Als Renate Heitmann die Tür zu ihrer Altbauwohnung im Gete-Viertel öffnet, stehen auf einem Tisch am Fenster Tee und Gebäck bereit. Ein schöner Platz, um mit einer Frau über ihr Leben zu sprechen, die sich seit Jahrzehnten für die Bremer Kultur starkmacht und sie mitgeprägt hat.
Doch bevor Heitmann beginnt, aus den Nähkästchen zu plaudern, eilt sie mit leuchtenden Augen ins Nachbarzimmer und präsentiert stolz an die zwanzig Steckenpferde, die ehemalige Theaterkollegen der Pferdeliebhaberin zum Abschied gestaltet haben. Vor einigen Wochen hat Heitmann, seit 1994 im Vorstand der Shakespeare Company, das Zepter an Hellena Harttung weitergegeben und sich in den Ruhestand verabschiedet.
Nicht nur für die Company, sondern auch für sie persönlich ist damit ein neues Zeitalter angebrochen. "Es fühlt sich an wie nach einem riesigen Gewitter, bei dem man noch mal davongekommen ist", sagt sie. Denn Heitmann hatte gerade zwei Abschiede zu verdauen: den von der Shakespeare Company und den von ihrem jüngst verstorbenen Mann. "Ich weiß nicht, was jetzt kommt", sagt sie und lehnt sich in ihrem Stuhl zurück. "Aber ich habe keine Zukunftsangst, es wird schon alles gut."
Immer auch das Gute sehen
Hier zeigt sich direkt eine von Heitmanns Stärken: immer in der Lage zu sein, auch in schwierigen Zeiten das Gute sehen zu können. Eine Eigenschaft, die ihr auch in 34 Jahren an der Shakespeare Company oft nützlich gewesen ist, in einer Stadt, in der bei der Anerkennung der Politik ans Theater ihrer Meinung nach "noch Luft nach oben" sei.
Doch einen Schritt zurück. Wie ist Heitmann überhaupt da hingekommen, wo wie heute ist? Sie wuchs in Scheeßel auf einem Bauernhof auf. Vielleicht, überlegt sie, hat es auch damit zu tun, dass sie so eine Macherin ist: "Auf dem Bauernhof geht es jeden Morgen weiter mit der Arbeit. Da kann man nicht sagen: heute nicht."
Ihre ersten Theatererfahrungen machte sie durch ihren Onkel, der Theaterstücke für die Weihnachtsfeiern des Verbands der Kriegsversehrten organisierte. Doch der Wunsch, ans Theater zu gehen, war hier noch nicht geboren. Eigentlich wollte sie Werbekauffrau werden, machte dann jedoch eine Ausbildung zur Zahnarzthelferin. Sie beendete die Lehre, obwohl diese "nervig und teils langweilig" war, und zog mit ihrem damaligen Freund nach Bremen, wo sie nach einer Weile beschloss, ihr Abitur nachzuholen und Anglistik und Kulturwissenschaft zu studieren.
Als studentische Hilfskraft war sie an der Organisation einer Tournee der San Francisco Mime Troupe beteiligt und durfte 1989 auch einige Monate als Praktikantin in San Francisco verbringen. "Ein ganz großartiges Abenteuer", sagt sie. Heitmann half im organisatorischen Theateralltag, als Gegenleistung bekam sie Kurse. "Da habe ich zum Beispiel gelernt, auf dem Seil zu laufen", sagt sie. Und sie hat noch etwas aus San Francisco mitgenommen: den Wunsch, dauerhaft an einem Theater zu arbeiten.
1991 startete sie als Regieassistentin an der Bremer Shakespeare Company, drei Jahre später wurde sie Mitglied der Theaterleitung und blieb es bis zuletzt. Sie initiierte Langzeitprojekte wie 2005 den Circus Quantenschaum, der Naturwissenschaft mit Zirkus verbindet, oder in der Corona-Pandemie den Sommer Summarum, der kleinere Kulturveranstaltungen unter freiem Himmel ermöglichte. Für ihren Einsatz beim Sommer Summarum überreichte der Bundespräsident ihr 2021 sogar das Bundesverdienstkreuz.
Doch es seien vor allem die internationalen Produktionen und Tourneen mit der Shakespeare Company, die sie in Erinnerung behalten wird – darunter eine Tour durch Indien oder die letzte Co-Produktion mit Kollegen aus der Türkei, inklusive Auftritten in Istanbul und Izmir. "Die ganze Welt ist eine Bühne", sagt Heitmann. Auch wenn die politischen Entwicklungen Auftritte in einigen Ländern heute schwieriger machen.
Kultur kann Veränderung schaffen
Wie man wieder mehr Interkulturalität in der Praxis erfahren kann, wie es der Kulturszene gelingt, rechten Strömungen etwas entgegenzusetzen, da das aktuelle Instrumentarium nicht mehr zu greifen scheint, wie man neue Verbindungen zwischen Kultur, Wissenschaft und Politik schaffen kann – all das sind Fragen, die Heitmann beschäftigen, und mit denen sie sich auch in Zukunft beschäftigen will. Dem Theater will sie verbunden bleiben und sich auch ansonsten in Bremen weiterhin kulturpolitisch starkmachen. "Der Motor, der mich antreibt, ist das intuitive Wissen, dass über Kultur gesellschaftliche Veränderungen möglich sind", sagt sie.
Doch erst mal will Heitmann sich als "Novize im neuen Lebensabschnitt" zurechtzufinden. "Man muss ein bisschen lernen, jemand anderes zu werden", sagt sie. Sie freut sich auf den Sommer, wo sie gerne zum Unisee radelt und morgens eine Runde schwimmt. Ihr Drucker muss repariert werden, und in ihrem Regal warten noch etwa 20 Bücher darauf, gelesen zu werden, erzählt sie.
Wenn man Heitmann die vergangenen Jahre bei ihrer Arbeit beobachtet hat oder auch jetzt, wie sie am Wohnzimmertisch bei einem Tee aus ihrem Leben erzählt, dann wirkt sie wie jemand, der stets die Ruhe bewahrt. "Das wirkt aber nur nach außen so", winkt sie ab. "Innerlich habe ich, glaube ich, eine gute Anpassungsfähigkeit und vielleicht eine gute Intuition, wenn es darum geht, Situationen einzuschätzen." Der Eindruck jedoch bleibt.
Renate Heitmann ist gut darin, sich auf Neues einzustellen. Ein Steinmetz-Kurs, eine neue Reitbeteiligung, Kontrabass lernen – ihr fallen genug Dinge ein, auf die sie jetzt, wo sie mehr Zeit hat, Lust hätte. Sie geht gern ins Kino und ins (Tanz-)Theater oder besucht Museen. Ein Motto, nach dem Heitmann immer gelebt hat: Wenn man nichts tut, gibt es nichts zu tun.