Ende März sprach der WESER-KURIER für die Serie „Stille Stadt“ mit diversen Bremer Kulturschaffenden über ihre Situation in der Corona-Krise. Mehr als einen Monat später ruht die Kultur in der Hansestadt noch immer. Neue Verbote wurden beschlossen, aber auch manche Lockerungen durchgesetzt. Was bedeutet das für Bremer Theatermacher, Musiker, Autoren und andere Kreative? Wie haben sich Sorgen und Hoffnungen verändert? Wie steht es um die finanzielle Situation?
Bei den kleinen Bremer Theatern herrscht größtenteils Einigkeit, dass selbst bei einer eventuellen Öffnung die Einhaltung der Abstandsregeln im Zuschauerraum nicht sinnvoll umgesetzt werden könnten. „Unser Haus verfügt ja nur über 95 Plätze mit einer Tribüne, und dann etwa drei Viertel der Plätze sperren zu müssen, ist finanziell nicht tragbar“, sagt Anja Hinrichs vom Schnürschuh-Theater. Ralf Knapp, Geschäftsführer des Kriminal-Theaters, ist der gleichen Meinung: „Ein Theater, das statt 180 Zuschauern gerade mal 28, möglicherweise maskiert, über den gesamten Zuschauerraum verteilt, stelle ich mir relativ unsexy vor.“
Wirtschaftlich arbeiten lasse sich unter diesen Bedingungen ohnehin nicht. Hinrichs geht davon aus, dass die Spielzeit 2020/2021 im Schnürschuh-Theater, das mittlerweile Kurzarbeit angemeldet habe, bereits zu Ende ist. Um die Produktionskosten für zukünftige Stücke zu decken, plane man ein Crowdfunding, sagt Hinrichs. Das Bremer Kriminal-Theater überlegt, ob im Sommer ein Spielbetrieb auf dem Außengelände der Union-Brauerei möglich wäre, sagt Ralf Knapp. Zudem wolle man eine frühere Inszenierung in ein Hörspiel umwandeln.
Über einen mit anderen Kulturschaffenden veranstalteten Theatersommer im Freien denke auch die Shakespeare Company nach, sagt deren Vorstandsmitglied Peter Lüchinger. Man mache sich jedoch auch Gedanken, welche Möglichkeiten es gibt, den jetzigen Bedingungen angepasste Stücke im Haus zu spielen. Die Existenz der Shakespeare Company sei nicht bedroht, versichert Lüchinger: „Uns wurde Kurzarbeitergeld zugesagt, somit sind wir auf absehbare Zeit finanziell abgesichert.“
Das Schnürschuh-Theater habe kleine Lesungen verfilmt und über soziale Netzwerke veröffentlicht, sagt Anja Hinrichs. Die Shakespeare Company gestalte seit Beginn der aufführungsfreien Zeit jeden Tag einen digitalen „Daily Shakespeare“ mit Vorträgen, kurzen Spielszenen und Probenberichten, erzählt Peter Lüchinger. Die Flucht ins Digitale empfinden viele Kreative jedoch eher als Notlösung. Das Verlegen der Kunst ins Internet geschehe vielleicht teilweise aus Experimentierfreude, aber zum großen Teil aus der Verzweiflung, meint die Bremer Illustratorin Miriam Wurster.
„Im Kern glauben wir nicht an den digitalen Raum“, sagt auch Ralf Knapp. Nicolas Hrudnik, künstlerischer Leiter des Orchesterprojekts Musica viva, zeigt sich verärgert über die „Ignoranz des Senats und die „Hasenfüßigkeit“ der Entscheidungsträger.“ Er habe den Senat frühzeitig darum gebeten, das nächste Konzert von Musica viva, das am Sonntag, 10. Mai, hätte stattfinden sollen, offiziell zu verbieten. Obwohl zu diesem Zeitpunkt die Regelungen bis zum 20. April befristet waren, sei allen klar gewesen, dass die Veranstaltung nicht stattfinden könne.
„Ein behördliches Verbot ist zwingend nötig, um Verpflichtungen wie etwa Mietzahlungen an Veranstaltungsstätten zu klären“, sagt Hrudnik. Trotz mehrfacher Nachfragen habe er von den Behörden keine Antwort erhalten. „Ich halte dieses Umgehen mit den Sorgen und Nöten von Kulturschaffenden für ein ungeheuerliches Vorgehen.“ Er ahne, dass es zuletzt im Veranstaltungsbereich Lockerungen geben werde, sagt Ralf Knapp. „Aber solange das alles so unklar ist, bleibt uns nur, wie das Kaninchen auf die Schlange auf die zweiwöchentlichen Verlautbarungen des Senats zu starren.“
Zudem sei immer noch unklar, ob das vor einigen Wochen beschlossene Hilfsprogramm auch für freiberufliche Schauspieler gelte. Niemand in der Freien Szene habe Rücklagen für mehrere Monate, sagt Knapp. Er schlägt deshalb eine feste monatliche Absicherung für freiberufliche Künstler vor. Eine davon ist Martina Flügge. Der freiberuflichen Schauspielerin bereitet vor allem die Ungewissheit Sorge. „Keiner weiß, wann und wie Theater wieder öffnen dürfen. Das macht gewaltig Angst“, sagt Flügge.
