Es gibt Menschen, denen könnte man stundenlang zuhören. Der Schauspieler Martin Leßmann, für den Bremen seit vielen Jahren seine Wahlheimat ist, ist so ein Mensch. Doch nach 50 Jahren vor Publikum will er nun Abschied von der Bühne nehmen.
Auf eben dieser stand Leßmann zum ersten Mal 1974 in der Theater AG seiner Schule. Romulus der Große im gleichnamigen Stück von Friedrich Dürrenmatt war seine erste Rolle, erinnert sich der heute 67-Jährige. Später spielte er in Theatergruppen in Marburg und Göttingen, wo er Germanistik, Anglistik und Pädagogik studierte. Den Sprung an die Schauspielschule in Hannover wagte er 1979. Doch er ging andere Wege als die meisten seiner Kommilitonen: Er fing an, sich mit Klappmaulpuppen zu beschäftigen. "Zuerst hatte ich nur Sockenpuppen für meine kleinen Geschwister gebastelt", erzählt Leßmann. "Die habe ich mir dann aber zurückgeholt, weil ich sie brauchte, um vor dem Spiegel Klappmaul-Synchron-Singen zu üben – inspiriert durch die Muppet Show." Es folgten weitere Puppen und erste Auftritte.
Kreuzbandriss beim Sprung aus der Tonne
Sein erstes Schauspielengagement hatte Leßmann am Kinder- und Jugendtheater in Essen. Doch weil er nicht ewig in der Kinder- und Jugendsparte feststecken wollte, bewarb er sich am Bremer Theater. Er spielte 1985 im Weihnachtsmusical "Vom dicken Schwein, das dünn werden wollte" mit, wo er sich verletzte, als er im hautengen Glitzeranzug mit Biene-Maja-Flügeln aus einer Tonne springen musste. Diagnose: Kreuzbandriss: "Alles, was im Knie kaputt sein konnte, war kaputt."
Von einer Reise am Folgetag ließ Leßmann sich dennoch nicht abhalten. Zum Glück muss man sagen, denn dies war der Schlüsselmoment für die Rolle seines Lebens: "Mit einer Krücke aus der Requisite bin ich zu einem Casting nach Hamburg gefahren", sagt er. Gesucht wurden neue Puppenspieler für die NDR-Serie "Hallo Spencer". Nachdem Leßmann ab 1987 Rollen bei "Hallo Spencer" übernahm, wurde er 1988 zum Nachfolger des verstorbenen Herbert Langemann in der Rolle der bescheidenen und hilfsbereiten Puppe Kasimir (Kasi), die in der "Hallo Spencer"-Welt in einer Kastanie mit Fahrstuhl lebt. Leßmann blieb Kasi, bis die Puppenspielserie 2001 abgesetzt wurde. Leßmann: "Ist es nicht kurios, dass man nur eine einzige Rolle im Leben braucht, in der man als Schauspieler nicht mal sichtbar ist, um sich gewürdigt zu fühlen?"
Diese ganz besondere Rolle konnte Leßmann vor Kurzem noch einmal aufleben lassen, denn auch im "Hallo Spencer"-Film von Jan Böhmermann, der im Dezember im ZDF zu sehen sein wird, schlüpfte er wieder mit der Hand in Kasi.

Wiedersehen mit alten Freunden: Bei der Premiere von ”Hallo Spencer – Der Film” steht das Ensemble mit den Puppen im Arri-Kino. Der ZDF-Film adaptiert die deutsche Puppenspielserie mit Klappmaulfiguren wie Poldi, Nepomuk und Kasimir, die von 1979 bis 2001 vom NDR produziert wurde.
Eine große Fernsehkarriere fernab von "Hallo Spencer" blieb allerdings aus. Traurig ist er deswegen nicht. "Es war eigentlich nicht mein Genre", sagt er. "Das lange Warten am Set, das sich anbiedern über eine Agentur – das war mir alles zu aufwendig und irgendwie demütigend." Leßmann war es immer wichtig, selbst die Kontrolle über sein künstlerisches Schaffen zu behalten.
Leitung des Moks am Theater Bremen
Doch zurück in die 80er- und 90er-Jahre: Nach seinem Unfall 1985 nahm Leßmann – obwohl er vom Kinder- und Jugendtheater wegwollte – ein Angebot als Schauspieler beim Bremer Moks an. So lange, bis es als Kasi richtig losging. Da immer gleich mehrere "Hallo Spencer"-Folgen im Sommer aufgezeichnet wurden, hatte Leßmann trotzdem noch Zeit für weitere Angebote: Und so übernahm er 1994 die Leitung des Moks.
Doch er wollte mehr spielen und so gab er den Posten 1999 wieder auf. Er begann freischaffend zu arbeiten, Regie zu führen und eigene Projekte auf der Bühne umzusetzen. Leßmanns Stücke behandeln oft ernste Themen, häufig den Tod, sind aber auch geprägt von Humor.
Warum Tod und Abschied bei ihm immer wieder vorkommen? "Wahrscheinlich, weil es eine gute Übung ist, sich dem zu stellen, was unser Leben prägt – die Angst vor dem Ende oder dem Verlassenwerden", sagt Leßmann. "So wie das Theater ja immer eine Lebensübung für schwierige Themen ist."
Inhaltsvolle Geschichten zu erzählen, die Menschen anzurühren, Themen anzusprechen, die man im Alltag sonst gerne verdrängt, Empathie zu üben und ein Plädoyer auf die Freiheit jedes Einzelnen zu halten – das ist es, was Theater laut Leßmann im besten Fall leistet. "Meist war ich ein glücklicher Schauspieler, der in den Momenten, in denen er auf der Bühne stand, Lust und etwas zu sagen hatte."
14 Jahre lang stand er auch regelmäßig auf der Bühne des Bremer Kriminal-Theaters, doch zuletzt merkte er, dass er auch an seine konditionellen Grenzen kommt. Zum Beispiel, wenn er in "Die 39 Stufen" eine Rückwärtsrolle machen musste. Auch während Corona habe er gemerkt, dass ihm die Entschleunigung guttue. Gartenarbeit, die für ihn früher undenkbar gewesen ist, gefiel ihm plötzlich, und da er das Rentenalter erreicht hatte, konnte er auch finanziell ein bisschen entspannen. Darum nun der Abschied von der Bühne.
Abschied mit "Ein Tag mit Herrn Jules"
„Ich mag Abschiede – ich habe sie, wie gesagt, ja viel geübt auf der Bühne“, sagt Leßmann. Deshalb will er auch nicht still und heimlich verschwinden, sondern kommt noch einmal für fünf Abende mit seinem Solostück "Ein Tag mit Herrn Jules" in den Brauhauskeller. In dem Stück findet Alice ihren Mann tot auf dem Sofa und beschließt, erst einmal niemanden zu informieren – bis Nachbarjunge David vorbeikommt, um wie immer mit Herrn Jules Schach zu spielen...
Ganz so leicht wie gedacht scheint Leßmann der Abschied – trotz des ganzen Übens – aber doch nicht zu fallen. "Ich bin nicht ganz weg, aber ich gehe auf Abstand", sagt er. Regie wolle er weiterhin machen und auch in Bezug auf die Bühne will er ein "nie wieder", nicht in den Mund nehmen. Und zum Glück ist es bei dieser Art von Abschied ja so, "dass es immer auch einen Weg zurückgibt", sagt Leßmann und lacht.