Nichts bringt die Menschen so sehr zusammen, als sich gegenseitig totzuschießen." Aus der Oper wird dadurch eine Boulevardkomödie mit Musik; der Abend dauert samt Pause nun fast drei Stunden, wo Colin Davis’ klassische Plattenaufnahme (bei stark gekürzten Texten) noch mit gut 90 Minuten auskam. Nicht jede Pointe sitzt, aber deutlich wird, dass hier noch halbe Kinder mit der Liebe experimentieren.
Die Barbie des Abends
Die Hauptfiguren: Voran die Barbie des Abends: Hero (Elisa Birkenheier), Tochter der ebenfalls superblonden Gouverneurin Leonata (Schaupielerin Judith Goldberg). Die Regie hat Hero die sensibelsten Momente, ja, die eigentliche Hauptrolle zugedacht, denn als ihr Schwarm Claudio (Arvid Fagerfjäll) aus dem Krieg heimkehrt und sich mit Popper-Tolle und blauem Anzug als allzu geschniegelter Galan entpuppt, fühlt sie sich noch keineswegs bereit für die schnelle Hochzeit. Auffällig der Kontrast zu Petra Zöpneks Videos am Anfang, in denen Kriegsheimkehrer ihre Liebsten umarmten: Hero wirkt da wie fremdgesteuert – und wird am Ende "Nein" sagen.
Nicht ganz so logisch entwickelt wirkt das kratzbürstige Titelpaar. Zwar erhalten Ulrike Mayer als burschikose Béatrice und Oliver Sewell als eher gelassener Bénédict mit den Schauspielern Mirjam Rast und Christian Freund zwei vorzügliche, wendige Doppelgänger zur Seite gestellt. Deren Sinn erschließt sich jedoch nur in Momenten, in denen die Figuren hin- und hergerissen sind: Dann prügeln sich die beiden Spiegelbilder oder werden zu vertrauten Beratern. Die meiste Zeit indes scheinen sie dazu da, die Sänger bei den Bergen von Dialogen zu entlasten.
Der Dirigent als Clown: Herrscht hier schon viel Klamauk, so wirkt die Probe der Hochzeitskantate (die ironischerweise ein Trauergesang ist) allzu angestrengt witzig. Die Rolle des überforderten Kapellmeisters Scamarone übernimmt Dirigent Stefan Klingele selbst, er turnt unter tausend Entschuldigungen auf die Bühne und pfeift den bockigen Chor aus der Pause zurück. So souverän Klingele agiert, der Gag wird sehr breitgetreten. Auch warum General Don Pedro (Jasin Rammal-Rykala) polnisch sprechen muss und einen Übersetzer braucht, erschließt sich nicht.
Im Duett angekuschelt
Die musikalische Gestaltung: In den Untiefen des Bühnentrubels muss Berlioz’ durchsichtige Musik einige Federn lassen. Aber spätestens ab dem berühmten Duo Nocturne, in dem sich Hero an ihre Anstandsdame Ursula geradezu musikalisch ankuschelt, lässt dann auch die Regie zu Wolken- und Sternenbildern herzigen Gefühlen genug Raum. Elisa Birkenheiers Sopran, einer Bravourarie mit Verve gewachsen, wird von Nathalie Mittelbachs schönem Mezzo wunderbar gestreichelt.
Der Wohllaut steigert sich noch, wenn Ulrike Mayer, gleichfalls Mezzosopran, nachsetzt und nach ihrer Arie mit den beiden anderen Frauenstimmen das große Terzett anstimmt – vokaler Schlagrahm pur. Die Bremer Philharmoniker, von Stefan Klingele schon in der quirligen Ouvertüre glänzend auf den feinen Berlioz-Ton eingestimmt, setzen mit herrlichen Flöten- und Klarinettenduetten die Kirsche obendrauf. Oliver Sewell bringt in seine glühende Tenor-Arie auch etwas italienischen Schmelz ein, und Bariton Arvid Fagerfjäll in der Rolle des düpierten Claudio tröstet sich und andere – Karl Bernewitz’ Choristinnen und Choristen trumpfen in jeder Hinsicht auf – im schneidigen Trinklied.
Fazit: Ein Happy End mit vielen Handy-Herzchen und einem Sprung ins kalte Wasser gibt es wenigstens für das Titelpaar. Wer das Stück kennt, muss sich in dieser burlesken Aufführung zwar erheblich umstellen. Aber wer es nicht kennt (und das werden die meisten sein), wer auch mit Opern nur selten in Berührung kommt, findet hier einen lockeren Einstieg.