Für weitere Planungen wünscht sich Orchesterchef Nicolas Hrudnik ein frühes Signal der Politik. „Ein deutlich ausgesprochenes und gut kommuniziertes Verbot von Veranstaltungen über einen langen, klar definierten Zeitraum wäre besser als eine Verschiebung der Spielerlaubnis in mehreren kleinen Schritten.“ Hrudnik hofft zudem, dass die Leute nach dem Stillstand besonders viel Lust auf Konzerte haben. Pläne schmieden seien für die Moral wichtig, findet auch Ralf Knapp: „Entweder man macht Pläne oder man verfällt der Depression.“
Was die Buchbranche betrifft, seien seine Sorgen durch die Wiedereröffnung der Läden etwas geringer geworden, sagt David Safier. Der Bremer Bestsellerautor lobt den Lieferdienst, den die Bremer Buchhandlungen in den vergangenen Wochen auf die Beine gestellt haben. Er befürchtet aber auch: „Die Rezession, auch auf dem Buchmarkt, wird trotzdem noch kommen.“ Die Umsatzeinbußen haben auch seinen neuen Roman „Aufgetaut“ getroffen – trotzdem konnte sich das Buch über mehrere Wochen in den Top-Ten der Bestsellerliste halten. „Das hat mir seelisch gut getan“, sagt Safier. Auch die Arbeit an seinem nächsten Roman gehe gut voran; die Phase „über den Kampf zum Spiel“ habe er glücklicherweise überwunden.
Die Bremer Schriftstellerin Betty Kolodzy freut sich über die Resonanz, auf die ihr Briefaustausch „Nähe in Zeiten von Distanz“ gestoßen sei (wir berichteten). Sie wolle das Thema weiter intensivieren, möglicherweise aus den Einsendungen eine Ausstellung oder einen Podcast machen. Auch ein Online-Briefroman sei eine Option. „Was mich umtreibt, bleibt die Frage, ob es im zweiten Halbjahr mit Präsenz-Workshops weitergeht, und wann ich mit den geflüchteten Kindern und Jugendlichen wieder vor Ort arbeiten kann“, sagt Kolodzy.
Zur Sache
Wer wie auf Hilfe zählen kann
Bremen. Ein Förderprogramm im Umfang von 500 000 Euro hat der Senat aufgelegt, um Künstlern und Kultureinrichtungen, die wegen der Corona-Krise in Existenznot geraten, zu unterstützen. Maximal 2000 Euro Soforthilfe, die nicht zurückgezahlt werden müssen, können bis Ende Mai beantragt werden. Nicht alle Antragsteller würden diese Summe ausschöpfen, erklärt Kulturstaatsrätin Carmen Emigholz (SPD): „Es gibt auch Anfragen, die sich um geringere Summen drehen.“ Trotzdem seien die Mittel spätestens in diesen Tagen aufgebraucht – von daher werde es wohl ein weiteres Hilfspaket geben.
Wer einen Antrag stellt, muss nachweisen, dass er Einkommen durch die Corona-Krise verloren hat und dass er ansonsten mit seiner künstlerischen Arbeit seinen Lebensunterhalt bestreitet. Eine Mitgliedschaft in der Künstlersozialkasse gelte als Nachweis oder aber Vertragsunterlagen, so Emigholz: „Die Angaben müssen nachprüfbar sein.“ Sie zeigt sich sehr zufrieden mit dem bisherigen Verlauf: „Die Künstler waren sehr korrekt; einige haben sogar Kontoauszüge vorgelegt.“
Abgelehnt habe man bisher zehn Prozent der Anträge. Die Gründe: Entweder hätten die Künstler keinen Wohnsitz im Land Bremen oder ihr finanzielles Polster habe die Grenze des Freibetrags von 10 000 Euro überschritten (plus 3500 Euro für jedes Kind, das im Haushalt lebt). Einen Sonderfall stellen die bildenden Künstler dar (wir berichteten). „Die haben einen Wettbewerbsnachteil, weil sie sich nicht über klar ersichtliche Veranstaltungen vermarkten, sondern durch eine Präsenz in Galerien“, sagt Carmen Emigholz.
Daher biete die Stadt an, ihnen als Tätigkeitsnachweis Kunst abzukaufen für die Graphothek. Auch eine Ausstellung der so zusammengekommenen Werke in der Städtischen Galerie sei angedacht. Die Staatsrätin betont, dass die Mittel von einer eigens eingerichteten „Task-Force Corona“ vergeben würden, damit es zu keiner Vermischung mit den eigentlichen Aufgaben ihres Ressorts komme – es handele sich um Sondermittel, die mit der Ausstattung des Kulturetats nichts zu tun hätten. Dieser Etatentwurf, der für 2020 und 2021 jeweils zehn Millionen Euro mehr vorsieht als zuvor, „steht, und er bleibt, wie er ist“, so Carmen Emigholz.
Ihr Haus habe belastbare Zahlen und Fakten zur Situation der Einrichtungen und der freien Szene vorgelegt, die auf eine breite Zustimmung quer durch alle Fraktionen mit Ausnahme der CDU stießen. Die Kulturakteure und -einrichtungen müssten nicht fürchten, dass das Soforthilfeprogramm den allgemeinen Kulturetat schmälere. Grundsätzliche Kritik an dieser Vorgehensweise gibt es von der CDU. Claas Rohmeyer, kulturpolitischer Sprecher der Fraktion, fordert von Kultursenator Andreas Bovenschulte (SPD) für die nächste Sitzung der Kulturdeputation am kommenden Donnerstag die Klärung einiger für ihn strittiger Fragen. So möchte Rohmeyer beispielsweise genauer als bisher begründet haben, warum bildende Künstler ein Bild abtreten müssten und ob diese „Praxis auch in anderen kulturellen Bereichen“ angewandt werde.
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